Milliardenhilfen für Flutopfer »Einfach genauso wieder aufbauen ist fahrlässig«

Deutschland muss mit mehr Extremwetter rechnen. Doch die bisherigen Anpassungsprogramme reichen nicht aus, um die Bürger zu schützen. Auch im Ahrtal darf es nicht weitergehen wie vor der Flutkatastrophe, sagen Forscher.
Foto: Friedemann Vogel / EPA

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Vier Wochen nach der Flutkatastrophe im Landkreis Ahrweiler sieht es dort immer noch aus wie nach einem Bombardement. Auf der Hauptverkehrsstraße durchs Ahrtal fahren Bagger und Laster, randvoll mit Schutt. Die Bahngleise hängen entlang des Flusses in der Luft, den Bahndamm hat es an vielen Stellen weggespült, massive Brückenpfeiler liegen verdreht im Flussbett. Die Aufräumarbeiten laufen ohne Unterlass, Helfer aus der ganzen Republik sind vor Ort.

Einer von ihnen steht am Straßenrand und deutet auf den Fluss: »Die Häuser sind viel zu nahe an den Fluss gebaut worden«. Der bärtige Mann mit Latzhose hat Verwandte in der Gegend und hilft aus, weil er die einst schöne Weingegend ins Herz geschlossen hat. »Für die Touristen hat man die Terrassen und Hotels immer näher ans Wasser ran gebaut«, sagt er. Nun würden die Häuser wieder an dergleichen Stelle aufgebaut.

Auf 30 Milliarden Euro werden die Kosten für den Wiederaufbau geschätzt. Eine Mammutaufgabe, die noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern dürfte. Am Dienstag will der Bundestag dazu ein Milliardenhilfspaket für die von der Flut betroffenen Gebiete verabschieden. Doch wie sinnvoll ist es, einfach wieder alles so aufzubauen, wie es vorher war?

Aufräumarbeiten in Bad Neuenahr im Juli kurz nach der Flutkatastrophe

Aufräumarbeiten in Bad Neuenahr im Juli kurz nach der Flutkatastrophe

Foto: Thomas Lohnes / Getty Images

»Wenn die Gelder nur für den Wiederaufbau, nicht für die Anpassung an künftige Extremwetter verwendet werden, sind sie schlecht investiert«, kritisiert Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UfZ). Zusammen mit über 20 Wissenschaftlern veröffentlichte er bereits kurz nach der Katastrophe einen Aufruf für ein bundesweites Klimaanpassungsprogramm . Das traurige Schicksal des Ahrtals müsse eine Lehre sein, aus der man auch Konsequenzen ziehe. »Wenn wir klug wären, würden wir aus der Eifel ein Vorzeigeprojekt für die Anpassung an den Klimawandel machen«, meint Schwarze. »Einfach alles wieder so aufzubauen, wäre fahrlässig.«

Im Gesetzentwurf der Regierung  zur »Errichtung eines Sondervermögens Aufbauhilfe 2021« kommen die Wörter Klima und Anpassung nicht vor. Wissenschaftler wie Reimund Schwarze warnen: Die Chance, die Region mit den Geldern klimasicher zu machen, sei einmalig und langfristig kostengünstiger.

Rudimentäre Anpassungsstrategie

Dass im Krisenfall medienwirksam eingesprungen wird, aber Anpassung an Wetterextreme nur ein Subthema der Klimapolitik ist, hat System. Zwar gibt es in Deutschland zahlreiche Bemühungen zur Klimaanpassung, aber in vielen Kommunen ist das Thema kaum präsent. »Wir haben eine Fragmentierung von Anpassungsmaßnahmen«, sagt Schwarze, der Kommunen in Sachsen-Anhalt zu diesem Thema berät. Es gebe viele Leitbilder und schlaue Ratgeber im Netz, aber grundsätzlich sei das Thema »unterentwickelt«. Vielen Kommunen fehlten die Gelder und die Kompetenz.

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Die Folgen der Flut in Bildern

Foto: Christof Stache / dpa

Bereits seit 13 Jahren gibt es die »Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel«. Damit soll ⁠die »Verletzlichkeit⁠ der deutschen Gesellschaft« verringert und die ⁠Anpassungsfähigkeit⁠ erhalten oder »sogar gesteigert« werden. Doch was konkret dabei herauskommt, ist eher etwas für Fachleute, als für Praktiker. Auch das Budget ist begrenzt: Im Jahr 2019 gab der Bund gerade mal sechs Milliarden Euro für das Programm aus. Im Jahr 2020 waren es im ersten Halbjahr sogar nur noch knapp über eine Milliarde, wie aus einer schriftlichen Anfrage der Grünen an die Bundesregierung hervorgeht. Im Klimaprogramm des Bundesumweltministeriums (BMU) wurden seit 2019 gar keine neuen Programme zur Anpassung gefördert, heißt es.

Einen deutschlandweiten Masterplan, wie sich Kommunen vor Extremwetter schützen können, die durch den Klimawandel immer häufiger werden, gibt es nicht.

»In der deutschen Anpassungspolitik herrscht zu viel Kleinstaatlichkeit«

Fred Hattermann, Hydrologe

Das gibt auch das Bundesumweltministerium zu: Einen »zentralen Haushaltstitel« oder ein »übergreifendes Finanzierungsinstrument für Anpassungsmaßnahmen« gebe es nicht, so eine Sprecherin gegenüber dem SPIEGEL. Dafür gebe es jede Menge Einzelmaßnahmen: Deutschlandweit an die 180 »in allen Handlungsfeldern«. Damit die oft klammen und personell ausgedünnten Kommunen im Förderdschungel durchblicken, gründete das Ministerium erst im Juli ein »Zentrum Klimaanpassung«, an das sich Vertreter von Gemeinden wenden können.

Das klingt angesichts der gigantischen Aufgabe, ganz Deutschland krisensicher zu machen, eher nach einem umständlichem Kleinklein. »Der Klimawandel holt uns gerade immer mehr ein aber unsere Infrastruktur ist nicht mehr an die neuen Bedingungen angepasst«, kritisiert auch der Hydrologe Fred Hattermann vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Es sei einfach zu viel auf einmal.

»Auch unsere kritische Infrastruktur wie Kraftwerke, Krankenhäuser oder Brücken sind durch vermehrte Extremereignisse wie Starkregen, Stürme und Hochwasser gefährdet – und damit steigt auch das Risiko für die Menschen.« Deshalb müssten jetzt dringend Risikoabschätzungen durchgeführt werden, beispielsweise wie viel Niederschlag auf einmal in einer Straßenunterführung abgeleitet werden kann oder welcher Flut die Deiche standhalten.

»Retreat« – der Mensch muss weichen

Dass es mehr Katastrophen durch Extremwetter geben wird, ist sicher. Der aktuelle Weltklimabericht belegt eindeutig mehr Hitzewellen und Starkregen für Deutschland, je weiter die Klimakrise voranschreitet. Vorsorge müsste deshalb das Gebot der Stunde sein, will man Opfer und Schäden begrenzen.

»Das Geld zur Anpassung an die Klimakrise fließt nicht ausreichend in die Regionen, die es so dringend brauchen«, kritisiert Lisa Badum, klimapolitische Sprecherin der Grünenfraktion. Es existiere überhaupt keine systematische Erfassung, wie viel Geld überhaupt zur Verfügung steht oder wofür es ausgegeben wird.

Die Grünen im Bundestag fordern deshalb die Einrichtung eines Klimavorsorge-Fonds von 25 Milliarden Euro jährlich für ganz Deutschland – ergänzend zu den Milliardenhilfen für die derzeit betroffenen Flutregion. »Die Bundesregierung stellt das Geld ins Schaufenster und sieht ihre Verantwortung erfüllt, dabei liegt das Problem in den Strukturen.«

Ein solch zentraler Fonds vom Bund wäre zumindest ein Anfang, finden Forscher wie Schwarze und Hattermann. Denn den Löwenanteil bei der Anpassung müssten die Kommunen schultern, dafür bräuchte es zugängliche Hilfen. Die meisten Maßnahmen könnten nur vor Ort koordiniert werden.

»Die Frage ist doch, welche Risiken man bereit ist, beim Wiederaufbau einzugehen«

Mark Lawrence, Direktor des Potsdamer Institutes for Advanced Sustainability Studies (IASS)

Dabei gehe es um ganz konkrete Umbauten: »Es muss dafür gesorgt werden, dass entsiegelt wird, also dass möglichst viel Wasser vor Ort versickern kann und Parkplätze und Straßen müssen darauf geprüft werden, wie viel Wasser bei neuen Extremniederschlägen abfließen könnte.« Auch die Umwandlung von flussnahen Grundstücken in Bauland und Gewerbegebiete müsse viel kritischer behandelt werden.

Laut Reimund Schwarze fehlt es in den Kommunen oft an einem Klima-Manager. Der könne solche Veränderungen anregen und zwischen den Verwaltungsapparaten vermitteln.

»Künftig muss es normal sein, dass Maßnahmen nicht nur auf ihre Klimafreundlichkeit, sondern auch auf ihre Anpassungsfähigkeit geprüft werden«, meint auch Mark Lawrence, Direktor des Potsdamer Institutes for Advanced Sustainability Studies (IASS). »Die Wahrscheinlichkeit, dass Überflutungen in vulnerablen Regionen wie Ahrweiler wieder passieren, ist um ein Vielfaches gestiegen und wird weiter steigen.«

Doch wie kann man Menschen nach einer solchen Katastrophe überzeugen, ihr Zuhause woanders wieder einzurichten? »Die Frage ist doch, welche Risiken man bereit ist, beim Wiederaufbau einzugehen«, meint Lawrence. Das sei der Moment, mit staatlicher Unterstützung möglicherweise einen neuen, sicheren Ort zum Leben zu suchen.

Im Umwelt- und Klimaministerium von Rheinland-Pfalz sieht man zumindest einen »dringenden Bedarf von Klimaanpassungsmaßnahmen«. Dazu gehöre auch ein »klimaangepasstes Bauen«, so eine Sprecherin gegenüber dem SPIEGEL. Allerdings sei es noch zu früh für »detaillierte Aussagen zum Wiederaufbau«.

Es müsse aber genau geprüft werden, ob Gebäude »an geeigneten, sicheren Stellen standen« und eventuell an sicheren Stellen wieder aufgebaut werden müssten. Auch eine Ausweitung des Überschwemmungsgebietes – also ein Rückzug oder »Retreat« des Menschen hält das Ministerium für sinnvoll.

Auch der UfZ-Forscher Reimund Schwarze hält das für ein wichtiges aber politisch heikles Thema: »Natürlich darf nicht über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden werden, aber es geht auch um ihre eigene Sicherheit«. Vorstellbar sind laut den Forschern auch Bürgerräte, die in die kommunalen Planungen einbezogen werden.

Darüber, ob die Katastrophe im Ahrtal auch zu einem deutschlandweiten Paradigmenwechsel in der Klimaanpassung führt, dürfte wohl ohnehin erst die nächste Regierung entscheiden.

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