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AUTOMOBILE Knackige Böcke

BMW entwickelte - vor Audi und Mercedes - den ersten Luxus-Diesel mit acht Zylindern. Haben die Heizöl-Flaggschiffe Chancen am Markt?
aus DER SPIEGEL 19/1999

Kaum hörbar surrt der kraftstrotzende Motor unter der Haube des neuen BMW 740d. »Die Zylinderbänke laufen in perfektem Gleichtritt«, schwärmt Gerhard Schmidt, Leiter der Antriebsentwicklung bei BMW.

Im Juni bringt der Münchner Automobilhersteller die erste Luxuslimousine der Welt auf den Markt, die von einem Achtzylinder-Dieselmotor angetrieben wird. In Leistung wie Preis erreicht der bullige, von zwei Turboladern beatmete Ölbrenner bislang unerschlossene Gefilde: Aus 3,9 Litern Hubraum schöpft der 740d 245 PS, er erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von 242 km/h und kostet 130 000 Mark.

BMW, erst seit 16 Jahren im Diesel-Geschäft, prescht damit der Konkurrenz deutlich voran. Audi, Pionier der sparsamen und leistungsstarken Direkteinspritzer, wird ein halbes Jahr später im Flaggschiff A8 einen V8-Diesel mit 225 PS anbieten; die traditionelle Diesel-Marke Mercedes rüstet im Sommer 2000 die erste Limousine der S-Klasse mit einem achttöpfigen Selbstzünder aus.

Die gewaltigen Antriebsmaschinen sollen die Krönung einer Entwicklung sein, die während der vergangenen zehn Jahre den Diesel-Pkw allmählich vom behäbigen Nutztier zum sportlichen Symbol anspruchsvoller Spitzentechnik aufsteigen ließ.

Die Erfindung des Aggregats war zunächst überschattet von Frustrationen. Eine »Kraftmaschine für das Volk« schwebte dem Ingenieur Rudolf Diesel vor, als er 1893 sein Patent beurkunden ließ. Sie arbeitete, wie der 17 Jahre zuvor von Nikolaus August Otto eingeführte Benziner, mit Kolben und vier Takten, verdichtet jedoch zunächst nur reine Luft, und das erheblich höher. Der tranige Kraftstoff wird in den hochkomprimierten und deshalb stark erhitzten Brennraum eingespritzt und entflammt dort ohne die Hilfe einer Zündkerze, daher der Begriff »Selbstzünder«.

Diesel hatte mit der Vermarktung seiner Idee wenig Fortüne, erlitt 1899 einen Nervenzusammenbruch und mußte bald darauf aus Geldnot sämtliche Rechte an seinen Patenten verkaufen. Bei einer Überfahrt nach Großbritannien ging der Erfinder am 29. September 1913 unter ungeklärten Umständen über Bord und ertrank.

Seine Erfindung, wegen der hohen Verdichtung erheblich durchzugsstärker und sparsamer als ein Benziner, setzte sich später als Standardantrieb für Nutzfahrzeuge und Schiffe durch. Im Pkw blieb der Dieselmotor wegen seiner behäbigen Kraftentfaltung und seines laut nagelnden Klangs lange eine Randerscheinung, von anspruchslosen Vielfahrern bevorzugt, denen der niedrige Verbrauch wichtiger war als Komfort und Sportlichkeit.

Doch das schnöde Treckerimage wandelte sich während der vergangenen zehn Jahre, seit Audi, später VW und inzwischen fast alle Hersteller eine im Nutzfahrzeugbau längst verbreitete, aber wegen ihrer hohen Abgas- und Lärmemissionen lange nicht auf den Pkw übertragbare Technik letztlich doch in den Griff bekamen und auf breiter Linie einführten: die Direkteinspritzung, bei der der Kraftstoff nicht in eine Vorkammer, sondern unmittelbar in den Brennraum geleitet wird.

Nur in Verbindung mit ihr kann der Dieselmotor extrem hoch verdichten und seine größtmögliche Effektivität erreichen. Der Weg zu gewaltigen Motorleistungen bei spektakulär niedrigen Verbrauchswerten war geebnet.

Der direkteinspritzende Achtzylinder des neuen Diesel-Flaggschiffs von BMW schluckt nach Euronorm 9,8 Liter auf 100 Kilometer. Kein anderes Auto der Welt, das zwei Tonnen Leergewicht in 8,4 Sekunden auf 100 km/h beschleunigt, ist nur annähernd so sparsam.

Die größte technische Hürde bei der Entwicklung der neuen V8-Diesel war die bauliche Absicherung der Motoren gegen ihre eigene Kraft. 560 Newtonmeter wirken auf die Kurbelwelle des BMW 740d, 70 mehr als beim Zwölfzylinder-Benziner des 750i.

Damit diese nicht ihre eigenen Lager aus den Passungen drückt, entwickelte BMW ein neuartiges Knack-Verfahren für die Herstellung der Lagerböcke. Die halbkreisförmigen Halterungen werden beim Bau des Motors zunächst hydraulisch vom Gußgehäuse abgesprengt und nach dem Einbau der Kurbelwelle wieder mit diesem verschraubt. So entstehen strukturierte Bruchkanten statt glatter Flächen, die die Böcke gegen seitliche Kräfte abstützen.

Technisch, daran besteht kein Zweifel, kann der Dieselmotor jetzt auch in der höchsten Liga der Luxusklasse bestehen. Dennoch ist der Vorstoß riskant, denn sein entscheidender Vorteil, der deutlich niedrigere Verbrauch, spielt bei Fahrzeugpreisen weit jenseits der 100 000 Mark kaum eine Rolle. Hier zählt ausschließlich Prestige.

Um den aufstrebenden Nimbus des Heizöl-Motors weiter zu beflügeln, plant VW-Konzernchef Ferdinand Piëch bereits einen spektakulären Einsatz im Rennsport. Die Konstrukteure in Wolfsburg arbeiten an einem zehnzylindrigen Diesel-Giganten, der am 24-Stunden-Rennen in Le Mans teilnehmen soll. Hier wäre der Verbrauch wieder ein beachtlicher Joker, denn die Zahl der Tankstopps entscheidet bei dem Langstrecken-Wettkampf mit über Sieg und Niederlage.

Doch bislang haben die Konstrukteure kalte Füße. Ein Einsatztermin steht noch nicht fest. Der unerbittliche Konzernchef hat eine klare Weisung ausgegeben: Der Wagen soll entweder auf Anhieb siegen - oder niemals antreten. CHRISTIAN WÜST

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