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RAUMFAHRT Heute nach Bali, morgen zum Mond

In Bremen präsentierten deutsche Raumfahrtingenieure erstmals ihr Modell eines Orbital-Hotels. Doch bevor die ersten Touristen ins All starten, so das Fazit der Experten, müssen Weltraumflüge hundertmal billiger werden als heute.
aus DER SPIEGEL 17/1999

Die Hotelgäste hätten allen Grund zur Klage. Das Essen schmeckt fade, das Trinkwasser ist rationiert. Jeder Urlauber muß sein muffiges Apartment (60 Quadratmeter) mit drei anderen Reisenden teilen. Aus Sicherheitsgründen darf niemand das Gebäude verlassen.

Trotz dieser Schikanen ist das Hotel »Unter den Sternen« ständig ausgebucht. Ohne zu murren, bezahlen die betuchten Gäste für eine Woche Vollpension über 400 000 Mark. Am meisten kostet die Anreise - die Luxusherberge schwebt 450 Kilometer über den Wolken.

Den hochfliegenden Plan für ein Hotel im Weltall haben sich Ingenieure, Designer und Architekten des deutsch-amerikanischen Raumfahrtkonzerns DaimlerChrysler Aero-

* Links im Bild: Internationale Raumstation ISS.

space (Dasa) ausgedacht. In ihrem Entwurf besteht die freischwebende Konstruktion aus einem rotierenden Riesenrad, an dem 56 bierdosenförmige Wohnmodule aufgehängt sind. Mindestens 30 Milliarden Mark würde die fliegende Bettenburg kosten.

»Wir sind natürlich weit davon entfernt, mit den Bauarbeiten zu beginnen«, gesteht Dasa-Teamleiter Hartmut Müller. »Frühstens im Jahre 2030 könnte das Weltraumhotel eröffnet werden.«

Das »Space Hotel« der Dasa war das spektakulärste Luftschloß, das letzte Woche auf dem Internationalen Symposium für Weltraumtourismus in Bremen präsentiert wurde. In ihren Vorträgen gaben rund 80 angereiste Raumfahrtexperten indes eher ernüchternde Prognosen ab: Wohl noch einige Jahrzehnte müssen die Neckermänner unten bleiben.

»Wenn Laien fotorealistische Entwurfszeichnungen von Weltraumhotels oder Städten auf dem Mond sehen, glauben sie, diese Gebäude würden tatsächlich demnächst errichtet«, mahnte Dasa-Ingenieur Heribert Kuczera. »Doch in Wahrheit gibt es meist nichts außer diesen bunten Bildern. Wir stehen ganz am Anfang.«

Gleichwohl wird Pauschalreisen ins All eine große Zukunft vorhergesagt. »Wir halten es jetzt für möglich, den Weltraum für die Allgemeinheit zu öffnen«, heißt es in einer unlängst fertiggestellten Studie der US-Raumfahrtbehörde Nasa, die auf dem Kongreß herumgereicht wurde.

»Wer heute nach Bali fliegt, der will morgen zum Mond«, prophezeit Nasa-Planungsmanager Jesco von Puttkamer. »Wir haben gerade mit dem Aufbau der Internationalen Raumstation ISS begonnen, in spätestens fünf Jahren wird sie voll einsatzbereit sein. Nichts spricht dagegen, daß private Touristikunternehmen später einmal eigene Module andocken, die ausschließlich der Übernachtung von Urlaubern dienen.«

Wie bei dem Symposium in Bremen vorgestellte Marktstudien zeigen, gibt es hierzulande offenbar ein beachtliches Potential für Weltraumtourismus.

Jeder zweite Deutsche träumt demnach davon, einmal im Leben in die Erdumlaufbahn geschossen zu werden. Und fast fünf Prozent der Deutschen wären angeblich sogar bereit, für einen derart ausgefallenen Abenteuerurlaub ein Jahresgehalt hinzublättern. »Die Schallgrenze liegt bei einem Ticketpreis von etwa 100 000 Mark«, glaubt Planungsingenieur Michael Reichert vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), der mit seinem Kollegen Wolfgang Seboldt für die europäische Raumfahrtagentur Esa soeben eine Untersuchung zum Thema Weltraumtourismus abgeschlossen hat.

Heute könnten sich allenfalls vergnügungssüchtige Ölscheichs eine Sightseeing-Tour durchs Weltall leisten. Eine Woche auf der altersschwachen Raumstation »Mir« etwa kostet, einschließlich des Fluges mit der »Sojus«-Trägerrakete, umgerechnet rund 20 Millionen Mark.

»Erst wenn die Flugpreise ins All hundertmal niedriger liegen als heute, also vergleichbar einer First-Class-Weltreise auf einem Luxusdampfer, wird der Weltraumtourismus in Fahrt kommen«, sagt Reichert voraus. Für den aussichtsreichsten Weg hält es der DLR-Planungsingenieur, eine neue Generation vollständig wiederverwendbarer Raumtransporter zu entwickeln. »Wenn eine Boeing 747 nach jedem Flug über den Atlantik ganz oder teilweise verschrottet würde, könnte auch niemand die Tickets bezahlen.«

Immerhin arbeitet die Nasa bereits an einem voll wiederverwendbaren Nachfolgemodell für ihre in die Jahre gekommenen Raumfähren. Mit dem »VentureStar« genannten Raumgleiter, so das ehrgeizige Ziel, ließen sich Menschen und Material mindestens zehnmal billiger ins All befördern als bisher. Der einstufige Transporter, der erstmals ohne jegliche Zusatzrakete auskommen soll, sieht aus wie eine überdimensionale Pfeilspitze. Übernommen wurde vom Shuttle das Prinzip, wie eine Rakete zu starten und wie ein Flugzeug zu landen.

Wegen technischer Probleme wurden die für diesen Sommer geplanten ersten Testflüge des unbemannten Prototyps X-33 allerdings gerade um mehr als ein Jahr verschoben. Auch die weitere Finanzierung des Programms ist noch nicht gesichert. Wenn überhaupt, könnte der neue Raumgleiter frühstens in fünf bis zehn Jahren mit zahlenden Passagieren an Bord abheben - um in 80 Minuten um die Erde zu reisen.

DLR-Experte Reichert geht indes davon aus, daß die Anfänge des Weltraumtourismus weit bescheidener aussehen werden. Mit einem Raketenflugzeug, so das wahrscheinlichste Szenario, werden betuchte Abenteuerurlauber in 100 Kilometer Höhe katapultiert. Nur wenige Minuten lang erleben sie das Gefühl der Schwerelosigkeit - dann fällt ihr Gefährt, ohne die Erde überhaupt umrundet zu haben, wie ein Stein vom Himmel. Die Belastung soll dabei nicht stärker sein als bei einer Achterbahn-Fahrt. »Vielleicht schon im nächsten Jahrzehnt«, hofft Reichert, »könnten Privatfirmen solche suborbitalen Flüge zum Preis eines Luxusautos anbieten.«

Das amerikanische Raumfahrtunternehmen Zegrahm Space Voyages nimmt bereits Buchungen für solche Kurztrips in den Orbit entgegen. Der Flugpreis soll umgerechnet rund 180 000 Mark betragen. Rund 100 Weltraumverrückte haben schon jeweils 9000 Mark angezahlt.

Im Juli 2002 sollen die ersten Reisenden ins All geschossen werden. »Dann beginnt ein neues Zeitalter der Tourismusindustrie«, prahlt Zegrahm-Vizechef Scott Fitzsimmons.

Bevor der Ausflug ins All starten kann, muß allerdings noch das wichtigste Problem gelöst werden: Die Touristen-Rakete »Space Cruiser« existiert bislang nur als Blaupause. Ob sie jemals gebaut wird, steht in den Sternen. OLAF STAMPF

* Links im Bild: Internationale Raumstation ISS.

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