Ethische Grauzone
Rund 600 Millionen Euro wird die Impfkampagne gegen die Schweinegrippe kosten; Tamiflu und Relenza im Gegenwert von 90 Millionen hat die Bundesregierung eingelagert. Angesichts dieser Summen fragt sich, wie eng Wissenschaftler und Behörden mit der Pharmaindustrie zusammenarbeiten dürfen.
Aufschlussreich ist der Fall eines Verbands nach belgischem Recht, der als European Scientific Working Group on Influenza (ESWI) firmiert und sich zur Aufgabe gesetzt hat, die Gefahren einer Influenza-Pandemie ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.
Zusammengeschlossen haben sich in der Vereinigung wissenschaftliche »Meinungsführer auf dem Gebiet der Grippe«. Alleinige Geldgeber sind zehn Pharmaunternehmen, darunter GlaxoSmithKline, der Hersteller des deutschen Schweinegrippe-Impfstoffs, und Roche, Produzent des antiviralen Mittels Tamiflu.
Als einen seiner wissenschaftlichen Berater hat ESWI Walter Haas verpflichtet. Er ist jener Mediziner, der am staatlichen Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin die Maßnahmen koordiniert, mit denen Deutschland auf die Grippe-Pandemie vorbereitet wird.
Nach eigenem Bekunden ist ESWI ein unabhängiger Forscherverbund. Schon das Statut allerdings spricht eine andere Sprache: Politiker und Gesundheitsbehörden kläre der Verband über »die Vorteile und die Sicherheit von Influenza-Impfstoffen und antiviralen Medikamenten« auf, heißt es dort. Man wolle »eine Politik für die antivirale Bevorratung« initiieren.
Nach Auskunft von ESWI-Sprecher Derek Smith, Epidemiologe an der Eliteuniversität Cambridge, orientiert sich der Verbund »streng nach dem neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisstand«. Tatsächlich aber findet sich auf den ESWI-Web-Seiten unter anderem ein Werbefilm von Tamiflu-Produzent Roche.
Der britische Virologe John Oxford, Gründer einer Firma, die Dienstleistungen in der Influenzaforschung anbietet, erklärt dort in einem Film, aufgenommen vor Ausbruch der Schweinegrippe: »Ich wäre überrascht, wenn wir nicht innerhalb der nächsten zehn Jahre den Ausbruch einer Pandemie erlebten.«
Das ESWI-Mitglied Thomas Szucs schrieb im vergangenen Oktober im Fachblatt »Lancet Infectious Diseases«, dass in einer künftigen Influenza-Pandemie »nach konservativen Schätzungen bis zu 350 Millionen Menschen sterben«.
Der Haager Epidemiologe Luc Bonneux hat sich mit den Aussagen von ESWI befasst. Sein Fazit: ESWI sei ein »glasklarer Lobbyverein der Pharmaindustrie«. Die Informationen auf der Web-Seite hätten »genauso viel mit Wissenschaft zu tun wie McDonald's mit gesunder Ernährung«.
Regelmäßig organisiert ESWI Treffen mit Verantwortlichen des Gesundheitswesens. Das letzte fand am 25. September in Brüssel statt und war von 30 Vertretern aus 15 EU-Ländern besucht. Die Aktivitäten des ESWI in Deutschland verlaufen laut Smith »äußerst erfolgreich«.
Besonders stolz stimmt ihn, eine »hochkarätige Institution« wie das RKI und Walter Haas als unentgeltlichen Berater gewonnen zu haben. Das Robert-Koch-Institut wollte sich in der vorigen Woche dazu nicht äußern, Haas war nicht erreichbar.
Angela Spelsberg von der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International beklagt, das RKI bewege sich hier sowohl ethisch als auch rechtlich in einer Grauzone: »Es kann nicht sein, dass ein Amtsträger, der allein dem Wohl der Bevölkerung dienen soll, so eng mit einem Lobbyverein wie dem ESWI verbandelt ist.« GERALD TRAUFETTER