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AUTOMOBILE Ist das Stufenheck unsterblich? Auf lange Sicht, sagen Designer,

werden die Autos höher, kürzer und schmaler. *
aus DER SPIEGEL 6/1987

Was hatte der Kritiker da zu sagen gewagt?

Alle Welt - es war vor drei Jahren auf der Auto-Galaschau zu Frankfurt am Main - bewunderte den neuen Mercedes-Benz 190, den sogar Italiens Styling-Maestro Giorgio Giugiaro sogleich neidvoll »ein wundervolles Auto« genannt hatte. Auf einer technischen Diskussion mit Bruno Sacco, Chef der Designabteilung bei Daimler Benz, wendete einer brüsk ein: »Aber dieses seltsame Hinterteil kommt manchem mißglückt vor - warum nur haben Sie dem Auto gerade dieses Heck verpaßt?«

»Weil es mir so gefiel«, tönte es knapp aus Saccos eisgrauem Hemingway-Bart.

»Und glauben Sie mir: Schon bald werden Sie diese Heckgestaltung an vielen anderen Autos erblicken.« So kam es.

Es ist, als habe sich aus dem Mercedes-Styling-Studio in Sindelfingen eine Art Design-Bazillus in andere deutsche Autowerke, bis nach Frankreich und Italien, schließlich bis ins ferne Japan verbreitet. Neben all den Fließhecks, Schräghecks und Kombihecks hat sich bei den Autokäufern die Vorliebe für das Stufenheck-Prinzip nur noch verstärkt - weltweit sichtbar durch den allerorts kopierten neuen Mercedes-Achtersteven.

Den rückwärtigen »New Look« kennzeichnet ein steil hochgezogenes, strömungsgünstiges Stufenheck mit sanft angerundeten Kanten, dessen Konturen sich verjüngen. Jüngster Nachahmer-Typ ist der gerade vorgestellte neue Ford Sierra mit Stufe, Variante eines vor vier Jahren eingeführten Autos, für das ursprünglich gar kein Stufenheck vorgesehen war.

Unter Hadern und Zweifeln machten die Ford-Manager den gleichen Entscheidungsprozeß durch, wie vorher, von Mazda bis Renault, schon andere ihn durchlitten hatten. 57 Prozent aller westeuropäischen Autokäufer (bei Massen-Mittelkläßler Opel Ascona gar 68 Prozent) verlangten deutlich abgestufte Heckformen. Als Marktforscher gar auf murrende potentielle Sierra-Interessenten stießen, die vom Stummel-Fließheck des Urtyps nicht angetan waren, entschied Ford-Generaldirektor Daniel Goeudevert: »Der Kunde wünscht eine klassische Stufenheck-Limousine - wir geben sie ihm.« Was die Ford-Manager dem Kunden anzubieten hatten, überraschte sie schließlich selber.

»Sieht er, von schräg hinten betrachtet, nicht aus wie ein Mercedes 190?« meinte bei der Stufenheck-Premiere des Sierra sogar Volker Leichsering, einer der Vizepräsidenten von »Ford of Europe«. Auch Hans-Georg Gaffke, Fahrzeug-Chefingenieur der Kölner, fand »die Ähnlichkeit in der Tat erstaunlich«. Die Form, so Gaffke, habe sich jedoch »mehr oder minder zwingend aus den Erfordernissen der Aerodynamik ergeben«.

Auf die gleiche Art waren vorher schon die Mercedes-Benz-Designer auf die verfeinerte Form des abgestuften Kofferraums verfallen. Tests im Windkanal hatten sie laut Sacco darauf gebracht, »daß wir die Kiste hinten abrunden konnten«. Nur so hätten sich »Dach, Seiten und Heck« zusammenbringen lassen, »ohne das hohe Heck aufzugeben«.

Die auffällig hochgezogene Heckpartie der aerodynamisch optimal durchgebildeten Keilform-Limousinen ist Bestandteil eines vorerst noch wenig augenfälligen neuen Bautrends für den ganzen Wagenkorpus. Unter Designern gilt als ausgemacht, daß Gebrauchsautos auf lange Sicht höher, kürzer und schmaler als heute bemessen sein sollen, um auch bei unaufhaltsam wachsender Verkehrsdichte noch ungeminderten Nutzwert zu bieten. Jeweils 1000 Bundesdeutsche werden nach den Berechnungen der Futurologen im Jahr 2000 rund 600 Autos betreiben - das wären etwa 150 Kraftwagen je 1000 Einwohner mehr als heute.

Das Umdenken der Konstrukteure hat angeblich schon begonnen - einstweilen ganz verstohlen, um die Automobilisten mit ihren zarten Gemütern nicht zu vergrämen. »Der Prozeß«, verriet Opel-Entwicklungschef Friedrich Lohr, »vollzieht sich in winzig kleinen Schritten.« Als Beispiel nennt Lohr: »Wir setzen die Leute von Modell zu Modell allmählich immer ein bißchen steiler.«

Wohin die Reise wohl geht, hatte der italienische Alt-Designer Giovanni Battista Pininfarina schon vor einem Vierteljahrhundert skizziert: Im Stadtverkehr würden sich irgendwann nur noch Autos mit drei, zwei Rädern oder gar nur einem Rad (mit kleinen Stützrädern) verwenden lassen.

»Die Stadtautos der Zukunft«, so Pininfarina im Jahre 1963, als immer längere, breitere und flachere Autos in Mode kamen, »werden schmal, kurz und hoch sein, die Fahrgäste werden in einer halb aufrechten Position sitzen.« Mit einer auf ihre kleinste Fläche gestellten Streichholzschachtel symbolisierte der Altmeister damals die ihm vorschwebende Autoform.

Noch einen Schritt weiter gingen Design-Studenten an der Hochschule der Künste Berlin und Studenten vom Institut für Fahrzeugtechnik der Technischen Universität Berlin mit ihrem Gemeinschaftsprojekt »City Car 2000«. Ihr nur 2,50 Meter langes Vehikel hat ein stufenloses Steilheck, Schiebetüren und im Fond Klappsitze.

Als »völlig neue Idee« hatten die angehenden Designer vorgesehen, Fahrer und Beifahrer im Stehen kutschieren zu lassen. Da sie für »Stehsitz«-Benutzer aber kein bei Aufprall-Unfällen hinreichendes Rückhaltesystem zu finden vermochten, ließen die City-Car-Entwickler wenigstens die Sitzordnung beim alten.

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