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AUTOMOBILE Früchte des Reichtums

Mit dem neuen 911 kehrt Porsche zum klassischen Design zurück. Die Konstrukteure fürchten besonders den Vorwurf, die Sportwagen-Ikone sei verweichlicht.
aus DER SPIEGEL 25/2004

Blechpressen gehören zu den teuersten Anlagen im Automobilbau. Die Hersteller bevorzugen deshalb Formen, die möglichst wenige davon erforderlich machen. In drei bis vier Stanzvorgängen, so genannten Zugstufen, ist ein Karosserieteil gewöhnlich fertig.

Anders beim Porsche 911. Traditionell sind sieben Zugstufen nötig, um das Wagenheck der Sportwagen-Ikone auszuformen.

Auch für den neuen 911, der im Juli zu Preisen ab 75 200 Euro auf den Markt kommt, wird das Blech siebenfach gebogen. Pompöser noch als beim Vorgänger wölben sich die Kotflügel. Die Räder stehen drei Zentimeter weiter auseinander.

Gestalterisch verkörpert der Wagen einen klaren Rückschritt - und damit das Ende einer kurzen Design-Irrfahrt: Der 911 sieht wieder aus wie ein 911. Runde Scheinwerfer blicken wieder keck aus markanten Kotflügeln. Auch das Interieur folgt wie früher einer klaren, geradlinigen Formensprache.

Der Vorgänger - obgleich im Handel durchaus erfolgreich - galt unter Puristen als verhunzt. Statt der traditionell runden Scheinwerfer trug er amorphe Gebilde mit integrierten Blinkern, allgemein als »Spiegeleier« verspottet. Sie wurden mehrfach abgeändert, aber nie wirklich schön.

Vor allem waren sie Ausdruck eines Spardiktats. Vorstandschef Wendelin Wiedeking, inzwischen als Retter von Porsche gefeiert, musste damals eisern die Kosten drücken. Und ein Kombi-Scheinwerfer, der alle Leuchtelemente in sich trägt, war eben erheblich billiger.

Mit einer sensationell günstigen Investitionssumme von 1,6 Milliarden Mark entwickelte Porsche Mitte der Neunziger die Baureihen Boxster und 911 gemeinsam. Kompromisse durch Gleichteile - die Frontpartien beider Modelle waren identisch - ließen sich dabei nicht vermeiden.

Inzwischen ist Porsche saniert, und die neuen Sportwagengenerationen (der nächste Boxster kommt zum Jahresende) werden Früchte des zurückgewonnenen Reichtums sein. Sie sind keine Parallelentwicklungen mehr, haben keine gemeinsamen Blechteile, dafür anspruchsvollere Technik und mehr Varianten. So wird der neue 911er mit zwei Motorisierungen angeboten, dem bekannten 3,6-Liter-Boxermotor (325 PS) und einer neu entwickelten 3,8-Liter-Version (355 PS), die das Modell Carrera S antreibt.

Mehr denn je haben die Entwickler in das Fahrwerk investiert. Als erster Porsche-Sportwagen bekommt der neue 911er eine elektronisch gesteuerte, variable Stoßdämpfung. Das System, im Basismodell gegen Aufpreis, im 3,8-Liter serienmäßig erhältlich, unterscheidet zwischen einer Normal- und einer Sportstellung, die der Fahrer über einen Schalter in der Mittelkonsole einschalten kann. In beiden Bereichen wird die Härte der Stoßdämpfer elektronisch beeinflusst - einmal in einer geschmeidigeren, einmal in einer etwas strafferen Spannbreite.

Was bei Porsche einer Revolution gleichkommt, ist im Großserien-Automobilbau teilweise bereits Standard. Eine elektronische Dämpferregelung hat etwa der neue Opel Astra serienmäßig.

Gleichwohl können auch Sportwagen von derlei Luxus profitieren. »Auto, Motor und Sport« testete das System und notierte: »Einen so komfortablen Porsche gab es noch nie.«

Die Konstrukteure sehen in dem Testurteil allerdings ein vergiftetes Kompliment. Laut Rainer Wüst, dem Leiter der Fahrwerksentwicklung bei Porsche, war es keinesfalls das Ziel, das Auto komfortabler zu machen, sondern »die sportliche Richtung auszubauen«. Schon die Normal-Stellung, beteuert Wüst, sei generell straffer abgestimmt, könne aber durch die elektronische Regelung »zeitweise etwas weicher« ausgelegt werden.

Kaum etwas schreckt die Konstrukteure mehr als der Vorwurf, der Ur-Sportwagen 911 sei unter ihren Händen verweichlicht. Sie fürchten den Zorn eines nicht ganz unwesentlichen Teils der Klientel, die vom Sportgeist getrieben ist und keinerlei Kompromisse wünscht.

Als König aller Prüfstände gilt Puristen nach wie vor die Nordschleife des Nürburgrings, eine der anspruchsvollsten Rennstrecken der Welt. Den 20,8 Kilometer langen Rundkurs in der Eifel absolviert ein »routinierter Fahrer« laut Porsche-Angaben mit dem neuen Carrera S etwa 20 Sekunden schneller als mit dem Vorgänger. Beim Modellwechsel davor betrug der Fortschritt nur sechs Sekunden. Für alle, die sich und das Auto prüfen wollen, liefert Porsche nun auch eine Stoppuhr, die mitten aufs Armaturenbrett gepflanzt wird.

Dass der Fortbestand des Unternehmens aber durchaus auch von Kunden abhängt, die Sport allenfalls aus dem Fernsehen kennen, zeigen andere Sonderausstattungen des neuen Porsche 911.

Manch beleibten Porsche-Fahrer drückten die engen Sitzschalen bisher arg am Gesäß. Erstmals bietet der Hersteller Abhilfe: Auf Wunsch gibt es »adaptive Sportsitze« mit verstellbaren Seitenwangen.

CHRISTIAN WÜST

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