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»Hackethal und kein Ende?«

Zahlreiche SPIEGEL-Leser erkundigten sich letzte Woche, wie die von Professor Julius Hackethal im SPIEGEL-Gespräch (4/1986) vorgetragenen »Antikrebs-Thesen« und seine angeblichen Heilerfolge mit dem Hormon-Blocker »Suprefact« von Fachleuten beurteilt würden. Der SPIEGEL bat zwei Experten auf dem Gebiet der Krebsbehandlung um ihre Stellungnahme. Professor Walter M. Gallmeier, Vorstand der 5. Medizinischen Klinik und des Instituts für Medizinische Onkologie und Hämatologie, Klinikum der Stadt Nürnberg: *
aus DER SPIEGEL 5/1986

Hackethal und kein Ende? Doch, ein Ende ist in Sicht, wie das letzte SPIEGEL-Gespräch gezeigt hat. Es war erhellend und von menschlicher Tragik. Ein Teil der Öffentlichkeit jedoch, an Schwarzweiß-Malerei gewöhnt, wollte oder konnte wieder nur Sensation sehen.

Ich stelle fest: Hackethal hat keine neue Krebstheorie, die weiterhilft. Er formuliert seine Einsichten über »Zellweiber« und »Mikroseelen« und verallgemeinert in unzulässiger Weise die bekannte Tatsache, daß einige Tumorerkrankungen hormonabhängig sind. In Wirklichkeit wissen wir seit langem, daß nur wenige Krebskrankheiten mit Hormongabe oder Hormonentzug in ihrem Wachstum gebremst werden können.

Hackethal hat auch keine neue Krebstherapie. Buserelin (Markenbezeichnung: Suprefact) ist seit einiger Zeit in Apotheken erhältlich und für die Behandlung des Prostatakrebses zugelassen. Urologen und Onkologen setzen es im fortgeschrittenen Stadium dieser Erkrankung mit gutem Erfolg ein und sehen Tumorrückbildungen. Die Ergebnisse beim Brustkrebs sind noch widersprüchlich, bessere Mittel stehen zur Verfügung. Es gibt keinerlei Hinweise, daß etwa, wie behauptet, Magenkrebs, Lungenkrebs oder Knochenkrebs auf dieses Medikament ansprechen.

Wer Kranken von einer Operation oder anderen bekannt wirksamen Therapieformen abrät, um sie mit Suprefact zu behandeln, begeht einen gefährlichen Kunstfehler. Ich möchte Kranke warnen, bewährte Behandlungsmethoden bei Fachleuten zurückzustellen, um sich mit Suprefact therapieren zu lassen (das Prostatakarzinom ausgenommen).

Hackethal übersieht: Das Krebsmittel gibt es nicht und wird es auch nicht geben, genausowenig wie den Krebs. Wir haben eine Vielzahl von bösartigen Erkrankungen vor uns, die unterschiedlich behandelt werden müssen. Einige bedürfen der Operation, andere müssen bestrahlt, wieder andere mit Medikamenten angegangen werden. Auch die Chancen sind je nach Erkrankung unterschiedlich.

Bei manchen gelingt eine Heilung, bei anderen kann ein lebenswertes Leben verlängert werden. Es gibt auch Krebserkrankungen, für welche die Medizin heute noch keine wirksame Therapie anbieten kann. Sie muß sich hier mit der Bekämpfung von Schmerz und anderen Symptomen bescheiden. Weltweit wird nach neuen Wegen gesucht. Dies geschieht nach bestimmten Regeln. Zielloses Herumprobieren kann nicht die Lösung bringen. Erfolge werden in kleinen Schritten realisiert. Das neue Arzneimittelgesetz macht klare Aussagen zum Schutz der Kranken, wenn es darum geht, neue, noch unerprobte Mittel in ihrer Wirkung zu erforschen.

Die hier ablaufende Diskussion ist ein typisches Beispiel für das »autistischundisziplinierte Denken in der Medizin«, das Eugen Bleuler 1919 so beschrieb: »All das ist Resultat eines Denkens, das keine Rücksicht nimmt auf die Grenzen der Erfahrung, und das auf eine Kontrolle der Resultate an der Wirklichkeit und eine logische Kritik verzichtet ... Es ist deshalb das autistische Denken genannt worden. Dieses hat seine besonderen von der (realistischen) Logik abweichenden Gesetze, es sucht nicht Wahrheit, sondern Erfüllung von Wünschen ... »

Fragen bleiben offen: Wer schützt die Öffentlichkeit, das heißt Kranke und verzweifelt Hoffende, vor unseriöser, unwahrer und reißerischer Berichterstattung über Krebstherapie in der Boulevardpresse? Welche Rolle soll freiwillige Selbstkontrolle der Presse in Zukunft spielen?

Wie lange noch dürfen Ärzte in Sachen Krebs alles behaupten, ohne den Beweis der Richtigkeit hierfür antreten zu müssen? Wie lange noch dürfen Ärzte Krebskranke nach Belieben und Gutdünken behandeln, ohne die bewährten (wenn auch nicht stets heilenden) Prinzipien zu beachten?

Kein Pilot in der zivilen Luftfahrt darf seinem Beruf nachgehen, ohne regelmäßig

den Befähigungsnachweis für sein Tun abzulegen. Kein Prüfungsingenieur darf Brücken oder Häuser überprüfen, ohne regelmäßig den Nachweis seiner Fachkunde zu erbringen. Ist die Tätigkeit des Arztes weniger verantwortungsvoll? Nicht der Staat oder die Juristen sind hier gefordert, sondern die standesrechtlichen und akademischen Selbstverwaltungsinstanzen der Ärzteschaft.

Kompetenz, ärztliche Verantwortung und Bescheidenheit sind die Säulen, auf denen jedes ärztliche Tun beruhen muß. In dem Selbstporträt, das Herr Professor Hackethal von sich im SPIEGEL-Gespräch zeichnete, habe ich all dies vermißt.

Professor Gerhard Nagel, Göttingen, und ich sind bereit, die von Professor Hackethal behandelten Patienten zu untersuchen und deren Krankengeschichte zu begutachten.

Professor Carl Gottfried Schmidt, Direktor der Inneren Universitätsklinik und Poliklinik (Tumorforschung), Westdeutsches Tumorzentrum Essen:

Die Hormonbehandlung ist eine wirksame Therapiemaßnahme für hormonempfindliche Krebsarten in fortgeschrittenen Stadien. Durch die Entfernung der Eierstöcke läßt sich eine vorübergehende Rückbildung eines fortgeschrittenen Brustkrebses erreichen. Ebenso führt die Entfernung der Hoden oder Zuführung von weiblichen Hormonen zu vorübergehenden Rückbildungen bei Prostatakrebs.

Der Nachweis von sogenannten Hormonrezeptoren in Tumorzellen erlaubt eine Voraussage auf die Wirkungswahrscheinlichkeit einer Hormonbehandlung.

Tumorzellen ohne Hormonrezeptoren werden in der Regel nicht durch eine Hormontherapie beeinflußt.

Die Funktion der Geschlechtsorgane (Eierstöcke beziehungsweise Hoden) wird durch Hormone der Hirnanhangsdrüse reguliert. Die geschlechtsspezifischen Hormone der Hirnanhangsdrüse werden wiederum in einem übergeordneten Regelkreis durch ein im Zwischenhirn des Menschen produziertes Hormon gesteuert. Die Isolierung und Charakterisierung dieses im Zwischenhirn gebildeten Hormons, des sogenannten LH-RH, gelang 1971. _(LH-RH: Luteinisierendes Hormon - ) _(Releasing Hormon; zur Ausschüttung des ) _(luteinisierenden Hormons der ) _(Hirnanhangdrüse veranlassendes Hormon. )

Anfang der 80er Jahre standen ausreichende Mengen des künstlich hergestellten Zwischenhirnhormons in Form von sogenannten LH-RH-Analogen zur Verfügung; zu ihnen gehört Buserelin (Markenbezeichnung: Suprefact).

Mittel dieser Art bewirken ein Versiegen der geschlechtsspezifischen Hormonproduktion der Hirnanhangsdrüse. Der Effekt ist mit dem der operativen Entfernung der Hoden oder Eierstöcke vergleichbar.

Bis heute liegen ausreichende Erfahrungen mit drei LH-RH-Agonisten (Buserelin, Decapeptyl, Leuprolide) bei der Behandlung des fortgeschrittenen Prostatakrebses vor. Die Behandlung führt, wie die operative Hodenentfernung, zu einer vorübergehenden Rückbildung von Tochtergeschwülsten.

Bei Patientinnen mit fortgeschrittenem Brustkrebs ist eine Behandlung mit LH-RH-Agonisten nur sinnvoll bei Nachweis einer noch ausreichenden Funktion der Eierstöcke. Jenseits der Wechseljahre ist die Behandlung logischerweise nicht sinnvoll, da die Funktion der Eierstöcke ohnehin versiegt ist.

Die Therapie mit LH-RH-Agonisten (zum Beispiel Suprefact) führte bei den geschlechtsreifen Frauen mit Brustkrebs zu einer Unterdrückung der Eierstocksfunktion und hatte bei sieben Prozent eine vorübergehende vollständige Rückbildung, bei 30 Prozent eine vorübergehende teilweise Rückbildung der Krebsabsiedlungen und bei 23 Prozent einen vorübergehenden Krankheitsstillstand zur Folge. Die Dauer der günstigen Beeinflussung des Tumorwachstums lag zwischen 3 und 20 Monaten. Diese Behandlung ist bei Brustkrebsen, die keine Hormonrezeptoren aufweisen, unwirksam.

Die Hormontherapie kann nur zu einer vorübergehenden Beeinflussung des Tumorwachstums führen. Die Hormonbehandlung mit LH-RH-Agonisten ist daher nur bei nachgewiesenermaßen hormonempfindlichen (rezeptorpositiven) Tumorerkrankungen und nur im fortgeschrittenen Krankheitsstadium mit Tochtergeschwülsten vertretbar. Zu diesen Tumoren gehören der Prostata- und der Brustkrebs.

Bei Behandlung des primären Prostata- oder Mammakarzinoms mit LH-RH-Agonisten besteht trotz vorübergehender Rückbildung der Primärgeschwulst die Gefahr, daß es zu einem erneuten Tumorwachstum kommt und die Heilungschancen durch eine primäre Operation oder Bestrahlung versäumt werden.

LH-RH: Luteinisierendes Hormon - Releasing Hormon; zur Ausschüttungdes luteinisierenden Hormons der Hirnanhangdrüse veranlassendesHormon.

W. M. Gallmeier, C. G. Schmidt
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