SEUCHEN Killervirus aus der Höhle
Die Kranken leiden fürchterliche Qualen. Ihre Muskeln zucken. Aus Augen und Ohren quillt Blut. Binnen Tagen verwandeln sich Teile ihres Gewebes in einen breiigen Schleim.
Doch Christa Kitz darf keinen Gedanken an diese Leiden verschwenden. Auch Mitleid muss sie unterdrücken. »Es ist furchtbar, nicht helfen zu können. Aber es geht vor allem darum, die Gesunden zu retten«, sagt die gebürtige Düsseldorferin. Sie will verhindern, dass das aggressive Marburg-Virus, das seit einigen Wochen in Angola wütet, noch mehr Opfer findet.
Deshalb zieht Kitz durch die Krankenhäuser der Hauptstadt Luanda, wo das Virus mittlerweile angekommen ist. Zwei Lagen Handschuhe sowie Augen- und Mundschutz sollen sie selbst vor einer Infektion bewahren. »Wer die Gefahr kennt, kann sie auch beherrschen«, so ihr Credo.
Hat Kitz einen Kranken mit den typischen Symptomen identifiziert, ordnet sie die Überweisung in eine improvisierte Isolierstation an, die sie gemeinsam mit anderen Medizinern der Organisation Ärzte ohne Grenzen aufgebaut hat.
Diesmal, so fürchten die Verantwortlichen bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), handelt es sich um mehr als nur ein kurzes lokales Aufflackern der Seuche. Die große Zahl der Opfer (inzwischen fast 200) und die extrem hohe Todesrate (nur jeder Zehnte überlebt die Infektion) riefen die Virologen auf den Plan.
Im Gegensatz zu seinem Verwandten, dem Ebola-Virus, ist über das Marburg-Virus nur wenig bekannt. Zum ersten Mal ist es, daher auch sein Name, 1967 bei Mitarbeitern der Behringwerke in Marburg ausgebrochen. Sie hatten sich durch Laboraffen aus Uganda angesteckt.
»Während Ebola sich wie ein Buschfeuer verhält, schmurgelt Marburg zunächst im Verborgenen vor sich hin«, sagt der Marburger Virologe Stephan Becker, der in einem Hochsicherheitslabor an den Viren forscht und unlängst auf eine vielversprechende Behandlungsmethode gestoßen ist.
Auch in Angola hatte das Virus zunächst nur geschwelt. Schon vor über fünf Monaten gab es Verdachtsfälle in der Provinz Uíge im Norden des Landes. Im März starben dann plötzlich Dutzende Kinder in der Pädiatrie des Zentralkrankenhauses. Die italienische Ärztin Maria Bonino, 51, steckte sich dort ebenfalls mit dem Erreger an, schleppte sich ins Flugzeug nach Luanda und verstarb kurz darauf. Auch infizierte Angolaner kamen in die Drei-Millionen-Stadt.
Die Ankunft des Erregers in einer Metropole setzte die Mühlen der westlichen Virenjäger in Bewegung. »Am Karfreitag erhielt ich den Anruf von der WHO, um sechs Uhr am Ostersonntagmorgen saß ich im Flugzeug nach Luanda«, sagt Kitz.
Panik hat das von Bürgerkriegen verarmte Land ergriffen. Die Menschen aus dem Norden, darunter auch Pfleger und Ärzte, fliehen aus dem Epizentrum der Seuche. Das ohnehin desolate Gesundheitssystem droht vollends zu kollabieren.
Auch die Isolierstation, die Kitz aufgebaut hat, ist ein Notbehelf. »Wir haben Gruben ausgehoben. Da verbrennen wir Abfall und Fäkalien«, sagt die Katastro-
phenhelferin. »Es darf einfach nichts Kontaminiertes nach draußen dringen.«
Nicht alle Angolaner verstehen den Sinn der Maßnahmen. In der Seuchenregion Uíge sind Fahrzeuge der Ärzte ohne Grenzen und der WHO angegriffen worden. Der Anblick vermummter westlicher Mediziner, die Angehörige aufgreifen und auf Isolierstationen verbannen, weckt Ängste. Trotzdem folgen den Ärzten nun auch Forscher. Sie wollen wissen, wo das Virus unter den Menschen seinen Lauf begonnen hat. »Wir werden wohl Schwierigkeiten haben, einen Patienten Nummer eins zu finden«, sagt Matthias Borchert, deutscher Epidemiologe mit Lehrauftrag in London, der auf seinen Ruf in die Krisenregion wartet. »Denn seit seinem Tod ist schon viel Zeit verstrichen.«
Dennoch weiß Borchert aus Erfahrung von früheren Ausbrüchen, wonach er suchen muss: einer Höhle. Denn in vergangenen Fällen scheinen Höhlen Ursprung der Epidemien gewesen zu sein. »Das Marburg-Virus lebt dort sehr wahrscheinlich unbehelligt in einem Tier und springt dann auf einen Menschen über«, erklärt Borchert.
So auch bei einem Marburg-Ausbruch in der Demokratischen Republik Kongo, wo Borchert zusammen mit einem Expertenteam auf Goldminen stieß, in denen die meisten der Verstorbenen gearbeitet hatten. »Zehntausende Fledermäuse klebten an den Decken«, erinnert sich Borchert.
In Schutzanzügen fingen sie Hunderte Tiere ein, entnahmen Blut- und Gewebeproben. Doch die Analysen, unter anderem am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut, fielen enttäuschend aus. Nirgends fand sich der Erreger. »Dabei weiß man, dass sich Fledermäuse mit Marburg infizieren lassen, aber nicht erkranken«, sagt Borchert. Genau das sei das Charakteristikum eines sogenannten Reservoirwirts, in dem das Virus bis zur nächsten Attacke schlummert.
Ein schlüssiger Beweis jedoch wäre nur eine Marburg-infizierte Fledermaus in freier Wildbahn. Borchert: »Vielleicht verrät sich das Virus diesmal, und wir werden in Angola fündig.« GERALD TRAUFETTER
* Links: eingefärbte Aufnahme einesTransmissions-Elektronenmikroskops; rechts: in Marburg.