ÄRZTE Levantinisches Gefüge
Die langbeinigen Stewardessen von »Pan Am« und »British Airways« nicken dem kleinen Professor liebevoll zu. Er ist ihr Stammgast, ein Vielflieger. Mehrmals in der Woche hebt er von Berlin-Tegel ab, mal düst er nach München, mal nach Köln-Bonn oder in die große, weite Welt. So kann er seiner Neigung leben. Sie hat ihm den Spitznamen »Karlchen Überall« eingetragen.
In Berlin präsidiert der mobile Mediziner dem Bundesgesundheitsamt, in München sitzt er als Wissenschaftler auf einem Lehrstuhl der Medizinischen Fakultät, in Bonn gilt es, einen Arbeitgeber zu beraten. Nebenbei ist er Mitglied, Beirat oder gar Präsident in mehr als einem Dutzend wissenschaftlicher Gesellschaften, gibt Zeitschriften heraus und tingelt als Festredner.
Zum erstenmal in seiner erstaunlichen Karriere gerät der Senkrechtstarter nun in Turbulenzen. Denn der Beamte Überla tummelt sich auch in der Grauzone des privaten Nebenerwerbs. Jetzt droht ihm der Absturz.
Dabei ist Überla, was dieses Feld zwischen eigenwirtschaftlichen und gemeinnützigen Zwecken angeht, ein alter Profi. Auch sein letzter Ausflug in jenen »hochsensiblen Bereich«, wo das Geld der Pharma-Industrie dem Staatsdiener begegnet, begann gutgelaunt und mit frohen Erwartungen.
Am 28. September letzten Jahres, einem Freitag, versammelte Überla, diesmal in seiner Eigenschaft als Vorstandsvorsitzender der »Gesellschaft für Informationsverarbeitung und Statistik in der Medizin« (Gis), den eingetragenen Verein zu einer Mitgliederversammlung. Man tagte im Münchner Feinschmeckerrestaurant »Käfer«. Der ganze Verein paßte gemütlich an einen Tisch, denn er besteht nur aus fünf Herren. Es sind beamtete Medizinprofessoren, laut Überla »statistisch interessiert«, und ihr Verein hat laut Satzung vor allem den Zweck, die »Datenverarbeitung in der Medizin zu unterstützen«. Der Sitz des Vereins ist in Irschenhausen bei München, Seeleiten 18. Dort steht das private Wohnhaus des Berliner BGA-Präsidenten. Die Gis ist Überlas Untermieter.
Das muß nicht so bleiben. Der gemeinnützige Verein, gegründet 1969 in Ulm, hat mittlerweile eine steuerfreie Rücklage von 500 000 Mark angesammelt. Leider, so wurde in der »Käfer«-Runde geklagt, habe sich der Kauf eines Gis-Grundstücks verzögert. Der Expansion tut dies jedoch keinen Abbruch. Am 8. Oktober, einem Montag, erschien Überla, »alleinvertretungsberechtigter Vorstand« der Gis, bei dem Münchner Notar Benno Keim und verwandelte sich dort in einen Firmengründer.
Er ließ das »Biometrische Zentrum für Therapiestudien (BZT)«, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, in das Handelsregister eintragen. So hatte es die Gis-Runde bei »Käfer« - »zum Zwecke der besseren Rechnungsabgrenzung« (Überla) - beschlossen und den vielseitigen Überla zugleich beauftragt, das Stammkapital von 50 000 Mark »durch Barzahlung« zu leisten.
Die Gis-Tochter tut das, was die Mutter auch tut. »Zweck der Gesellschaft«, so steht es in Paragraph 2 des Gesellschaftsvertrages, »sind Studien medizinischer und biometrischer Art auf wissenschaftlicher Grundlage.«
Mit solchen Studien ist eine schnelle Mark zu machen. Überla weiß das. Er ist seit mehr als zwei Jahrzehnten als »Methodiker in der Medizin tätig«, Spezialität: Biometrie. Das ist, steht im »Klinischen Wörterbuch« von Willibald Pschyrembel, die »Wissenschaft von Theorie und Anwendung mathematischer Methoden in Biologie und Medizin«.
Biometrie hat Hochkonjunktur, vor allem deshalb, weil in der Bundesrepublik mit mehr als 140 000 Arzneispezialitäten Handel getrieben wird, was Art und Zahl der unerwünschten, mitunter auch tödlichen Nebenwirkungen ins Unüberschaubare steigert. Biometrische Studien sollen den Entscheidungsträgern einen Durchblick verschaffen.
Auch deshalb hat das Berliner BGA (Präsident: Überla) die Münchner Gis (Vorsitzender: Überla) wiederholt für einen biometrischen Rat empfohlen. Die Tochter BZT hat aus Berlin gleich einen Auftrag bekommen. Für 18 000 Mark soll sie über »Modelle zur Erprobung nach Inverkehrbringung neuer Arzneimittel« nachdenken.
Eigentlich könnten solche Fragen auch von den Wissenschaftlern des BGA beantwortet werden. Überla steht einer Bundesoberbehörde vor, bei der rund 400 Wissenschaftler (davon 113 Professoren) Dienst tun. Alles in allem ist der fixe Überla Chef von 1600 Bundesbediensteten. Da wird er nach B 8 besoldet, mit monatlich rund 10 000 Mark.
Bei seiner Amtseinfuhrung, stilvoll im Berliner Reichstag zelebriert, hatte er seinen Untergebenen 1981 versprochen: »Sie können von mir Hingabe an das Amt und persönliche Askese erwarten.« Daraus wurde nichts.
Dem Amt gibt Überla sich meist nur dienstags, mittwochs und donnerstags hin. Auch mit der Askese hapert es beim »DiMiDo-Präsidenten« (Bonner Spott). Dazu schätzt er Dienstwagen (Kennzeichen: B - 3), Jet-set, Segeln und opulentes Essen allzu sehr. Die schönsten kalten Buffets baut ihm die Industrie auf. Dann greift der Rotarier zu; mal auf Rhodos, bei einem »Fortbildungs-Meeting« der Firma Sanol, mal als Gast der Zigarettenindustrie in Wien.
In den Sog der Pharma-Industrie ist Karl Überla, ein Sudetendeutscher des
Jahrgangs 1935, erst Ende der sechziger Jahre geraten. Bis dahin hat er eine kreuzbrave Karriere absolviert, die ihn, wie Mediziner sagen, zum »Facharzt für Schriftverkehr« qualifizierte.
Mit Patienten kam er nur während seiner kurzen Medizinalassistentenzeit in Kontakt. Nach dem Staatsexamen 1960 in Freiburg studierte er Psychologie und erwarb auch darin ein Diplom. Danach befaßte er sich vor allem mit medizinischer Statistik und Dokumentation. 1968, als 33jähriger, wurde er ordentlicher Professor für Medizinische Informationsverarbeitung und Statistik in Ulm; 1973 berief ihn der bayrische CSU-Kultusminister an die Münchner Universität. Dort fand der ordentliche Professor erstmals Zeit für außerordentliche Kontakte zur Pharma-Industrie.
Er wurde, nebenbei, Vorsitzender des »Wissenschaftlichen Beirats des Instituts für Klinische Pharmakologie (Iphar)« in München-Ottobrunn. Das ist eine Firma, die für teuer Geld Gutachten über neue Medikamente anfertigt.
Solche Gutachten werden von den »Zulassungskommissionen« des BGA angefordert, wenn das Amt darüber entscheidet, ob eine Novität in den Verkehr gebracht werden darf oder nicht.
Schon in jenen Jahren traf es sich für manche Pharmafirma günstig, daß Überla nicht nur privat für Iphar gutachtete, sondern, in anderer Rolle, auch amtlich mitzusprechen hatte: Damals war der Münchner Biometriker zugleich Vorsitzender der »Zulassungskommission A« des Berliner Bundesgesundheitsamtes.
Seinen Kommissions-Kollegen hat er von dieser Interessenkollision nichts erzählt. An allen Abstimmungen nahm er gelassen teil. Ihm kam zwar die Erkenntnis, daß man »hochsensibel sein muß in diesem Bereich«, doch Zweifel an seiner »persönlichen Integrität« plagen ihn nicht. Als ihn die damalige SPD-Gesundheitsministerin Antje Huber 1981 zum BGA-Präsidenten berief, tönte Überla: »Man hat mir einen neuen Rock angezogen, an den ich mich gewöhnen werde und der sich an mich gewöhnen wird.«
Daß der neue Rock dem Biometriker wohl doch zu groß ist, dämmert auch dem Gesundheitsministerium. »Der hat die Hoheitsfunktion des Amtes, das wirklich einen ganzen Mann erfordert, überhaupt nicht begriffen«, klagt ein Bonner Entscheidungsträger: »Wir leiden auch unter diesem levantinischen Gefüge.«
Die »Verwobenheit« des BGA-Chefs mit der Klientel, die er überwachen soll, hat im Amt zu Schlendrian und dem Geruch von Korruption geführt. Die vom Arzneimittelgesetz vorgeschriebenen Aufgaben werden nur schleppend erledigt. Bis 1989 sollen mehr als 50 000 Alt-Arzneimittel überprüft werden. Bei dem jetzigen Tempo wird das bis zum nächsten Jahrtausend dauern.
Trotz der von fast allen BGA-Akademikern beklagten »dienstlichen Überlastung« haben einige leitende Herren Zeit gefunden, auch einen eigenen Verein zu gründen. Er heißt »Fortbildungszentrum Gesundheits- und Umweltschutz Berlin e.V. (FGU)« - Kuratoriumsmitglied: Überla - und veranstaltet Seminare, unter anderem zur Arzneimittelzulassung. Dabei erläutern die BGA-Beamten die Feinheiten des Zulassungsweges. Natürlich nicht gratis, sondern für 350 Mark pro Teilnehmer.
So werden, sagt Dr. med. Ulrich Moebius, Herausgeber des unabhängigen »Arznei-Telegramm«, »zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Die Arzneimittelhersteller erhalten Gelegenheit, für 350 Mark pro Mitarbeiter mit den zuständigen Beamten des Bundesgesundheitsamtes trotz deren dienstlicher Überlastung in persönlichen Kontakt zu kommen. Die Beamten können sich ihrerseits den interessierten Industriekreisen nunmehr kostendeckend mitteilen«. Dieser Verein, so rechnete Moebius nach, habe es schon fertiggebracht, »innerhalb von 14 Tagen 100 000 Mark Kasse zu machen«.
Der Hang zu den großen braunen Scheinen, mit denen die Pharma-Industrie einen tüchtigen Nebenerwerbsbeamten belohnt, hat dazu geführt, daß BGA-Wissenschaftler mit Dienstbefreiung Urlaube für die Pillendreher werkeln. Auch ist die Personalfluktuation der leitenden Herren bei keiner anderen Bundesbehörde so groß wie beim BGA. Vor wenigen Wochen musterte Überlas Stellvertreter, Vizepräsident Günter Lewandowski, ab. Er hatte im BGA die Rechtsabteilung geleitet und, nebenbei, dem Vortragsverein FGU als Vorsitzender gedient. Nun steht er, für viele Franken, im Sold des Schweizer Pharmariesen Ciba-Geigy.
»Wir haben«, jammern die Bonner Verantwortlichen, »die Situation und diese Männer beim Regierungswechsel vorgefunden.« Wie Überla haben sich etliche von ihnen früher als »SPD-nah« ausgegeben. Doch mittlerweile ist Überla der Partei des bayrischen Ministerpräsidenten weit näher. Das erschwert dem Gesundheitsminister und CDU-Generalsekretär Heiner Geißler den fälligen Kehraus. Überdies sitzt er, Doppelfunktionär und Doppelverdiener, selbst im Glashaus. So hat Geißler sich die Prüfung erst mal vorbehalten und seinen Überla zum Rapport bestellt.
Wenn dabei Soll und Haben des Präsidenten aufgerechnet werden - der Mann hat am Dienstag dieser Woche zu allem Unglück auch noch 50. Geburtstag, und da werden bei ihm zu Hause, wie das »Apothekenmagazin« schreibt, die »Vasen sicher nicht für alle Blumen ausreichen« -, muß ein bisher weithin unbeachteter Erfolg zur Sprache kommen.
Überla hat absichtslos das Kunststück fertiggebracht, Arzneiproduzenten und Verbrauchern gleichermaßen nützlich zu sein. Die prosperierende Pharma-Industrie - ihr Umsatz stieg während seiner dreijährigen Amtszeit um 16,6 Prozent auf rund 19 Milliarden Mark - schützte er vor Nachstellungen. Sie darf dem Volk immer mehr Medikamente verkaufen. Die Industrie soll leben.
Zugleich sinkt jedoch der Arzneiverbrauch des einzelnen Patienten stetig ab. Denn unter Überlas Regie sind die gesetzlich vorgeschriebenen Beipackzettel zu den Arzneipackungen im Wortsinn so grauenvoll geworden, daß immer mehr Verbrauchern die teuren Pillen aus der Hand fallen, oft direkt in den Mülleimer. Das Volk will auch leben.