Jagd nach dem Schlafhormon
Sechs Studenten, »junge kräftige Männer, sämtlich gesund und gleichmäßig lebend«, fanden sich als Versuchskaninchen bereit - sie stellten, wie der Untersuchungsleiter Ernst Kohlschütter betonte, »ihre Nachtruhe zur Disposition«. Mehrere Nächte sollten sie sich unter Beobachtung zur Ruhe legen. Der Leipziger Mediziner wollte herausfinden, ob der Mensch die ganze Nacht hindurch gleich tief schläft.
Die Methode, mit der Kohlschütter 1862 für seine »Messungen der Festigkeit des Schlafes« zu Werke ging, war denkbar einfach. Seine Probanden mussten so lange schlafen, bis ein von ihm betätigtes Schallpendel so laut auf einer Schieferplatte aufschlug, dass sie aufwachten. Penibel notierte er, welche Lautstärke die Person aus dem Schlummer riss. Allerlei Widrigkeiten ergaben sich - mal schlief ein Student so fest, dass er selbst beim größten Knall kaum zu wecken war, mal erwachte der Schläfer schon beim bloßen Heben des Pendels, ein anderer konnte in Erwartung des Weckens erst gar nicht einschlafen.
Doch nach etlichen Durchgängen zeichnete Kohlschütter erstmals eine Kurve des Schlafverlaufs: Sie zeigte, dass der Schlaf eine Stunde nach dem Einschlafen am tiefsten war, dann verflachte er sich, bis er zum Aufwachen hin relativ leicht wurde. Und: Der Schlaf dauert umso länger, je tiefer er ist.
Mit diesen Erkenntnissen, die Kohlschütter immerhin den Doktortitel einbrachten, begann in Leipzig die Geschichte der Schlafforschung. Es dauerte allerdings noch einige Jahrzehnte, bis 1935 der erste Mensch an der Harvard-Universität mit Elektroden am Kopf in einem Schlaflabor schlafen sollte.
Seitdem ist viel geforscht worden an diesem uralten Menschheitsphänomen, viele Theorien über Wesen und Funktion des Schlafs wurden aufgestellt - und wieder verworfen. Rätsel bleiben bis heute.
Ohne Schlaf ist der Mensch nicht denkbar. Wir schlafen so wie wir essen, trinken, uns fortpflanzen. Schlaf ist eine biologische Grundfunktion. »Reines Glück« nannte ihn Goethe. Die Gabe der Natur ist freilich nicht jedem gegeben, sie ist launisch und widersetzt sich dem Willen. Mehr als jeder dritte Deutsche klagt in Umfragen über schlechten Schlaf. Mindestens zehn Prozent, schätzen Somnologen, haben Schlafstörungen, die behandelt werden sollten.
Denn die scheinbar natürlichste, einfachste Sache der Welt, mit der wir ein Drittel unseres Lebens verbringen, gehört zu den kompliziertesten Vorgängen im menschlichen Organismus.
Feinste Prozesse in der Hirnchemie sind am Werk, wenn wir vom Wachen in den Schlaf sinken. Sie werden gesteuert von einem ausgeklügelten Netzwerk korrespondierender Nervenzellen, das einem hochkomplexen elektronischen Schaltsystem gleicht.
Die Natur hat den Menschen sogar mit einer inneren Uhr ausgestattet, die ihn zur passenden Zeit müde und wieder munter werden lässt. Der wichtigste Taktgeber ist dabei das Tageslicht. Wenn es dunkelt, schüttet die Zirbeldrüse verstärkt das Hormon Melatonin aus, der Körper kühlt um ein halbes Grad ab, der Schlafdrang nimmt zu. Nun sinkt der Blutdruck, die Muskulatur entspannt sich. Morgens gegen drei Uhr, wenn die Körpertemperatur am niedrigsten ist, beginnt das Stresshormon Cortisol als Wachmacher zu arbeiten.
Aber bei allem, was im Labor gemessen wird, »bleiben wir doch nur an der Oberfläche«, räumt der Regensburger Schlafforscher Jürgen Zulley ein (siehe SPIEGEL-Gespräch Seite 24). Das Problem der Somnologen: Sie können im Kernspintomografen einen Querschnitt des Gehirns erhaschen, sie messen am EEG die Gehirnströme, aber sie können eben doch nicht in den schlafenden Menschen hineinschauen.
Eher aus Versehen erfand der Jenaer Neurologe Hans Berger 1924 das Elektroenzephalogramm, kurz EEG - eigentlich hatte er die Fähigkeit zur Telepathie nachweisen wollen. Dabei gelang es ihm erstmals, die nur einige Millionstel Volt starken Wechselspannungspotentiale in der Gehirnrinde durch die Schädeldecke hindurch abzuleiten.
Seitdem können wir dem Gehirn beim Einschlafen wenigstens ein bisschen zusehen. Zunächst verringert sich die Frequenz der elektrischen Hirnaktivität. Sind die Augen geschlossen, gehen auf dem Monitor die schnelleren Betawellen nach und nach in den langsameren Alpharhythmus über, der ein entspanntes, aber waches Bewusstsein abbildet. Nun kommen die Thetawellen, wobei die Vorgänge in bestimmten Gehirnregionen episodische Muster im EEG zeichnen, die charakteristischen »Schlafspindeln«. Gleichzeitig werden in anderen Gehirnbereichen plötzlich weit ausladende Wellen, die »K-Komplexe«, gemessen - das untrügliche Zeichen für Schlaf. Wenn der traumlose Tiefschlaf erreicht ist, strecken sich die Kurven in die sanfte Hügellandschaft der Deltawellen.
Nach etwa 90 Minuten geschieht Seltsames: Das EEG zeigt plötzlich Theta-, Alpha- und Betawellen in rascher Folge, also Merkmale eines Wach- und Schlafzustands. Die Augäpfel bewegen sich auf einmal rasch und wild - die Phase des »Rapid-Eye-Movement« (REM) ist angebrochen, die man lange irrtümlich für die ausschließliche Traumphase hielt. Heute weiß man, dass der Mensch in mehreren Etappen über den ganzen Schlaf verteilt träumt.
Auch die Entdeckung des REM-Schlafs verdankt sich einem Zufall. Nathaniel Kleitman, Professor in Chicago, und sein Mitarbeiter Eugene Aserinsky wollten 1953 bei schlafenden Kindern die Augenbewegungen messen, um das Aufwachen zu bestimmen. Doch die Wissenschaftler stellten verblüfft fest, dass die Kleinen keineswegs aufwachten, sondern tief und fest schlummerten und dass sich die Phase der rollenden Augäpfel in einer Nacht noch drei- bis fünfmal wiederholte.
Die Kurven des EEG bilden die verschiedenen Schlafstadien ab (siehe Grafik). Doch was genau steuert den Schlaf? Wo sitzt die Schaltzentrale im Gehirn? Und warum schlafen wir überhaupt?
Auch nach mehr als 70 Jahren moderner Schlafforschung »bleibt die Wissenschaft die Antwort schuldig, was Schlaf eigentlich ist«, sagt Zulley. Warum wir schlafen, »ist wahrscheinlich die größte offene Frage der Biologie«, meint Allan Rechtschaffen, emeritierter Psychiatrieprofessor an der University of Chicago und einer der Pioniere der Schlafforschung.
Was passiert, wenn man nicht schläft, zeigte Rechtschaffen bereits 1983 mit einem drastischen Experiment. Er setzte Ratten über einem Wasserbecken auf einen Drehteller. Sobald die Tiere einzuschlafen begannen, ließ der Forscher die Scheibe rotieren, so dass sie laufen mussten, um nicht zu ertrinken. Nach zweieinhalb Wochen starben die erschöpften Ratten, weil sie nicht schlafen durften. »Schlaf erfüllt eine absolut lebensnotwendige Aufgabe, sonst wäre er der größte Fehler, der im Evolutionsprozess je unterlaufen ist«, folgert Rechtschaffen. Aber warum ist der Schlaf existentiell wichtig?
»Im Grunde fußen alle unsere bisherigen Theorien vom Schlafen auf Modellen, die sich von experimentellen Untersuchungen an Mensch oder Tier ableiten lassen«, sagt Geert Mayer, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin.
Ein Teil der Antwort findet sich wiederum dort, wo der Schlaf fehlt. »Schlechter Schlaf ist keine Befindlichkeitsstörung, sondern ein Problem mit erheblichen medizinischen Folgen«, so Mayer, der Spezialist für Narkolepsie ist, die tückische Tagesschläfrigkeit. »Schlafmangel kann Bluthochdruck auslösen, Diabetes, Fettleibigkeit beschleunigen und erhebliche Risikofaktoren für koronare Herzerkrankungen schaffen. Je weniger wir schlafen, desto schlechter funktionieren unsere Systeme, das gilt für den Stoffwechsel wie für unser Gedächtnis.« Schlafstörungen gerieten zunehmend auch in den Blick als Vorboten von Krankheiten wie etwa Parkinson oder Depression.
Auf der Suche nach der Schlafzentrale gelangten Neurowissenschaftler zu einem winzigen Nervenzellenknoten über der Kreuzung der beiden Sehnerven, dem »Suprachiasmatischen Nucleus« (SCN), sie glaubten sich am Ziel. Aber als er Versuchstieren entfernt wurde, entdeckte man, dass sie trotzdem wieder ihren Schlaf-wach-Rhythmus fanden. Inzwischen glauben die Experten, dass wir nicht eine einzige innere Uhr in uns tragen, sondern praktisch jede Zelle über einen solchen Zeitgeber verfügt. Der SCN ist ihre Master-Uhr. Über das Gehirn sind mehrere gekoppelte Schlaf-wach-Zentren verteilt.
Weltweit sind Forscher seit Jahrzehnten auf der Jagd nach dem Stoff, der uns das verschafft, was Heinrich Heine die »köstlichste Erfindung« nannte.
Bereits 1913 glaubte der Pariser Physiologe Henri Piéron, ein »Schlafgift« gefunden zu haben. Tagsüber, so seine Hypothese, reichere sich im Körper ein »Hypnotoxin« an, das ein wachsendes Schlafbedürfnis auslöse; im Schlaf werde die Substanz abgebaut und ausgeschieden. Piéron zapfte übermüdeten Hunden Gehirnflüssigkeit ab und spritzte sie ausgeruhten Tieren in den Liquorraum, die daraufhin tatsächlich einschliefen. US-Forscher fahndeten in der Rückenmarksflüssigkeit von Kaninchen und Ziegen nach dem Schlafhormon, andere filterten das Blut von schlafenden Versuchstieren.
Mitte der sechziger Jahre schließlich entnahm der US-Physiologe John Pappenheimer Gehirnliquor bei Ziegen, die am Schlafen gehindert wurden. Als er ihn Ratten injizierte, schliefen diese in der Tat mehr als Vergleichstiere. Pappenheimer entdeckte sogar, dass die Schlafsubstanz, die er »Faktor S« (S für sleep) nannte, im Urin ausgeschieden wird - eine Aminosäurenkette. Mühsam fischten die Wissenschaftler schließlich aus über 3000 Litern Urin sieben Millionstel Gramm Faktor S ab - die winzige Portion reichte aus, um 500 Kaninchen sechs Stunden in Tiefschlaf zu versetzen.
Das DSIP, »Delta Sleep Inducing Peptide«, fanden Schweizer Forscher, als sie das Mittelhirn von Kaninchen elektrischen Reizen aussetzten. Doch Versuche bei Tieren und Menschen mit der synthetisch hergestellten Substanz blieben ohne überzeugende Ergebnisse.
Inzwischen haben die Somnologen etliche Botenstoffe und Hormone im Gehirn identifiziert, die an den Schaltstellen des Schlaf-wach-Rhythmus arbeiten: Neben Melatonin und Cortisol sind es Serotonin, Noradrenalin, Histamin, Adenosin und Hypocretin. Einige dieser Stoffe bereiten den Körper auf den Schlaf vor, manche vertiefen ihn, andere wirken als Muntermacher.
Unter den Botenstoffen des Schlafs, die ihre Informationen von Nervenzelle zu Nervenzelle reichen, haben die Forscher derzeit besonders Neuropeptide im Blick, darunter das GHRH, das für die Freisetzung des Wachstumshormons sorgt. Unlängst wurde die Funktion des MCH("Melanin-Concentrating Hormone")-Systems entdeckt, das sich in der gleichen Hirnregion wie das Wachhormon Hypocretin findet, aber, so die Vermutung, eher für die Schlafperioden zuständig ist. Aber auch das MCH dürfte nicht die letzte Erkenntnis sein. »Mit jedem neuen Neuropeptid, das man entdeckt, stellt man eine neue Funktion fest«, konstatiert Somnologe Mayer.
Auch Gene werden zunehmend als Faktoren bei gestörtem Schlaf und im Schlaf-wach-Rhythmus überhaupt betrachtet. So stieß ein Forscherteam an der University of California in San Francisco jüngst auf ein »Kurzschlaf-Gen«, das manche Menschen mit nur wenigen Stunden Schlaf auskommen lässt.
Eigentlich war die Gruppe um den Neurologen Ying-Hui Fu auf der Suche nach Genmerkmalen von Frühaufstehern ("Lerchen"). Dabei fanden die Wissenschaftler im Erbgut von Mutter und Tochter einer ansonsten normal schlafenden Familie ein mutiertes Gen (DEC2), von dem schon länger bekannt ist, dass es mit der inneren Uhr zu tun hat. Die beiden Frauen wachen jedoch nicht nur jeden Morgen um vier Uhr auf, sondern sind dabei nach nur sechs Stunden Schlaf auch immer putzmunter.
Die im August im Fachblatt »Science« veröffentlichte Studie, glauben Experten, könnte ein Meilenstein in der Schlafforschung sein. Denn nicht nur die innere Uhr und damit der individuelle Schlaf-wach-Rhythmus, sondern auch die Schlaflänge scheinen beim Menschen genetisch bestimmt zu sein. Thomas Penzel, Wissenschaftlicher Leiter der Schlafmedizin an der Berliner Charité, ist überzeugt: »Die Studie zeigt uns, dass Tag-Nacht-Rhythmen, Schlafbedürfnis und Schlafdauer nicht getrennt betrachtet werden können, sondern auf molekularer Ebene zusammenhängen.«
Eine Gruppe von Menschen, die unter chronischem Schlafmangel leiden, wird von Schlafmedizinern der Charité betreut - Tänzerinnen und Tänzer des Berliner Staatsballetts. Ihr Schlafdefizit wurde mehrere Wochen lang mit Hilfe von »Aktimetern«, an den Armen getragenen Bewegungssensoren, präzise dokumentiert. Die Vorstellungen sind meist erst um 23 Uhr zu Ende, nach kurzem Schlaf müssen die Tänzer morgens wieder zum Training. Immer aber ist höchste Konzentration und Körperkontrolle gefordert, damit es nicht zu gefährlichen Stürzen kommt. Im Schnitt schliefen die 28 jungen Frauen und Männer nachts weniger als sieben Stunden - »zu wenig für Hochleistungssportler in diesem Alter«, sagt Schlafmediziner Ingo Fietze von der Charité.
Auf seinen Rat wurde dem Ensemble neben dem Probensaal ein Ruheraum eingerichtet - mit allen Finessen moderner Schlafwissenschaft. Da steht etwa ein Bett, dessen Matratze mit warmer und kalter Luft klimatisiert werden kann, was es »sonst bisher nur im Forschungslabor gibt«. Oder eine neuartige Liege, eine »4 Senses Lounge«, die mit Musik, schönen Düften, mildem Licht und sanften Massagen verwöhnt.
Auch wenn der Raum eher zur Erholung als für ein richtiges Nickerchen genutzt wird, ist Fietze zufrieden: »Die Power-Nap-Kultur in Deutschland ist noch nicht so verbreitet. Solche Ruheräume werden helfen, das zu fördern.«
Chronische Schlafdefizite haben auch die Brummi-Fahrer, die ihr Leben »auf dem Bock« verbringen. Verkehrslärm und laute Kühlaggregate, lärmige Rastplätze und enge Fahrerkabinen, Termindruck und unregelmäßige Arbeitszeiten bringen ihren Schlaf-wach-Rhythmus nachhaltig durcheinander.
Schlafmangel, das zeigt die Statistik, ist ein Risiko im Straßenverkehr, viele Bedienungsfehler mit folgenreichen Unfällen gehen darauf zurück. Auch 19 Prozent aller Lkw-Unfälle mit Todesfolge sind auf Übermüdung zurückzuführen, der Sachschaden: jährlich vier Milliarden Euro.
In einem Forschungsprojekt für die Daimler AG sucht der Physiker Wilhelm Kincses derzeit nach Strategien gegen den gefährlichen Sekundenschlaf am Steuer: etwa durch elektronische Fahrerassistenzsysteme, die Müdigkeit erkennen und Alarm schlagen. Aus der Bewegung der Augenlider oder dem Muskeltonus könnten Aussagen über den Wachzustand des Fahrers abgeleitet werden, erläutert Schlafforscher Penzel. Auch daran, wie das Fahrzeug gesteuert wird, lasse sich aufkommende Schläfrigkeit erkennen: »Wer einzuschlafen droht, ist nicht mehr zu den kleinen, leichten Ausgleichsbewegungen in der Lage, die Bewegungen werden ruckartiger, gröber.«
Dass sich der Mensch nachts erholt, ist unumstritten. Eiweiße werden aufgebaut und freie Radikale, die beim Stoffwechsel entstehen, abgebaut. Heilungsprozesse finden statt, das Immunsystem arbeitet, Wachstumszellen sind aktiv. Lange dachte man, der Körper würde bei all dem sogar noch Energie sparen. Doch die Ausbeute ist gering: In acht Stunden beträgt sie gerade mal so viel Kalorien, wie eine Tasse Milch enthält, hat die Biologin Isabella Capellini ausgerechnet.
Das Großreinemachen im Organismus könne ohnehin nicht der eigentliche Grund für den Schlaf sein, meint der Psychologe Jan Born: Zur bloßen Regeneration wäre es doch nicht erforderlich, das Bewusstsein komplett abzuschalten. Der Schlaf, folgert er, müsse also einen tieferen Sinn haben: »Unsere Hypothese ist, dass eine ganz zentrale Funktion des Schlafs darin besteht, das Gedächtnis zu bilden.«
Born und sein Team am Lübecker Institut für Neuroendokrinologie, der Wissenschaft von der Wechselwirkung zwischen Nerven- und Hormonsystem, erregten in den vergangenen Jahren Aufsehen mit ihren Lern- und Gedächtnisexperimenten (siehe Seite 18).
Der Experte geht davon aus, dass tagsüber gesammelte Daten zunächst im Hippocampus, einer Art Zwischenspeicher, abgelegt werden; nachts, wenn der beständige Input von Eindrücken und Informationen versiegt, werden die Lerninhalte zum Sortieren und dauerhaften Archivieren in den Neocortex, einen Großteil der Großhirnrinde, überspielt.
So intensiv die Wissenschaft an den verschiedenen Aspekten des Schlafs arbeitet, so lässt doch der große Durchbruch zur Enträtselung der Nacht auf sich warten. Vehement fordert Schlafforscher Penzel deshalb einen akademischen Schub für die in Deutschland unterentwickelte Schlafforschung.
Notwendig sei nun »eine Kombination aus physikalischen, biochemischen, genetischen und neurophysiologischen Methoden«, um die offenen Fragen anzugehen: Wo, in welchen Nervenzellen, wird der Schlaf generiert? Wo genau im Gehirn wird das Aufwachen gesteuert, und wie kann man es gezielt beeinflussen?
Eine Antwort wäre für die medikamentöse Behandlung etwa der Insomnie »ein riesiger Fortschritt«, glaubt Penzel: »Dann könnte man Patienten gezielter behandeln und müsste ihnen keine Schlafmittel verschreiben, die zum Teil auf das gesamte Gehirn wirken.«
Die Schlafmedizin, bedauert Penzel, sei bisher nicht im akademischen System verankert. Es gibt zwar eine Fortbildung zum Schlafmediziner, doch im Lehrplan der Medizinstudenten kommt die Somnologie praktisch kaum vor.
Das hat Folgen. »Kaum ein Lebensbereich unserer Patienten nimmt so viel Zeit in Anspruch und findet dabei in Therapien so wenig Beachtung wie der Schlaf«, klagten erst kürzlich führende Schlafforscher. Viele wünschen sich einen wichtigen Impuls - den ersten deutschen Lehrstuhl für Somnologie.