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Automobile Fuß vom Gaspedal

VW ist auf dem Weg zum »Sparauto« - und wird dabei abgebremst von Bonn.
aus DER SPIEGEL 46/1993

So ganz genau wissen die Bonner Palaverer alle nicht, wie das Vehikel beschaffen sein soll, das sie den Autoherstellern so dringlich abverlangen. Der SPD-Politiker Oskar Lafontaine nannte es »Benzinsparauto« - »die Industrie« möge es gefälligst »endlich bauen«.

Ein »verbrauchsoptimiertes« Leichtgewicht, wie es manchen Umweltschützern vorschwebt, darf es nach Ansicht der Fachleute allerdings nicht sein. Zwar seien zwei Liter Verbrauch je 100 Kilometer möglich. Aber dies gelänge nur um den Preis mangelhafter Alltagstauglichkeit: auf rollwiderstandsarmen Reifen, fast so dünn wie eine Knackwurst, und unter Hinnahme schwerwiegender Nachteile für die Unfallsicherheit.

Der Experimentierkraftwagen »Vesta«, den die Umweltschutzorganisation Greenpeace aus dem Renault-Museum entlieh und auf der letzten IAA zur Schau stellte, war ein Paradebeispiel für das konsequent einseitige Konstruktionsziel. Mit einem so gearteten Gefährt würden vermutlich sogar die gutwilligsten Öko-Fahrer nicht klarkommen.

Als ausgemacht gilt daher unter Ingenieuren, daß ein Sparauto kein Frugalauto sein soll. Angepeilt wird ein kompaktes Vollauto, das vier Personen samt Gepäck Platz bietet, etwa drei Liter Sprit konsumiert und dabei alle Vorschriften für den Schutz der Umwelt und der Insassen berücksichtigt - für Käufer nach Auskunft der Techniker »noch etliche Jahre« entfernt.

Vorletzte Woche aber feierten die VW-Ingenieure, was sie schon als einen »gewaltigen Schritt« zum serienreifen »Drei-Liter-Auto« ansehen, das sie »bis Ende dieses Jahrzehnts« entwickeln wollen: Der Ecomatic-Golf kam auf den Markt. Mit diesem Auto, dessen Motor sich unterwegs auf geisterhafte Weise immer dann abstellt, wenn er nicht gebraucht wird, feierten sich die Wolfsburger selbst als »weltweit ersten Autohersteller«, der eine brauchbare »Öko-Antriebstechnik« anbiete.

»Das ist alles so logisch wie nur was«, erläuterte Entwicklungschef Ulrich Seiffert sein Sparsystem und empfahl Kritikern »tagelange Testfahrten, um diese neue Sparphilosophie bis zur vollen Genüßlichkeit« zu ergründen. Seit 1978 hatten seine Leute an der elektronisch gesteuerten Automatik gearbeitet, die einen Stadtfahrtverbrauch von 4,6 Litern beziehungsweise 4,9 Litern im »Drittelmix« (Tempo 90/120/Stadtverkehr) ermöglicht.

Der mit einem herkömmlichen Dieselmotor (64 PS) ausgerüstete Wagen hat kein Kupplungspedal, wird gleichwohl von Hand geschaltet ("Halbautomatik"). Sobald der Fahrer den Fuß vom Gaspedal nimmt (etwa beim Ampelstopp, beim Ausrollen oder Bergabfahren), stoppt die Systemautomatik den Motor, der sogleich wieder anspringt, sobald der Fahrer das Gaspedal betätigt.

Die erstaunliche, wenngleich gewöhnungsbedürftige Handhabung macht diesen Golf wegen seiner vielen Stopp-Phasen für nahezu 60 Prozent der Fahrzeit zum umweltfreundlichsten aller Autos mit Verbrennungsmotor.

Die Wolfsburger sind sich sicher, alle etwaigen »Kinken« bedacht zu haben: Ihr Sparauto hat einen riesenhaften Stromvorrat, genug, »um theoretisch neun Stunden mit stehendem Motor und vollen Scheinwerfern« rollen zu können; der (häufiger als üblich) benutzte Anlasser werde in keiner Weise überstrapaziert.

Im Dieselmotor als der derzeit wirtschaftlichsten aller Wärmekraftmaschinen erblickt VW auch das einzig geeignete Triebwerk für die Weiterentwicklung seiner Ecomatic-Autos. Für den Fall, daß »extreme Verbrauchsvorschriften wirksam werden«, kann sich Porsche-Entwicklungsvorstand Horst Marchart sogar einen Porsche-Sportwagen mit Turbodiesel vorstellen.

Wegen seines Minderverbrauchs von 20 Prozent gegenüber einem vergleichbaren Ottomotor entscheiden sich, wie stets in schlechten Zeiten, immer mehr Käufer für einen Diesel, einstweilen jeder siebte, bei der Mercedes-S-Klasse gar jeder fünfte Erwerber. Aber die Bonner Steuereinnehmer machen dem Diesel-Autokäufer, dessen Auto ohnehin teurer als ein Otto-Modell ist, das Sparen schwer.

Zwar wurde die Mineralölsteuer für Dieselkraftstoff mit Wirkung vom 1. Januar 1994 nur um 8 Pfennig (gegenüber 18 Pfennig für Benzin) erhöht. Zugleich aber steigt die Kraftfahrzeugsteuer von 22,10 Mark auf 29,60 Mark je 100 ccm Hubraum, mehr als das Doppelte der Otto-Steuer (13,20 Mark). Sparwillige müssen mit vergleichsweise gewaltigen jährlichen Fahrstrecken kalkulieren, damit sich ihr Diesel rechnet.

Noch weniger Anreiz bietet der Golf Ecomatic, der wegen seiner aufwendigen Spartechnik 2300 Mark mehr kostet als ein herkömmlicher Diesel-Golf.

Die Wolfsburger versuchten vergebens, für Ecomatic-Käufer steuerliche Vergünstigungen wie einst für den geregelten Katalysator herauszukitzeln. Nunmehr erblicken sie ihre Kundschaft für das im sächsischen VW-Werk Mosel gefertigte Sparauto ehestens bei Ämtern und Gewerbetreibenden, deren Fahrer vorwiegend im Stadtverkehr unterwegs sind. Für Privatkäufer appellierte ein VW-Sprecher an den Idealismus: »Sie müssen was für die Umwelt übrig haben.«

»Wetten, daß der Würgegriff des Fiskus«, so mutmaßte das Fachmagazin Auto, Motor und Sport, »auch mit dem sinnvollsten technischen Fortschritt fertig wird?« Y

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