Raumfahrt Kein Pieps
Das ist mit Abstand das Verrückteste, was ich je gehört habe«, schimpfte Glenn Cunningham, Leiter der Mars-Mission am Nasa-Planetenforschungszentrum in Pasadena. Eine Gruppe von Demonstranten vor seinem Büro verbreitete lautstark ihre Mutmaßung über das Verschwinden der Raumsonde: Die US-Weltraumbehörde habe ihr eigenes Vehikel mit einem Sprengsatz zerstört, um zu verhindern, daß der Satellit Bilder von Mars-Städten zur Erde funkt, welche die Menschheit beunruhigen könnten.
Daß kleine grüne Männchen mit ihren Glibberhänden im Spiel seien (Bild: »Haben Außerirdische unser schönstes Raumschiff geklaut?"), war letzte Woche die Lieblingsidee vieler Spökenkieker. Nur noch einen kosmischen Katzensprung war die umgerechnet 1,7 Milliarden Mark teure US-Raumsonde »Mars Observer« vom rostfarbenen Nachbarplaneten entfernt, als sie aufhörte, Funksignale zur Erde zu senden - vergleichbar einem Marathonläufer, der auf den letzten hundert Metern vor dem Ziel zusammenbricht.
Elf Monate lang war der 2,5 Tonnen schwere Späh-Roboter mit einem Reisetempo von 41 400 Stundenkilometer durchs All gesaust. Drei Tage vor Erreichen des angesteuerten Himmelskörpers, am vorletzten Sonnabend, hielten es die Nasa-Ingenieure für angebracht, auf die Bremse zu treten. Bei diesem (von der Erde aus ferngelenkten) Manöver passierte es: Um mögliche Funkenbildung zu verhindern und so jede Explosionsgefahr im Raumvehikel zu bannen, schalteten die Techniker vorübergehend die elektrische Sendeanlage des Flugkörpers aus. Seit jener - nur für eine Stunde verordneten - Sendepause gab die Parabolantenne des Mars Observer keinen Pieps mehr von sich.
Was war bei dem offenbar mißverstandenen Funkbefehl geschehen? Hatte Überdruck in einem der Treibstoffbehälter zu einer Explosion geführt? War die Borduhr, die den Sender nach einer Stunde aus seinem elektronischen Funk-Schlaf hätte wecken sollen, außer Takt, weil ein Transistor aus einer fehlerhaften Serie stammte? Auch ein spezielles Programm, das fünf Tage nach dem letzten Funkkontakt automatisch einen Reservesender anwerfen soll, schaltete sich bis Ende letzter Woche nicht ein.
So blieben die Aussichten der aufwendigen Mars-Mission einstweilen düster. Niemand wußte: War die verstummte Sonde womöglich doch, einem eingespeicherten Lenkprogramm folgend, in eine Umlaufbahn um den Planeten eingeschwenkt? Oder rast sie steuerlos an der eisigen Wüstenkugel vorbei, um schließlich auf einer langgezogenen Bahn als Weltraummüll die Sonne zu umkreisen?
»Schrecklich, schrecklich, schrecklich«, kommentierte Arden Albee, Chefwissenschaftler der Mars-Mission, das technische Desaster. So gründlich wie keine Planetensonde zuvor sollte der Observer die Atmosphäre, die Oberfläche und den inneren Aufbau der fernen Himmelskugel durchleuchten. Der Mars, so hatte sich Albee noch vor einem Jahr gebrüstet, werde »genauer erkundet als unser eigener Planet«.
Zwar hatten schon die Viking-Landefähren Ende der siebziger Jahre nachgewiesen, daß in dem tiefgefrorenen Mars-Boden nicht die geringste Spur von Leben steckt. Zu unwirtlich ist der minus 120 Grad kalte Gesteinsbrocken, dessen hauchdünne Atmosphäre einem Gebräu von Autoabgasen ähnelt.
Doch auch nach dem Abschluß der Viking-Mission blieben damals Rätselfragen offen, zum Beispiel, warum das Wasser, das vor Jahrmillionen breite Furchen in die Planetenoberfläche geschnitten hat, zu einem späteren Zeitpunkt fast vollständig versickert und zu klirrendem Permafrost gefroren ist. Auch wie die gewaltigen Staubstürme entstehen, die über die karge Gesteinswüste fegen und oft ein halbes Jahr andauern, ist bislang ungeklärt.
Gefährdet sind nun auch weitere unbemannte, international aufeinander abgestimmte Forschungsmissionen, die für die kommenden Jahre geplant waren. Eine russische Raumsonde soll 1996 ein Robotfahrzeug und einen französischen Forschungsballon über dem eisigen Wüstenplaneten absetzen; der marsumkreisende Observer sollte als Funk-Relaisstation zur Erde dienen.
Außerdem hätte der Mars Observer einen geeigneten Landeplatz für die auf das Jahr 2019 anvisierte bemannte US-Raummission zum Mars erkunden sollen. Doch die Landung von Menschen wäre wohl ohnehin an den astronomischen (auf 500 Milliarden Dollar geschätzten) Kosten gescheitert.
Schwacher Trost für die gebeutelte Nasa: Auch die Russen hatten viel Pech bei dem Versuch, Flugkörper zur eisigen Wüstenwelt zu katapultieren - über die Hälfte ihrer Versuche ging daneben.
Die letzte Pleite erlebten die russischen Weltraumforscher 1989 mit zwei Satelliten, die den düsteren Mars-Mond Phobos ("Furcht") untersuchen sollten.
Raumsonde Phobos 1 verlor schon während des Flugs die Orientierung und taumelt seither als Weltraumschrott durchs Sonnensystem. Ein Mitarbeiter des Bodenpersonals hatte dem Flugkörper falsche Steuersignale übermittelt.
Phobos 2 gelangte zwar in eine Mars-Umlaufbahn und funkte von dort aus sogar ein paar Fotos zur Erde. Ehe sie aber auf dem wie eine Kartoffel aussehenden Mars-Mond Landefahrzeuge absetzen konnte, verstummte die Sonde aus nie geklärten Gründen. Y
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_218b Flugroute der amerikan. Planetensonde »Mars Observer«
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