
Neandertaler und der Tod
Entdeckung im Irak Forscher graben mehr als 70.000 Jahre altes Neandertaler-Skelett aus
In der Shanidar-Höhle in der autonomen Region Kurdistan im Nordirak haben Forscher den Oberkörper eines Neandertalers freigelegt. Erstmals seit mehr als 25 Jahren sei ein anatomisch korrekt angeordneter Skeletteil der Menschenverwandten ausgegraben worden, berichten Forscher um Emma Pomeroy von der University of Cambridge im Fachmagazin "Antiquity" .
Neandertaler lebten vor 300.000 bis etwa 30.000 Jahren in Europa, Zentral-Kasachstan, Kleinasien und im Nahen Osten - teils zeitgleich mit dem modernen Menschen, mit dem es zu Techtelmechteln kam. Das macht sich bis heute bemerkbar: Der Homo sapiens trägt bis zu 2,6 Prozent Neandertaler-DNA in sich.
Die Neandertalerknochen entdeckten die Forscher in einem besonders tief gelegenen Teile der Höhle. Der Neandertalerschädel war von der Last der Sedimente platt gedrückt, die Oberkörperknochen aber relativ gut intakt. Die linke Hand hatte der Neandertaler unter seinen Kopf gelegt, wie ein Kopfkissen, die rechte war zur Faust geballt. Ihrer Entdeckung gaben die Wissenschaftler den Namen "Shanidar Z".
Sie schätzen, dass der zu den Knochen gehörende Neandertaler vor mehr als 70.000 Jahren gelebt hat. Der Zustand seiner Zähne deute darauf hin, dass er mittleren bis hohen Alters war, als er starb. Welches Geschlecht er hatte, ist noch unklar.
Missgeschick mit Neandertaler auf einem Taxi-Dach
Pomeroy und Kollegen erhoffen sich von dem neuen Fund Hinweise auf den Umgang des Neandertalers mit seinen verstorbenen Mitmenschen. "Wenn Forscher heute untersuchen wollten, wie Neandertaler ihre Toten behandelt haben, waren sie auf 60 bis 100 Jahre alte Funde angewiesen", erklärt Pomeroy. Die neue Entdeckung ermögliche es, die Frage mithilfe moderner Methoden zu analysieren.
Die Shanidar-Höhle ist der einzige bekannte Neandertaler-Fundort östlich des Jordans und dafür weltberühmt. In den Fünfzigern hatten Forscher um den inzwischen verstorbenen Archäologen Ralph Solecki von der amerikanischen Columbia University hier bereits die sterblichen Überreste von neun Neandertalern gefunden, darunter Männer, Frauen und Kinder. Ein Skelett war umgeben von Resten urzeitlicher Pollen.

Neandertaler und der Tod
Solecki vermutete, dass Neandertaler ihre Toten beisetzten und Bestattungsrituale praktizierten. Zur aktiven Zeit des Forschers galt der Neandertaler noch mehr als heute als dumm und animalisch. Soleckis These weckte daran Zweifel. Seit seiner Entdeckung diskutieren Forscher allerdings, ob die ausgestorbene Art kulturell tatsächlich so fortschrittlich war, dass sie ihre Toten beisetzte.
Felsbrocken als Grabstein?
Mit Soleckis Auswertung ließ sich das nicht abschließend klären, auch weil es bei den Arbeiten in den Fünfzigern zu einem unglücklichen Zwischenfall kam: Die Forscher ließen einen Sedimentblock mit Neandertalerüberresten damals auf einem Taxidach von der Shanidar-Höhle nach Bagdad transportieren. Anschließend war kaum mehr etwas an seinem ursprünglichen Platz.
Bei den aktuellen Grabungen wollten die Forscher nun eigentlich das Alter der Erdschichten genauer bestimmen, in denen die Funde von damals lagen - und entdeckten zufällig die neuen Knochen. Der Fund stützt Soleckis These.

Lage der Shanidar-Höhle in der autonomen Region Kurdistan im Nordirak
Foto: AntiquityPomeroy und Kollegen entdeckten neben dem Schädel von "Shanidar Z" einen markant aussehenden Felsbrocken, der als eine Art Grabstein gedient haben könnte. Möglicherweise seien Neandertaler hier wiederholt hergekommen, um ihre Toten zu bestatten. Ob zwischen den Beisetzungen Wochen, Jahrzehnte oder Jahrhunderte lagen, lasse sich allerdings wohl kaum bestimmen, so die Forscherin.
"Offenbar wurden einige der Körper in einen durch Wasser geformten Kanal am Boden der Höhle abgelegt, der dann gezielt vertieft wurde", erklärt Graeme Barker, der die Studie geleitet hat. Es gebe somit starke Hinweise, dass "Shanidar Z" beerdigt wurde, ähnlich wie der moderne Mensch es heute mit seinen Toten macht.
Früher Sex mit dem modernen Menschen
Die Wissenschaftler trugen von den Knochenteilen mehrere Meter Sediment ab und brachten das Skelett, diesmal ohne Schäden, in ein Labor der Universität Cambridge. Dort wird es nun genauer untersucht und könnte auch weitere Hinweise auf Zusammentreffen mit dem modernen Menschen liefern: Untersuchungen im Kernspintomografen haben gezeigt, dass das Felsenbein, der härteste Knochen im Säugetierschädel von "Shanidar Z", intakt ist.
Aus ihm ließen sich möglicherweise DNA-Proben gewinnen. Sie könnten die Theorie bestätigen, dass der Neandertaler bereits im Nahen Osten Sex mit dem modernen Menschen hatte, als dieser gerade Afrika verließ.
"In den letzten Jahren haben wir zunehmend Beweise dafür gesehen, dass Neandertaler anspruchsvoller waren als bisher angenommen - sie bemalten Höhlen und nutzten Muscheln zur Dekoration. Bestätige sich, dass Neandertaler die Shanidar-Höhle nutzten, um wiederholt Tote dort beizusetzen, würde dies auf eine kulturelle Komplexität von hohem Rang hinweisen.