LANDWIRTSCHAFT Erleuchtung durch die Gurke
Ton Baars ist Sternzeichen Löwe. »Aber was das bedeutet, weiß ich gar nicht so genau.« Der niederländische Biologe gibt sich spröde, wenn es um Esoterik geht. Er antwortet vage, gern mit Gegenfragen. Also anders: »Jetzt mal ganz konkret. Glauben Sie an Kräfte aus dem All, die Wachstum und Wesen von Pflanzen und Tieren beeinflussen?«
»Ja, klar! Sonst brauchte ich das alles hier ja nicht zu tun!«
»Das alles hier« ist Baars' Arbeit als Professor für biologisch-dynamische Landwirtschaft an der Universität Kassel in Witzenhausen - weltweit der einzige Lehrstuhl dieser Art. Seit etwa einem Jahr machen der Biologe und seine beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter Dutzende Studenten damit vertraut, wie der Mond die Blätter der Efeuaralie aus den Sprossen treibt und wie sich wurmverseuchte Heidschnucken von ganz allein das passende Heilkräutlein suchen, statt mit Medikamenten behandelt werden zu müssen.
Die anthroposophische Enklave in Witzenhausen wäre wohl nicht der Rede wert, hätte sie ihre Heimstatt nicht im Herzen einer staatlichen Hochschule - definiert als Ort der Wissenschaft. Okkultes gehörte bisher ins Private. Und es herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass Studenten lernen sollten, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Das braucht Baars, dessen Stiftungsprofessur von Ökofirmen und spendablen Anthroposophenbrüdern finanziert wird, nicht zu können. In Uni-Gewächshäusern ziehen er und seine Mitarbeiter ihre Mondpflanzen heran; ihre mit homöopathischen Kügelchen behandelten Kühe und ihr von Astralkräften gestärktes Ackergrün dürfen auf der Staatsdomäne Frankenhausen gedeihen, dem universitären Lehr- und Versuchshof.
In fünf Jahren soll Baars' Stiftungsprofessur dann vom Land Hessen übernommen werden. Die feste Einbindung der Biodynamik in die Kasseler Agrarfakultät könnte den Anthroposophen den dafür erforderlichen wissenschaftlichen Anstrich geben. Andererseits aber könnte durch die Biodynamik, die an nur einem der 19 Lehrstühle in Witzenhausen gelehrt wird, am Ende der gesamte Fachbereich ungerechtfertigt unter Esoterik-Verdacht geraten. Das wäre schmerzhaft für die Uni Kassel, denn die Agrarfakultät gilt ihr - als europaweit einzige mit ökologischer Ausrichtung - als »einmalige Erfolgsgeschichte«.
Bevor der Biodynamik-Lehrstuhl dort eingerichtet wurde, hatte es gelegentlich Ringvorlesungen zum Thema gegeben. »Die waren immer brechend voll«, berichtet Baars' Studentin Caroline Schumann. Die Kasseler Professoren der Biologie sahen Unheil heraufziehen und wiesen die Hochschulleitung schriftlich darauf hin, dass es sich bei der anthroposophischen Landwirtschaft um ein pseudowissenschaftliches Glaubenssystem handle.
Auch Armin Geus aus Marburg, der sich als Biologie- und Medizinhistoriker intensiv mit den Hintergründen der Biodynamik befasst hat, warnte den Uni-Präsidenten: »Ich habe ihm mitgeteilt, dass dieses Fach dem Gesamtansehen der Universität nicht zuträglich sei«, berichtet der emeritierte Forscher. »Es handelt sich dabei um eine Ausgeburt anthroposophischer Spinnerei.«
Geus ist daran gelegen, einen weitverbreiteten Irrtum aufzuklären: dass die biologisch-dynamische Landwirtschaft eine seriöse Unterart des Ökolandbaus sei, deren Anhänger einfach nur besonders zärtlich ihre Kühe und Erbsen streicheln. Denn in Wirklichkeit beruht die Biodynamik komplett auf den Lehren Rudolf Steiners.
Der Begründer der Anthroposophie hatte 1924, ein Jahr vor seinem Tod, eine Vorlesungsreihe abgehalten, den »Landwirtschaftlichen Kurs«. Das ist Baars' Bibel, das Manifest aller biologisch-dynamischen Kleingärtner, die Arbeitsgrundlage aller Bauern, die sich im Demeter-Verbund zusammengeschlossen haben.
So knabbert, wer Demeter-Grünzeug auf dem Markt einkauft, Steinersche Öko-Esoterik mit: Weil die Aussaat vor Vollmond besonders strotzende Wurzeln hervorbringe, »mögen Möhren den Mond«, wirbt eine Broschüre des Bioverbands. »Und auch Sie werden den Mond mögen. Spätestens wenn Sie eine Demeter-Möhre probiert haben.«
Ergeben folgen die Biodynamiker den Eingebungen ihres Meisters, die diesem nicht etwa durch eigene Garten- oder Feldarbeit in den Sinn gekommen waren - es war eher eine Art galaktischer Geist, der ihm die Jobbeschreibung für Bauern ins Hirn gepustet hatte.
Einer von Steiners Erleuchtungen verdanken die Bauern etwa die Anweisung, Kuhhörner (von weiblichen Tieren, die schon einmal gekalbt haben) im Acker zu
verbuddeln, gefüllt mit zerriebenen Quarzkristallen (nach Ostern mit Regenwasser zu einem Brei rühren!). Mars, Jupiter und Saturn, heißt es, strahlten über solche »kieseligen Substanzen« von unten nach oben und verströmten ihre kosmischen Kräfte, indem sie auf Blütenfarbe, Frucht und Samenbildung wirkten.
Nach ein paar Monaten Lagerzeit graben die Anthroposophenbauern die Hörner wieder aus und kratzen deren Inhalt heraus. Braucht nun etwa ein Tomatenbeet kosmische Zuwendung, verrühren die Landwirte eine winzige Menge davon in einem großen, wassergefüllten Fass. So »dynamisiert« der bäuerliche Alchemist das Wasser. Den fertigen Zaubertrank schleudert er dann mit Hilfe eines Handbesens in Tröpfchen über das rote Gemüse.
Als hilfreich gilt es in der Biodyn-Gemeinde auch, die Harnblase eines Rothirschs mit Schafgarbenblüten zu füllen (gesammelt an einem sonnigen Tag). Kamille (frühmorgens zu pflücken) wiederum ist in einen Rinderdarm, Rinde der Stieleiche in einen Rinderschädel, Löwenzahn ins Bauchfell eines Rindes zu stopfen.
Die Ätherkräfte machen in der Möhre oder dem Hirsemüsli nicht halt. Vielmehr kommt auch der Mensch, der solcherart erzeugtes Gemüse, Obst oder Getreide isst, in den Genuss des höheren Geistigen. Denn es werden ihm »die Kräfte vermittelt, das mineralisch-starre Geflecht der intellektuellen Kopfgedanken so zu verlebendigen, in Fluss zu bringen wie die Pflanze«, heißt es in einem Arbeitsbericht des biologisch-dynamischen Instituts in Darmstadt - Erleuchtung durch die Gurke.
»Ich darf hier Fragen stellen, die ich in der klassischen Wissenschaft nicht stellen könnte«, schwärmt Studentin Schumann. Das darf sie. Fragen wie »Was ist Meditation durch Bauern?« oder »Wie kommunizieren Biodyn-Bauern über das Spirituelle?« stehen auf der offiziellen Liste der Themenvorschläge für Diplomarbeiten. Auch »Kosmische Einflüsse als Bedingung der Zucht« gelten als würdiges Forschungssujet - Kuh-Horoskope aus dem Uni-Labor.
»Kritiklose Anbetung eines durchgedrehten Säulenheiligen« attestiert Hans-Jörg Jacobsen, Molekulargenetiker und voriger Präsident des Verbands Deutscher Biologen, den Steiner-Adepten. Auch dass sich der Chefanthroposoph für die Reinkarnation von Aristoteles hielt - nicht ohne Zwischenstation als Thomas von Aquin gemacht zu haben -, macht ihn nicht glaubwürdiger.
»Umso wichtiger, dass Steiners Ideen jetzt mal genau überprüft werden«, erwidert Studentin Schumann den Zweiflern. Genau das jedoch geschieht in Witzenhausen nicht, befürchten die Kritiker. »Das grundsätzlich Problematische bei den Steiner-Jüngern ist, dass sie dessen Lehren immer nur verifizieren wollen«, klagt Jacobsen. »Nie ziehen sie in Erwägung, dass die auch falsch sein könnten.«
Tatsächlich sollte schon oft der Wahrheitsgehalt der Steinerschen Ansichten bewiesen werden. Eine große Übersichtsstudie
hat dabei schon 1994 festgestellt, dass sich die wenigen Aussagen des Anthroposophen-Papstes, »die sich überhaupt wissenschaftlich testen lassen, als falsch herausgestellt haben«. Der Autor schließt: »Steiners Anweisungen sind okkult und dogmatisch und können nicht beitragen zur Entwicklung alternativer oder nachhaltiger Landwirtschaft.«
Steiner-Fan Baars ist trotzdem überzeugt, die Biodynamik gebe dem Ökolandbau, »der sich der konventionellen Landwirtschaft immer weiter annähert, ihre ursprünglichen Werte zurück«. Jacobsen hingegen meint, mit der Einrichtung des Lehrstuhls für Baars sei eine Grenze überschritten: »Mit dem gleichen Recht könnten die Raëlianer eine Professur für Reproduktionsbiologie, die Zeugen Jehovas eine für Religionswissenschaft oder die Trekkies eine solche für Physik einrichten.«
Der Kasseler Universitätspräsident Rolf-Dieter Postlep verteidigt die Förderung der Steiner-Jünger: »Wir haben hier selbstverständlich die gleichen Standards und Verfahren wissenschaftlicher Qualitätssicherung wie überall in der Wissenschaft.«
Wahr ist, dass Ton Baars die harte Prüfung der Berufungskommission bestanden hat. Und vieles von dem, was der Niederländer in Witzenhausen praktiziert, fügt sich auch durchaus in die seriöse Öko-Agrarforschung. Wer will ihm verweigern, dass er untersucht, wie es sich auf Kälbchen auswirkt, wenn sie der Mutterkuh nicht sofort nach der Geburt weggerissen werden, wie es in der Milchwirtschaft üblich ist? Wer soll etwas dagegen haben, dass er herausfindet, wie sich übermäßige Gaben von Entwurmungsmitteln oder Antibiotika bei Nutztieren vermeiden lassen?
Dass es jedoch nicht im Interesse einer Hochschule sein kann, das Steinersche Zerrbild der Welt als Wissenschaft zu verkaufen, hat vorige Woche auch die Kasseler Universitätsleitung bemerkt. Aufgeschreckt durch »Hinweise auf unwissenschaftliche Fragestellungen oder Methoden des Fachgebiets«, überlegt sie nun, ob sie das Fachgebiet nicht früher als geplant evaluieren kann.
Eigentlich ist die Überprüfung erst in vier Jahren vorgesehen - kurz bevor das Land Hessen den Lehrstuhl übernehmen würde. »Gerade weil ökologisch ausgerichtete Agrarwissenschaften es noch schwer haben in Forschung und Lehre«, sagt Postlep, »müssen an ihre wissenschaftliche Qualität in allen Fachgebieten besondere Ansprüche gestellt werden.«
Vorsichtshalber ließ die Uni am Dienstag komplette Kapitel von Baars' Website verschwinden. Weitgehend von Esoterik bereinigt, tauchten sie teilweise wieder auf. So beschäftigt sich eine Mitarbeiterin am Lehrstuhl plötzlich offiziell nicht mehr mit übersinnlichen »Lebens- oder Ätherkräften«. Völlig in den digitalen Äther entschwunden ist auch die Bemerkung zur Evolutionslüge nach Rudolf Steiner: »Im Biologisch-Dynamischen unterscheidet sich die Ansicht über die Evolution von den sonst üblichen (Neo-Darwinistischen) Meinungen.«
Das Außenbild ist nun geglättet. Im Gewächshaus aber steht weiterhin die Efeuaralie und treibt ihre Blätter im Rhythmus des Mondes. RAFAELA VON BREDOW