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RAUMFAHRT Hinkend ins All

Beim 19. Flug einer US-Raumfähre kam es am Montag letzter Woche zu einem dramatischen Zwischenfall: erstmals fiel während der Startphase ein Triebwerk aus. *
aus DER SPIEGEL 32/1985

Achtzehnmal waren Amerikas Raumfähren von der Rampe 39 A in Cape Canaveral gestartet. Achtzehnmal hatten Nasa-Techniker die entscheidenden Minuten nach dem Zünden der Triebwerke durchzittert. Beim neunzehntenmal, am Montag letzter Woche, passierte es - erstmals geriet eines der strahlend weißen Raumschiffe in Gefahr:

Fünf Minuten und 45 Sekunden, nachdem die drei Shuttle-Triebwerke und die beiden Hilfsraketen den 100-Tonnen-Koloß »Challenger« von der Startrampe gehoben hatten, verstummte jäh eines der gewaltigen Schub-Aggregate. »Noch nie«, gab später ein Nasa-Techniker zu, »waren wir so nahe an der Katastrophe.«

Für einige Sekunden drohte der Sieben-Seelen-Crew ein Flug ins Ungewisse - eine riskante Notlandung irgendwo auf einem Rollfeld in Europa. Dann kam von der Bodenstelle in Houston/Texas der Befehl »Ato«, »Abort-to-Orbit« - Abbruch in eine Erdumlaufbahn.

Mit nur zwei Triebwerken hinkte Challenger in eine eben noch sichere Flughöhe. Auf einer eiförmigen Umlaufbahn begann die Shuttle-Crew nun, ihre Aufgaben zu erledigen: »Die Sonne beobachten, Galaxien studieren, kosmische Strahlung messen und die Geheimnisse des Universums erkunden« - wie Wissenschafts-Astronaut John-David Bartoe die hochgesteckten Ziele vor dem Shuttle-Start umschrieben hatte.

Es war das erste Mal, daß ein Triebwerk bei einem bemannten Raumflug der USA in der Startphase versagte - und das ausgerechnet bei einem Jubiläumsflug, dem 50. Start, seit Alan Shepard 1961 seinen Paar-hundert-Kilometer-Hopser in den Atlantik machte.

Doch Ende letzter Woche zeichnete sich auch ab, daß nur zwei verrückt spielende Temperaturfühler an dem Beinahe-Abbruch der Mission schuld waren. Sie hatten vor einer möglichen Triebwerksexplosion gewarnt - eine Gefahr, die so vermutlich nie bestanden hatte.

Die Haupttriebwerke der amerikanischen Raumfähren haben die Entwicklung dieses ersten echten - weil wiederverwendbaren - Raumschiffs erst möglich gemacht, aber sie waren zugleich von Anfang an die Achillesferse. Von dem Triebwerk der Redstone-Rakete, die Shepard vor 24 Jahren ritt, sind sie so weit entfernt wie eine »Concorde« von der »Flyer« der Gebrüder Wright.

Im Gegensatz zu den meisten derzeit noch verwendeten Raketentriebwerken,

verbrennen die Shuttle-Aggregate ein energiereiches, aber nur schwer zu beherrschendes Wasserstoff-Sauerstoffgemisch. Beim Start einer Fähre verbrennen ihre drei Triebwerke in nur neun Minuten 700 Tonnen von dieser Teufelsmixtur, bei Drücken, wie sie in 2100 Meter Wassertiefe herrschen, und bei Temperaturen von 3315 Grad Celsius.

Dabei soll jedes dieser von der Firma Rockwell International in Canoga Park (Kalifornien) gefertigten Triebwerke eine Gesamtbetriebsdauer von mindestens siebeneinhalb Stunden aushalten, also für 55 Shuttle-Starts verwendbar sein.

In jedem der drei Tonnen schweren Monster wacht ein eigener Computer über die Triebwerksfunktionen. Alle 20 Millisekunden, 50mal in jeder Sekunde, horchen die Computer über elektrische Leitungen und Sensoren in das komplexe Innenleben der Aggregate. Vor allem drei der Kontroll-Parameter - Temperatur, Druck und Treibstoff-Durchflußgeschwindigkeit - überwachen die Elektronenhirne so sorgsam wie Intensiv-Mediziner die Herz- oder Hirnstromkurven ihrer Patienten. Fällt, wie beim Challenger-Start in der letzten Woche, auch nur einer dieser Werte aus dem Sicherheitsbereich, schaltet der Computer - ohne Shuttle-Piloten oder gar Bodenstation zu befragen - das Triebwerk ab.

So auch bei Challenger: Schon drei Minuten und 30 Sekunden nach dem Abheben hatte ein Sensor gemeldet, im mittleren der drei Triebwerke ("Engine No. 1") drohe die Haupt-Treibstoffpumpe zu überhitzen. Blitzartig schaltete der Kontrollcomputer die Pumpe ab und lenkte den Treibstoffstrom über eine Reservepumpe in die Brennkammer. Zwei Minuten später meldete dann auch der zweite Sensor in diesem Bereich eine überhöhte Temperatur. Der Computer reagierte wie vorgesehen - er legte das Triebwerk still.

Eine Analyse der Funkdaten im Verlauf der letzten Woche zeigte freilich, daß offenbar die beiden Sensoren fehlerhaft angezeigt hatten und es in der Tat keine Überhitzung im Triebwerk gegeben hatte.

Gefahr für die Astronauten hatte dennoch bestanden. Wie Nasa-Sprecher James Ball in einem Interview erläuterte, hatte auch ein Sensor im rechten Haupttriebwerk der Challenger erhöhte Temperaturen angezeigt. Nur weil hier der zweite Sensor gleichsam Entwarnung gab, wurde nicht noch ein weiteres Triebwerk abgeschaltet.

Mit nur einem Triebwerk hätte die Shuttle weder die Umlaufbahn und wahrscheinlich nicht einmal einen Notlandeplatz erreichen können.

»Wir hatten Glück«, so Shuttle-Flugleiter Jesse Moore über die kritische Flugphase. Nur 33 Sekunden hatten die Shuttle-Crew vom Flug-Abbruch getrennt. Wäre das Triebwerk Nr. 1 eine halbe Minute früher ausgefallen, die Bodenstelle hätte den Befehl »Abort-Once-Around« - einmalige Erdumrundung und anschließend Notlandung im US-Staat New Mexico - oder gar die Order »Tal« ("Trans-Atlantic Abort Landing") erteilen müssen: riskanter Notanflug durch den überfüllten europäischen Luftraum auf den US-Stützpunkt Saragossa in Spanien oder den Flughafen Köln-Wahn.

Was bei einem Fall »Tal« passieren könne, so Flugleiter Moore, darüber wage er »nicht einmal nachzudenken«.

[Grafiktext]

Mit halber Kraft ins All Außentank Triebwerk Nr. 1 Bei einem reibungsfreien Start der Shuttle (1) brennen die drei Haupttriebwerke 8 Minuten 21 Sekunden. Die beiden ausgebrannten Hilfsraketen werden nach 2 Minuten 24 Sekunden abgestoßen (2). Bei der »Challenger« versagte etwa drei Minuten später Triebwerk Nr. 1 (3). Daraufhin wurde die Brenndauer der beiden noch funktionierenden Haupttriebwerke um 70 Sekunden verlängert. Dann erst wurde der Außentank abgesprengt (4). »Challenger« hatte eine Not-Umlaufbahn erreicht. Cape Canaveral

[GrafiktextEnde]

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