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DOKUMENTATIONEN Leben bis zur Endstation

Die fünfteilige Doku-Soap »Die letzte Reise« zeigt ungeschönt, wie Menschen sich ihrem nahen Tod stellen.
aus DER SPIEGEL 3/2006

Das war ein schönes Leben, und mit Bedauern stelle ich fest, dass es vorbei ist«, sagt Christa Riebold, die pensionierte Lehrerin. Sie war nach Berlin gezogen, um die Großstadt zu genießen - jetzt wohnt sie im Hospiz. Immerhin: »Die versuchen, es einem schön zu machen, und hindern einen nicht am Sterben.«

Auch Wilfried Trogant und seine Frau hatten sich ihren Lebensabend im Häuschen in der Gartenkolonie anders vorgestellt. Von der Arbeit in der Asbestfabrik hat Herr Trogant Krebs bekommen. »Man hat mir viel genommen«, sagt Herr Trogant, aber er ist nicht bitter. »Mit Angst soll es nicht zu Ende gehen. Ich brauch schon noch ein bisschen Fröhlichkeit.«

Gewöhnlich unterhalten Doku-Soaps ihr Publikum mit den kleinen Dramen des Alltags: Ganz normale Menschen kämpfen gegen Pfunde, um den Führerschein oder den Abschluss auf einer Hotelfachschule. In der sehenswerten WDR-Produktion hingegen, die Arte als Erstausstrahlung zeigt, geht es diese Woche täglich auf dem Soap-Platz um 20.15 Uhr jeweils für eine halbe Stunde ums Sterben.

Für ihre Doku-Serie »Die letzte Reise« hat Mechthild Gaßner über Monate Todkranke und deren Nächste beim schwersten Gang des Lebens behutsam begleitet bis zur Endstation: Wird Herr Strebe noch die Ausstellung seiner Blumenbilder im Hospiz erleben? Wird Frau Harmann noch am Leben sein, wenn ihre Vertraute, die Hospizköchin, aus dem Urlaub kommt? Wird Natalie, 13, am Sterben ihrer Mutter reifen, wie die Psychologin der Palliativstation hofft: »Aha, im Leben gibt's Leid und Tod, aber das muss mich nicht umhauen, sondern ich kann daran wachsen«?

Auf unsentimentale Weise lässt die Serie daran teilhaben, wie sich ihre Helden der Trauer und der Angst vor dem endgültigen Abschied stellen - tapfer und in Würde. Nicht immer gelingt dies; aber wenn professionelle Helfer sich dafür einsetzen, dass der Kranke ohne allzu großes Leiden die letzte Zeit so verbringen kann, wie er es möchte, stehen die Chancen gut.

Gaßner hat die Palliativärztin Petra Anwar bei ihrer Arbeit begleitet. Beim Berliner Home-Care-Dienst - einem Pilotprojekt, wie es in Deutschland gerade mal eine Hand voll gibt - betreuen die Experten Sterbende zu Hause oder im Hospiz, rund um die Uhr. Mitten ins Frühstück mit den Kindern klingelt Anwars Handy: »Wir müssen uns ein bisschen beeilen«, sagt sie zu ihren drei verschlafenen Knirpsen. »Bei Mama ist gerade ein Patient gestorben.«

Anwars Sorge gilt auch den Angehörigen. Frau Strebe zum Beispiel: Ihr Mann war Wirt, ein geselliger Mensch. Jetzt kann er nicht mehr essen und sprechen, denn ein Karzinom wächst im Kehlkopfbereich, nahe an einer Halsschlagader. Herr Strebe möchte zu Hause sterben. Dafür brauchen Strebes gute Nerven und Vorbereitung auf das, was geschehen könnte.

»Wichtig ist, dass ich ehrlich mit Ihnen spreche«, sagt Petra Anwar. »Wenn es an der Halsschlagader anfängt zu bluten, sind Sie in Sekunden gestorben.« Herr Strebe nickt gefasst und steckt sich eine Zigarette an. »Wenn es nicht so schnell geht, werde ich da sein. Das verspreche ich Ihnen.«

Während Herr Strebe dank künstlicher Ernährung sein Gewicht hält, wird seine Frau immer dünner. Sie will ihm nichts voressen. »Ihr Mann kann nur zu Hause bleiben, wenn Sie nicht umfallen«, ermahnt die Ärztin sie mütterlich, während ihr Herr Strebe gentlemanlike in den Mantel hilft. »Denken Sie daran«, ruft sie zum Abschied Frau Strebe zu, »Sie haben eine volleingerichtete Küche.«

Dann macht sie sich auf den Weg zu Herrn Trogant, um ihm Wasser aus dem Leib zu zapfen. »Dieser Übergang, dass der nicht zu schwer wird«, hofft Herr Trogant, der es noch mal vom Bett auf die Couch geschafft hat. »Aber damit werden wir schon fertig werden. Es gibt einen Gott, nichts ist endgültig, wenn man stirbt.«

Herr Trogant redet sich selbst Mut zu und seiner Frau, von der er ahnt, sie leide mehr als er. »Nehmen wir's leicht«, bittet er sie und schickt sie Tee kochen. Über die Angst, findet er, kann man mit Fremden leichter reden. Dann spricht er in die Kamera: »Klappe zu, Affe tot.« Und lacht.

Ein Hochhaus in Neukölln: Familie Dahlmann feiert eine Heimkehr aus dem Krankenhaus. »Ich weiß ja, dass es nur ein Abschied sein wird«, sagt Sylvia Dahlmann, 34. Sie war Serviererin und Reinigungskraft. Dann kam der Krebs: Anderthalb Jahre war sie im Spital. Manuela, ihre Schwägerin und dickste Freundin, hat Tochter Natalie aufgenommen, zu den eigenen vier Kindern. Nun will sie Sylvias sehnlichsten Wunsch erfüllen: zu Hause sterben zu können. Ihr Mann hat das Wohnzimmer für das Pflegebett freigeräumt.

In der engen Wohnung toben Kinder herum, die Mädchen üben Breakdance, hochschwanger mit dem fünften steht die Schwägerin am Herd. »Und da trauen Sie sich zu, auch noch die sterbenskranke Freundin zu sich zu nehmen?«, fragt die Filmemacherin. Manuela dreht die Buletten in der Pfanne um und sagt: »Ick hab sie sehr lieb, und da macht man das eben.«

Am Ende meistert die Familie, unterstützt von der Ärztin, die Situation mit Bravour. »Die letzte Reise« zeigt ungeschönt, wie schwer es ist, mit dem Sterben zu leben. Sie zeigt aber auch, wie Treue und Freundschaft, Liebe und Hingabe auf der letzten Etappe die Angst überwinden helfen. Bei ganz normalen Menschen. BEATE LAKOTTA

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