AIDS Geheimnisvolles Muster
Als Beauftragte des Gesundheitsdienstes im zentralafrikanischen Staat Ruanda vor drei Jahren nach Opfern der Immunschwäche Aids forschten, wurden sie gerade in einem Fall fündig. 1984 registrierten sie 86 Erkrankungen. In diesem Jahr sind es schon über 250.
In Kigali, der Hauptstadt Ruandas, sind nach Schätzungen von Experten jeweils 80 von 100 000 Einwohnern an Aids erkrankt - ein mehr als zehnmal so hoher Prozentsatz wie in den Vereinigten Staaten. 280 Aids-Todesfälle meldete Ruanda (fünf Millionen Einwohner) schon Mitte des Jahres, mehr als doppelt so viele wie in der zwölfmal so volkreichen Bundesrepublik.
»Aids in Afrika« - so lautet das Generalthema eines Kongresses, zu dem sich mehr als 500 Aids-Experten aus zahlreichen Ländern Ende dieser Woche in Brüssel treffen. Damit reagieren die Aids-Forscher auf die seit einigen Monaten immer zahlreicher werdenden Meldungen über eine bedrohliche Ausbreitung der Seuche auf dem afrikanischen Kontinent.
Nach allem, was bisher bekannt wurde, schlägt das Virus in Afrika noch bösartiger zu als in den westlichen Industrieländern: *___Aids breitet sich dort offenbar hauptsächlich über ____heterosexuelle Kontakte,
also den Geschlechtsverkehr zwischen Mann und Frau, aus; in Amerika dagegen haben sich nur ein Prozent der Aids-Kranken auf diesem Wege mit dem Virus infiziert. *___In Afrika sind Männer und Frauen im Verhältnis 1,2 zu ____eins, also nahezu gleich stark von der Krankheit ____betroffen; in den USA sind es über zehnmal so viele ____Männer wie Frauen. *___22 Prozent der in Ruanda registrierten Aids-Kranken ____waren Kinder, zumeist unter drei Jahren; der Anteil der ____Kinder in den USA liegt bei 1,4 Prozent.
Ein »Aids-Gürtel«, so die Londoner »Times«, zieht sich quer durch den afrikanischen Kontinent. Betroffen sind vor allem Länder Zentral- und Ostafrikas, von Zaire im Westen bis Kenia an der afrikanischen Ostküste (siehe Graphik Seite 275). Westlichen Experten gibt die Ausbreitung Rätsel auf. »Aids in Afrika«, formulierte Lawrence K. Altman, Medizinreporter der »New York Times«, nach umfangreichen Recherchen in Kenia und Ruanda, »folgt einem geheimnisvollen Muster.«
Auf einer Konferenz afrikanischer Gesundheitsexperten in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, wurde Ende Oktober der offensichtlich von westlichen Ländern abweichende Übertragungsmodus der Krankheit diskutiert. Promiskes Verhalten zwischen Männern und Frauen, unabhängig von bestimmten Formen des Geschlechtsverkehrs, ist nach Ansicht des Brüsseler Mediziners Nathan Clumeck, der ein belgisches Expertenteam in Ruanda leitete, der Hauptrisikofaktor bei den Afrikanern.
Weibliche Prostituierte spielen dabei offenbar eine Schlüsselrolle. 80 Prozent der Prostituierten in Ruanda, so ermittelten amerikanische und belgische Wissenschaftler, sind bereits mit dem Aids-Virus HTLV-3 infiziert. Bei Untersuchungen von Prostituierten in der kenianischen Hafenstadt Mombasa kamen die Forscher zu ähnlich hohen Ergebnissen: Von 90 getesteten Frauen reagierten mehr als die Hälfte Aids-positiv.
Die größte Zahl der Aids-Opfer findet sich in der gutverdienenden Mittel- und in der Oberschicht. In den Städten liegen die Aids-Raten bis zu fünfmal höher als auf dem Land. Beängstigende Ausmaße könnte die Seuche vor allem deshalb annehmen, weil sie ihre Opfer nicht wie in Amerika oder Europa in eng umgrenzten Risikogruppen (Homosexuelle, Drogenabhängige, Bluter) sucht.
Mehrere Forscher, darunter auch der Frankfurter Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch, hatten darauf hingewiesen, daß der Analverkehr zwischen Heterosexuellen - als Mittel der Empfängnisverhütung - »in südlichen Ländern sehr verbreitet« sei, dies könne den hohen Anteil Aids-infizierter Frauen erklären. Die Annahme hat sich, wie der belgische Mediziner Clumeck mitteilte, in Befragungen nicht bestätigt: Aids-Infizierte gaben an, keinen Analverkehr gehabt zu haben.
Etwa die Hälfte der Aids-Kranken und -Infizierten in Afrika sind Frauen im gebärfähigen Alter. Der Aids-Virus kann im Mutterleib, theoretisch aber auch noch über die Muttermilch auf das Kind übertragen werden. Damit werde der ohnehin meist unterernährte Nachwuchs zu einer »bedrohten Spezies«, warnen Ärzte in Kigali und in Kinshasa, der Hauptstadt von Zaire.
Dennoch besteht bei den afrikanischen Regierungen die Neigung, das Thema Aids herunterzuspielen. »Wir ziehen es vor, uns auf den Kampf gegen Malaria, Diarrhoe, Parasitenkrankheiten und Unterernährung zu konzentrieren«, erklärte Francois-Xavier Hakizimana,
Generalsekretär im Gesundheitsministerium von Ruanda - in einem Land, das pro Einwohner jährlich knapp vier Mark für Gesundheitsfürsorge aufwenden kann.
Anders als in westlichen Industrieländern geben die meisten männlichen Aids-Opfer in afrikanischen Ländern an, sie hätten keine homosexuellen Kontakte gehabt. Spritzennadeln und Blutkonserven, die mit dem Virus infiziert sind, könnten, wie afrikanische Mediziner meinen, zur epidemischen Ausbreitung der Krankheit beigetragen haben. Doch in Ruanda oder Zaire fehlen Labors, um solche Vermutungen zu bestätigen. Auch wird es sicherlich noch Jahre dauern, bis afrikanische Kliniken in der Lage sein werden, Blutkonserven auf Aids-Viren zu testen.
Bislang stoßen westliche Aids-Experten bei vielen Afrikanern auf Ablehnung und Schweigen. Einige Länder aus dem bedrohten Gürtel haben aus Angst, die Aids-Meldungen könnten Touristen fernhalten, alle Informationen nach außen unterbunden.
In Kinshasa, wo nach den Erkenntnissen belgischer Mediziner bereits 30 von 100 000 Menschen an Aids erkrankt sind, bestreiten Regierungsvertreter pauschal die Existenz eines Aids-Problems. Bislang liegen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf aus dem gesamten Kontinent nur 23 Aids-Meldungen vor, alle aus Südafrika.
Zu vermuten steht überdies, daß in den Ländern des »Aids-Gürtels« eine große Zahl von Aids-Fällen entweder von Medizinern nicht erkannt wird oder den Ärzten gar nicht zu Gesicht kommt. So ist etwa Professor Herbert Schmitz, Virologe am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenkrankheiten, »hundertprozentig davon überzeugt«, daß es sich bei der sogenannten »Slim Disease«, einer seit 1982 in Uganda auftretenden Erkrankung mit Aids-ähnlichen Symptomen, um nichts anderes als Aids selbst handelt.
»Die Theorie, Aids habe sich von Zentralafrika her über die Karibik in die USA ausgebreitet«, schrieb letzten Monat das Ärzte-Magazin »Selecta«, »setzt sich immer mehr durch.« Doch auch diese Hypothese ist keineswegs unumstritten.
Der Behauptung, das HTLV-3-Virus stamme ursprünglich von einer in Afrika beheimateten Affenart, den »Grünen Meerkatzen«, wird von den Afrikanern wütend widersprochen. Es handle sich, so meinte die »Ghanaian Times«, um den »beschämenden, geschmacklosen und dummen Versuch, das jüngste Problem der Weißen vor die Tür der Schwarzen zu kehren«.
Auch mache europäische Experten haben Zweifel an der These, Aids stamme aus Afrika. Wissenschaftler in Hamburg und Göttingen untersuchten Proben tiefgefrorener Blutseren aus Afrika. Antikörper gegen Aids-Erreger fanden sich dabei nur in Blutkonserven, die jünger waren als drei Jahre. »Vorher«, so der Hamburger Tropenmediziner Herbert Schmitz, »war da nichts.« Aids, glaubt Schmitz, sei »garantiert« von Weißen importiert worden.
Die Stimmen, die vor einer drohenden Gesundheitskatastrophe auf dem medizinisch ohnehin unterversorgten afrikanischen Kontinent warnen, werden indessen immer lauter. »Wenn wir nicht mit Hochdruck darangehen, diese Epidemie unter Kontrolle zu bringen«, erklärte der belgische Mediziner Clumeck, »werden wir riskieren, daß in Afrika ein nicht mehr aus der Welt zu schaffendes Reservoir des tödlichen Virus entsteht.«
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