MEDIZIN Leben aus dem Koffer
Wir sind als erste ins Wasser gesprungen, aber andere standen wie wir startbereit am Beckenrand.« Mit diesen Worten umschrieb 1967 der Kapstädter Herzchirurg Christiaan Barnard seine damalige Pionierrolle bei der Verpflanzung eines menschlichen Herzens.
Eine ähnliche Situation -- verschiedene Ärzte-Teams gleichsam sprungbereit in den Startlöchern -- zeichnet sich jetzt für die Alternative zur Herzverpflanzung ab: In mehreren Forschungszentren in der Welt bereiten sich Mediziner darauf vor, zum erstenmal einem Menschen eine mechanische Pumpe anstelle eines Herzens in den Brustkorb einzusetzen.
Wissenschaftler in Innsbruck und Zürich, in Aachen und Berlin, aber auch in Pittsburgh, Rostock und Moskau arbeiten seit mehr als einem Jahrzehnt an der Entwicklung von Kunstherzen. Am weitesten fortgeschritten und zur medizinischen Ersttat entschlossen sind offenbar die Ärzte im Herzzentrum der University of Utah in Salt Lake City.
»Innerhalb der nächsten Monate«, so erklärte letzte Woche ein Sprecher der Klinik, werde das Ärzte-Team in Utah einen Patienten mit einem Kunstherzen ausstatten. Die Medizin-Fakultät der Utah-Universität hat für das Experiment grünes Licht gegeben; die Erlaubnis der US-Arzneimittelbehörde FDA wird erwartet.
Einpflanzen soll das Kunstherz der Chirurg William De Vries, der diese Operation in zahlreichen Tierversuchen erprobt hat. Entwickelt wurde das Utah-Kunstherz von Dr. Robert Jarvik, einem Arzt, der sich auf menschliche Ersatzteile ("bio-engineering") spezialisiert hat. Jarvik gehört zum Team des aus Holland stammenden Willem Kolff, der 1943 die erste Künstliche Niere entwickelte und schon vor 14 Jahren als erster das Modell eines Kunstherzens vorführte.
Die künstliche Blutpumpe, die in Utah entwickelt wurde, ist etwa so groß wie, aber anders geformt als das Herz eines erwachsenen Menschen. Die Pump-Membranen im Innern des aus Aluminium und Kunststoffen bestehenden Hohlkörpers arbeiten pneumatisch: Ein tragbares, mit Strom aus der Steckdose oder aus Batterien gespeistes Antriebsgerät liefert die Druckluft, die über zwei 1,80 Meter lange Schläuche in das Kunstherz gelangt. Die Druckluft bewegt die Membranen, die das Blut in die Schlagadern pressen.
Die Entwicklung von Kunstherzen war in den siebziger Jahren stetig vorangetrieben worden, nachdem die anfängliche Euphorie der Herzverpflanzer verflogen war: Vor allem die Abstoßungsreaktionen im Organismus der Herz-Empfänger bereiteten große Probleme. Inzwischen gehören an einigen wenigen Zentren in der Welt -- in den USA, in England, Südafrika und Frankreich -- Herztransplantationen S.191 wieder zum Operationsprogramm. Bisher am längsten überlebte der Franzose Emmanuel Vitria den Eingriff: Im November letzten Jahres feierte er den 12. Jahrestag der Transplantation.
Mehr als 30 Prozent der Transplantationsanwärter freilich sterben in der Zeit, in der sie auf ein geeignetes (gewebeverträgliches) Spenderherz warten müssen -- »ein schauriger Gedanke«, wie jüngst der Berliner Herzchirurg und Kunstherz-Konstrukteur Emil Bücherl formulierte.
Gerade für diese Fälle -- zur Überbrückung, bis ein geeignetes Spenderherz gefunden ist -- sehen Bücherl ebenso wie seine amerikanischen Kollegen einstweilen die Möglichkeit, das Kunstherz beim Menschen einzusetzen. Als Dauerersatz ist die künstliche Blutpumpe vorerst noch nicht geeignet.
Das Hauptproblem erläuterte Bücherl letzte Woche in einer ARD-Sendung: Bei annähernd 140 000 Herzschlägen pro Tag muß die Membran eines Kunstherzens, wenn ein Mensch zehn Jahre damit leben soll, 500 Millionen Mal ihre Pumpbewegung vollführen -- das wäre, als würde ein Pkw-Motor vier Millionen Kilometer störungsfrei zurücklegen. Bücherl: »Es gibt (bislang) keinen Kunststoff, der diese mechanische Belastung aushält.« Derzeit liege die mechanische Lebensdauer von Kunstherzen etwa bei zwei bis drei Jahren.
Kalkablagerungen und die Gefahr, daß Blutzellen (infolge unterschiedlicher Strömungsgeschwindigkeiten) zerstört werden oder sich an Rissen oder rauhen Stellen des Kunstherzens ablagern, sind weitere Probleme, die bei der Entwicklung des Kunstherzens zu meistern waren. Die Blutverträglichkeit der Kunststoffe wurde mittlerweile jedoch erheblich verbessert.
So gibt es bei allen an dem Wettlauf beteiligten Forschungszentren mittlerweile Versuchskälber, die monatelang mit künstlichen Herzen überlebt haben. Goliath, ein Kalb, das in der Bücherl-Klinik mit einem Kunstherzen versehen wurde, konnte sich damit frei bewegen, allerdings in Begleitung eines Wärters: Er schleppte die koffergroße Antriebsmaschine, welche die Wankel-Pumpe in Goliaths Brustkorb rotieren ließ. Goliath lebte damit drei Monate.
Den Überlebensrekord hält derzeit das Jersey-Kalb Tennyson im Zentrum für künstliche Organe an der University of Utah: Am Freitag letzter Woche war Tennysons 256. Lebenstag mit dem künstlichen Herzen.
»Wir haben nicht die Absicht«, erklärten die Doktoren Jarvik und De Vries letzte Woche, »uns Hals über Kopf in diese Sache zu stürzen.« Mehrere hundert Tierexperimente und zahlreiche Tests, auch an Leichen, seien schon vorausgegangen, und bei der Auswahl des Patienten, der als erster ein Kunstherz bekommt, werde man strengste Maßstäbe anlegen.