UMWELT Lauschangriff unter Wasser
Nur ungern beschreibt Diego Tonolla das Flüstern eines Flusses mit Worten. Sprachakrobatik überlässt er lieber den Dichtern. Seit Jahrhunderten mühen sie sich, das Murmeln, Plätschern und Tosen in klangvolle Verse zu fassen.
Die Sprache des Schweizer Ökologen, in die er die Töne von Gewässern übersetzt, besteht aus Zahlen: Frequenzen, Lautstärken, Zeitintervallen. Eine Software komponiert daraus farbige Diagramme. In diesen Klangpartituren fahndet Tonolla dann nach ökologischen Fingerabdrücken.
»Jeder Fluss tönt zwar anders, aber trotzdem finden wir typische Klangmuster«, sagt der Umweltexperte vom Wasserforschungsinstitut Eawag der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich.
Doch wozu ist das gut?
Überall, wo Wasser sanft ans Ufer schwappt, wo Bäche über Steine wirbeln oder wo ein Strom eine Stufe hinabdonnert, baut der Forscher seine Abhörstation auf und startet den Lauschangriff aufs Gewässer. An einer Stange befestigt, registrieren zwei Unterwassermikrofone das Gurgeln und Blubbern. Das Geplätscher von rund 20 vor allem Schweizer Flüssen hat Tonolla bereits so aufgenommen und ausgewertet.
»Wir suchen nach einer einfachen Methode, die uns schnell Informationen über einen Fluss liefert«, sagt Tonolla. Denn herkömmliche Flussuntersuchungen sind aufwendig. Meter für Meter laufen Ökologen die Ufer von Limmat, Rhône, Thur oder Inn ab, um ein hydrologisches Profil zu erstellen. Sie messen Wassertiefe und Breite des Flusses, notieren, wo Ufer verbaut oder naturbelassen sind und welche Pflanzen ihre Ränder säumen. All das zeigt, wie es um die Natur des Flusses steht. Doch möglicherweise kann das auch ein viel einfacher zu ermittelndes Merkmal des Gewässers: sein Klang.
Am Rauschen kann der Flussforscher zum Beispiel Lebensräume, sogenannte Habitate, deutlich unterscheiden. Fließt ein Fluss schnurgerade und gleichmäßig, dringt ein dumpfes Brummen aus den Lautsprechern, im farbigen Schalldiagramm leuchten die tiefen Frequenzen wie Säulen auf. Saust das Wasser über eine Schwelle, nehmen die mittleren Frequenzen zu. Stürzt es als Kaskade hinab, wird der bunte, wogende Klangteppich lauter. Kommt das Wasser schließlich vor angeschwemmten Kiesbänken zur Ruhe, wogt ein kaum hörbares Rauschen ans Ohr.
Einmal hat Tonolla bereits das Porträt eines ganzen Flusslaufs auf diese Weise erstellt: 30 Kilometer weit hat er sich zusammen mit Kollegen von der University of Montana den Fluss North Fork Flathead in Montana hinabtreiben lassen, zwei Hydrofone im Schlepptau. Das Ergebnis der Horchtour ist eine Karte, die alle Lebensräume des Gewässers recht wirklichkeitsgetreu abbildet.
Im Bann des Wassergeflüsters steht auch Nathaniel Morse von der University of Vermont. Allein am Sound des Flussrauschens glaubt er zu erkennen, wie gut das Wasser durchlüftet ist. »Die Methode ist bestechend einfach«, sagt Tonolla. »Wo mehr Turbulenzen, also mehr Klang ist, wird mehr Sauerstoff aufgenommen.« Für Flussforscher stellt dies eine besonders wichtige Information dar: Sie verrät, ob das Gas im Wasser für das Überleben von Fischen und anderen Lebewesen ausreicht.
Tonolla will nun feststellen, ob das Rauschen auch etwas darüber erzählt, wie viel Kies oder Sand ein Fluss mit sich reißt und ob er Geröll transportiert und somit Schotterbänke ablagert. Denn das würde bedeuten, dass Fliegen ihre Eier hier ablegen oder dass der Flussregenpfeifer brüten kann.
Schon jetzt vermag Tonolla zu hören, wenn an den Hydrofonen Sedimentpartikel vorbeitrudeln. »Drrr drrr«, imitiert Tonolla das sanfte Knistern im Lautsprecher. Sehr malerisch klingt das nicht, aber Poesie ist ihm ja auch fern. TANIA GREINER