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GENTESTS »Es gibt kein Ronaldo-Gen«

Der Sportwissenschaftler Henning Wackerhage, 41, lehrt an der University of Aberdeen in Schottland.
aus DER SPIEGEL 19/2008

SPIEGEL: Ein großer europäischer Fußballverein ...

Wackerhage: ... dessen Namen ich Ihnen aber nicht verrate ...

SPIEGEL: ... hat Sie gebeten, per Gentest unter Nachwuchsspielern den nächsten Cristiano Ronaldo zu finden. Was haben Sie geantwortet?

Wackerhage: Erstens, dass es inakzeptabel ist, wenn Arbeitgeber ihre Angestellten genetisch durchforsten. Und zweitens, dass es den Test für das Ronaldo-Gen nicht gibt und wohl niemals geben wird. Das ist eine naive Vorstellung von Genetik. Der Superfußballer braucht Anlagen für ein Fußballergehirn, für Ballgefühl, Ausdauer - an einem solchen Talent sind mindestens 500 Gene beteiligt, und zwar je nach Individuum, ob bei Pelé oder Ronaldo, in ganz anderen Konstellationen.

SPIEGEL: Wären denn solche Tests bei anderen Sportarten aufschlussreicher?

Wackerhage: Dort, wo es auf wenige Faktoren ankommt, sind sie theoretisch vorstellbar, zum Beispiel beim 100-Meter-Lauf. Wer keine intakte Kopie des ACTN3-Gens hat, wird höchstwahrscheinlich kein Top-Sprinter. Mit so einem Test könnten wir vielleicht einmal einen signifikanten Teil des Sprinttalents vorhersagen, aber warum sollten wir? Wenn wir den Probanden auf die 100-Meter-Bahn stellen, erfahren wir mehr.

SPIEGEL: Hätten Gentests überhaupt einen Nutzen für Sportler?

Wackerhage: Wenn jemand Profifußballer werden will, könnte es für ihn hilfreich sein zu wissen, ob er Gene für starke oder schwache Sehnen hat. Wer Verletzungsgene hat, die etwa Bänderrisse begünstigen, der sollte sich die Berufswahl überlegen. Mit einem Gentest könnte auch ein Marathonläufer erfahren, ob er ein erhöhtes Risiko hat, dabei am plötzlichen Herztod zu sterben.

SPIEGEL: Sie sind gerade den London-Marathon gelaufen. Welchen Anteil haben Ihre Gene an Ihrer Zeit?

Wackerhage: Die Fähigkeit zur Ausdauerleistung ist etwa zu 50 Prozent vererbt. Diese Gene sind bei mir ganz okay, ich war 1989 Dritter bei den Deutschen Triathlon-Meisterschaften. Aber mein Marathontraining war nicht perfekt, denn ich arbeite ja ganz normal. Darum habe ich in London drei Stunden, zwölf Minuten und 30 Sekunden gebraucht. Auch mit den größten genetischen Gaben schafft man keine Marathon-Weltbestzeit, wenn man nicht jede Woche über 150 Kilometer läuft.

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