Apple-Warnung zu iPhone-Nebenwirkungen »Die Konsequenzen können drastisch sein«

Im Mai und September 2021 veröffentlichte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA eine Warnung, die unter anderem das iPhone 12 und 13 betraf: Geräte dieser Serie stellten demnach eine potenzielle Gefahr für Menschen mit implantierten Defibrillatoren und Herzschrittmachern dar. Der Hintergrund: In den Smartphones wurde erstmals ein Ringmagnet verbaut. Dadurch wird das kabellose Laden des Handys erleichtert und die Verwendung von anderem magnetischem Zubehör ermöglicht.
Doch offenbar erzeugt er auch ein statisches Magnetfeld, das die Funktion von Schrittmachern und Defibrillatoren verändern oder deaktivieren kann. Seitdem rät Hersteller Apple betroffenen Kunden, das Gerät mindestens 15 Zentimeter vom Implantat entfernt zu halten. Ein Schritt, der von den Kardiologen Florian Blaschke und Philipp Lacour von der Berliner Charité stark kritisiert wird. In einer Studie, die in der jüngsten Ausgabe des US-Fachjournals »Heart Rhythm« veröffentlicht wurde, haben die beiden Mediziner die Auswirkungen des Magneten auf kardiale Implantate untersucht.

Florian Blaschke (links) und Philipp Lacour
Foto: Florian BlaschkeDer Kardiologe Florian Blaschke ist Oberarzt Gerätetherapie an der Berliner Charité, Campus Virchow Klinikum. Hier arbeitet auch sein Kollege Philip Lacour, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie.
SPIEGEL: Gewöhnlich spielen Firmen mögliche Gefahren ihrer Produkte eher herunter. Apple macht nun genau das Gegenteil und wird von ihnen dafür kritisiert. Warum?
Blaschke: Wir denken, dass die 15 Zentimeter Abstand, zu denen Apple rät, deutlich übertrieben sind. Aus unserer Sicht hat diese Warnung eine große soziale Bedeutung. Ein Smartphone ist gerade für ältere Menschen mittlerweile unerlässlich, um mit der eigenen Familie zu kommunizieren. Wenn man nun sagt: ›Dir passiert was ganz Schlimmes, wenn du dein Smartphone nicht 15 Zentimeter von dir weghältst‹, dann wird das dazu führen, dass viele Menschen überhaupt kein Smartphone mehr verwenden – auch wenn nur bestimmte Geräte der iPhone-Serie betroffen sind. Das wäre katastrophal.
SPIEGEL: Übertreiben Sie da nicht?
Blaschke: Man muss sich klarmachen, welche Gedanken diese Patientinnen und Patienten haben können. Wenn etwa ein Defibrillator einen Elektroschock auslöst, was er im Ernstfall ja auch soll, empfinden das viele Patienten als traumatisch. Die möglichen Konsequenzen können drastisch sein. Es gibt viele Beispiele dafür, wie stark dieser Apparat und die Abhängigkeit von ihm in die Psyche der Patienten eingreift. Wir kennen Fälle, in denen Menschen sich nach einem falsch ausgelösten Schock auf der Suche nach dem Auslöser fragen: ›War das eine Glas Wein auf dem Geburtstag zu viel?‹ Die trinken dann keinen Tropfen mehr, verlassen das Haus nicht mehr, vermeiden jede mögliche oder erdachte Gefahr. Da kommt dann mitunter eine fatale Spirale in Gang. Das belegen etliche Studien. Wenn man diesen Menschen nun sagt, dass das Smartphone womöglich ihren Herzschrittmacher oder ihren Defibrillator ausstellt, fassen diese Patientinnen und Patienten das Telefon nicht mehr an.
SPIEGEL: Müsste Ihnen als Kardiologen nicht mehr an der Herzgesundheit Ihrer Patienten liegen als an möglichen psychischen Folgen?
Lacour: Als Mediziner sind wir ja nicht nur für das Überleben der Patienten zuständig, sondern auch für deren Wohlbefinden.
SPIEGEL: Warum sollte Apple ein Interesse daran haben, seine Kunden unnötig zu verunsichern?
Blaschke: Die Rechtslage in den USA ist kompliziert. Da können Sie Ihre Katze in die Mikrowelle stecken und hinterher den Hersteller der Mikrowelle verklagen, wenn sie gestorben ist. Aber nach unserer Einschätzung ist die Gefahr einer medizinisch gefährlichen Interaktion im Alltag unwahrscheinlich. Allenfalls würden wir Patientinnen und Patienten mit Schrittmacher oder Defibrillator davon abraten, das iPhone 12 in der Brusttasche zu tragen.
SPIEGEL: Wie kommen Sie auf Ihre Erkenntnisse?
Lacour: Wir haben alle Geräte, die man implantieren und auf dem Markt finden kann, untersucht: Herzschrittmacher, Defibrillatoren, CRT-Systeme. Wir haben millimetergenaue Abstandsmessungen gemacht und überprüft, wann der Magnetschalter in den Geräten durch das Telefon aktiviert wird. Der Magnet ist an der Rückseite des iPhones eingebaut. Deshalb ist die Wirkung des Magnets dort stärker. Unsere Tests haben gezeigt, dass viele Geräte gar nicht mehr auf den Magneten angesprungen sind, wenn man das iPhone einfach auf die andere Seite gedreht hat.
SPIEGEL: Haben Sie auch Tests mit Patienten durchgeführt?
Lacour: Ja, in der klinischen Prüfung haben wir den Vorgang mit 164 Patienten wiederholt und das Gerät mit der Vorder- und Rückseite rückwärts den Patientinnen und Patienten genähert, die für die Versuche einen nackten Oberkörper hatten. Die Haut ist bis zu vier Millimeter dick. Dann hat man meistens noch Fettgewebe und Muskel zwischen Haut und dem implantierten Gerät. Das ist also noch eine zusätzliche Trennschicht. Deshalb haben wir nur bei ganz schlanken Menschen überhaupt eine Interaktion feststellen können.
Blaschke: Aber selbst bei den schlanken Probanden gab es nach Umdrehen des iPhones keinen messbaren Effekt mehr, da bereits die wenigen Millimeter dazwischen das Magnetfeld schon relevant abgeschwächt haben.
SPIEGEL: Wie kommen die 15 Zentimeter aus der Empfehlung von Apple überhaupt zustande?
Lacour: Das ist ein historischer Wert. 15 Zentimeter werden seit Jahren für elektronische Geräte als Standardabstandswert verwendet, das ist nicht spezifiziert und inzwischen veraltet.
SPIEGEL: Es gibt inzwischen immer mehr Geräte, die Magnetfelder erzeugen, etwa Tablets oder Kopfhörer. Wird die Gefahr unterschätzt?
Blaschke: Es wäre wichtig, dass die Hersteller die Magnetfeldstärke ihrer Produkte angeben müssen, was sie derzeit jedoch nicht tun. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Es ist gesetzlich nicht festgelegt, wie empfindlich die Schalter in den implantierbaren Geräten sein müssen. Es gibt zwar eine DIN-Norm, die besagt, dass bis zu einem Millitesla (mT) Feldstärke der Magnetschalter nicht aktiviert werden darf. Aber ob dann ab 1,1 Millitesla oder ab vier Millitesla etwas passiert, liegt im Ermessen des Herstellers.
SPIEGEL: Müssten die Hersteller implantierbarer Geräte wie etwa Herzschrittmacher nicht zügig auf diese Sicherheitslücke reagieren?
Blaschke: Den Herstellern ist das Thema nicht so wichtig, weil die Patienten sich nicht direkt für ein Fabrikat entscheiden. Man geht ins Krankenhaus und bekommt den Schrittmacher von irgendeiner Firma eingesetzt, da steht keine bewusste Kaufentscheidung dahinter.
Lacour: Zudem müssen implantierbare Geräte ein erneutes Zulassungsverfahren durchlaufen, wenn die Hersteller etwas Grundsätzliches an ihnen verändern. Dazu sind dann Zulassungsstudien vonnöten, die sehr teuer sind. Da reden wir von bis zu dreistelligen Millionenbeträgen. Diese Kosten scheuen die Hersteller.
SPIEGEL: Hatten Sie in den vergangenen Monaten eigentlich Kontakt zu Apple?
Blaschke: Wir haben bisher noch nichts von der Firma gehört. Unsere Studie wurde im Journal »Heart Rhythm« veröffentlicht, das ist das Sprachrohr der amerikanischen Gesellschaft für Herzrhythmusstörungen. Solche Publikationen werden von großen Firmen wahrgenommen. Ich bin sicher, dass Apple unsere Untersuchung kennt.