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Umwelt Frage der Ehre

Streit unter den Atmosphärenforschern: Wer hat als erster das Ozonloch über dem Südpol gesichtet?
aus DER SPIEGEL 40/1996

Den Job am Ende der Welt könne er getrost annehmen, wurde dem jungen Meteorologen versichert. In der Antarktis habe er nichts anderes zu tun als daheim in Japan am Aerologischen Observatorium: Ozon messen, »keine schwere Arbeit«.

Shigeru Chubachi, heute 48, ließ sich damals, im Herbst 1980, schnell überreden. Kaum ein Jahr später zog er in die Eiswüste am Südpol, bereit, einen entbehrungsreichen Routine-Dienst zu verrichten.

Statt dessen wurde der Nachwuchsforscher zum frühesten aktenkundigen Zeugen einer globalen Umweltgefahr. Die Bodenmeßgeräte in der japanischen Antarktisstation Syowa registrierten am 4. September 1982 erstmals jenes Phänomen, das später die Bezeichnung »Ozonloch« erhielt: Chubachi entdeckte über Syowa episodische Ozonverluste von fast einem Drittel gegenüber den Normalwerten.

Erwartungsvoll reiste der Japaner 1984 zur Welt-Ozon-Konferenz ins griechische Halkidiki. Dort aber, erinnert sich der US-Atmosphärenchemiker und letztjährige Chemie-Nobelpreisträger Frank Sherwood Rowland, »war niemand von Chubachis Meßwerten beeindruckt«.

Die kollektive Ignoranz kann nicht allein am doppelten Handikap des Japaners - klägliches Englisch, enorme Schüchternheit - gelegen haben. Chubachis Ergebnisse standen später im wissenschaftlichen Tagungsband. Auch da aber nahm kaum jemand davon Notiz.

Die Meriten für die Entdeckung des Ozonlochs steckten andere ein, nur Monate später. Die britischen Antarktisforscher Joe Farman, Brian Gardiner und Jonathan Shanklin berichteten gleichfalls über gravierende Ozonverluste am Südpolhimmel. Ihre Arbeit erschien im Mai 1985 im renommierten Wissenschaftsblatt Nature.

Seither darf insbesondere Farman, der erstgenannte Autor, die Entdeckerehre für sich beanspruchen. Der Name Chubachi taucht nicht einmal im Literaturanhang des Nature-Artikels auf - entgegen der sonst geübten Gepflogenheit, ältere wichtige Arbeiten zum selben Thema aufzuführen. Eine Frage der Ehre, die im Falle des Japaners schmählich mißachtet wurde?

Die Nature-Gutachter, soviel steht fest, kannten das Papier Chubachis. Sie hatten es eigens aus Japan angefordert, wofür sich ein alter Mitstreiter des Zukurzgekommenen, der Meteorologe Kohji Kawahira, 53, verbürgt. Auch Farman bestätigt das. Sein Kommentar: Die Studie der Briten sei damals längst veröffentlichungsreif gewesen, Chubachis Arbeit mithin zu spät gekommen.

Chubachi schleppt noch immer trotzig Nachdrucke seiner Originalveröffentlichungen mit sich herum, wenn er seinesgleichen über den Weg läuft, so auch beim 18. Welttreffen der Ozonforscher Mitte September im italienischen L''Aquila. Dem verdutzten Auditorium diente der Japaner stapelweise seine alten Artikel an - was auch den amerikanischen Kollegen ziemlich peinlich war.

Denn den Männern der US-Raumfahrtbehörde Nasa haftet in Sachen Ozonloch nach wie vor der Makel der Schusseligkeit an: Die Sensoren an Bord des US-Satelliten Nimbus 7 hatten seinerzeit gleichfalls die abnormen Ozonverluste registriert; sie wurden aber, wie seither kolportiert wird, von den Forschern als vermeintliche Meßfehler zu den Akten gelegt.

»Das ist definitiv nicht wahr«, empört sich Donald Heath, 65, damals am Goddard-Raumfahrtzentrum der Nasa in Greenbelt, US-Staat Maryland. Der Physiker hatte in den siebziger Jahren die ersten Instrumente zur Ozonmessung aus dem All entwickelt. Auch Richard Stolarski, 54, wie Heath Mitglied des Goddard-Teams, dementiert: »Wir haben alle Ausreißer mit Fähnchen versehen und sie überprüft.«

Was aber nichts half. Die Goddard-Crew glaubte eher an eine Geräte-Macke als an Ozon-Minimalwerte von bis zu 180 Dobson-Einheiten*. Tatsächlich hatten die Nasa-Spezialisten Gründe, konsterniert zu sein:

* Theoretisch war zwar längst bekannt, daß Fluorchlorkohlenwasserstoffe der Ozonschicht schaden können; alle Computermodelle sagten jedoch ur-

* Die Ozonschichtdicke wird in Dobson-Einheiten (DU) gemessen. Werte unter 180 DU gelten als Kriterium für ein »Ozonloch«, 300 DU und mehr als normal.

sprünglich nur Ozonschäden in beträchtlich größeren Himmelshöhen voraus;

* keine der Simulationen prophezeite derart drastische Ozonverluste, wie sie von dem Nasa-Satelliten gemessen wurden;

* die Sensoren von Nimbus 7 waren noch neuartig und ohne Vorbild, dazu arg strapaziert auf ihrem Kontrollflug durchs All; extreme Meßwerte konnten deshalb leicht als Indiz für Probleme mit den Instrumenten gelten.

Wahr ist aber auch: Heath und sein Kollege Arlin Krueger, die Erfinder der Ozon-Meßfühler im Orbit, waren einsame Kämpfer. 1984 wollte das Nasa-Hauptquartier von der eigenen Wissenschaftler-Riege wissen, welche ihrer Projekte wertvolle Daten lieferten und weitere Unterstützung verdienten. »50, 60, vielleicht 70 Anträge« gingen ein, erinnert sich Stolarski. Nicht ein einziger Forscher empfahl, mehr Geld in das Ozon-Beobachtungsprogramm zu stecken.

Heute grämt sich Ex-Nasa-Mann Heath, »nicht aggressiv genug für meine Sache gekämpft« zu haben. Die Nasa publizierte ihre Ozondaten erst 1986. Immerhin zeigten sie endlich das volle Ausmaß des Schlamassels am Himmel über dem Südpol.

Der Brite Farman erkannte zwar als erster, für den Ozonabbau müsse Chlor mitverantwortlich sein. Doch die chemischen Abläufe, die er zur Erklärung des Ozonlochs vorschlug, erwiesen sich als weitgehend falsch.

Den Ruhm des pfeifenrauchenden Antarktis-Pioniers schmälerte das nicht. Farman in L''Aquila: »Wir haben die Welt verändert.«

[Grafiktext]

Ozonverteilung im Oktober 1982

[GrafiktextEnde]

* Die Ozonschichtdicke wird in Dobson-Einheiten (DU) gemessen.Werte unter 180 DU gelten als Kriterium für ein »Ozonloch«, 300 DUund mehr als normal.

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