VERHALTENSFORSCHUNG Lust am Klecksen
Die Inspiration kann Terbang jederzeit überfallen. Minutenlang hat die 25jährige Orang-Utan-Frau auf das leere Blatt gestarrt, plötzlich greift sie nach dem Pinsel, kleckst schwarze Punkte, setzt ab. Wiegt dann die Hüften und wirbelt grellrote Farbbögen auf den Karton - immer schneller setzt Terbang ihre Striche, immer ekstatischer wird ihr Hüftkreisen, immer schriller klingen ihre Schreie.
Liegt in solchen Explosionen primatischer Schaffenskraft der Ursprung der Kunst? Auf der Suche nach den Wurzeln von Kinderkritzeleien, den Höhlenbildern der Steinzeit und Cézannes Äpfeln haben sich Verhaltensforscher ins Affenhaus begeben. In den fünfziger Jahren schon drückten sie Schimpansen, Orang-Utans und Gorillas Stifte zwischen die Finger. Hunderte von Gemälden sind seither entstanden; jetzt haben zwei Experten Bilanz gezogen**.
»Affen sind zur darstellenden Kunst fähig«, erklärt der Psychologieprofessor Roger Fouts aus Ellensburg (US-Staat Washington), der Schimpansen nicht nur das Malen, sondern auch eine Zeichensprache gelehrt hat und in seinem neuen Buch drei Jahrzehnte Konversation mit schöpferischen Primaten resümiert.
Thierry Lenain hingegen, Ästhetikprofessor in Brüssel, hat sich der Kunstgeschichte der Affenmalerei angenommen. Sein Fazit ist ein anderes: Die Krakelei der Affen verrate wenig über deren angeblichen Kunstsinn - der Wirbel darum aber um so mehr über den Geisteszustand des modernen Menschen.
Jahrhundertelang galt der malende Affe als Spottbild für einen Kopisten; doch 1957,nach einer Affenbilderschau in London, wurde er zum Idol. Picasso und Miró hängten sich Primatengemälde ins Atelier, Dalí pries deren »klassische« Qualitäten, Avantgardisten wie der Österreicher Arnulf Rainer nahmen gar Malstunden bei Schimpansen.
Jackson Pollock und Yves Klein, die mit durchlöcherten Farbbüchsen Leinwände bespritzten oder Frauen mit Farbe vollgeschmiert darüber wälzten, verkauften Klecksbilder, die sich von den Affengemälden wenig unterschieden - endlich glaubte sich die Menschenkunst an ihren vom Intellekt ungetrübten Quellen angelangt.
Als diese Strömung des »abstrakten Expressionismus« ihren Reiz verloren hatte, erlahmte auch das Interesse für die Affenmalerei. Eine Weile galten die Bilder der Primaten nur als ästhetisches Kuriosum - bis Forscher Fouts ihnen den Rang gegenständlicher Kunst beimaß.
Dies nämlich habe ihm seine Schimpansin Washoe kundgetan, die durchaus wisse, was sie mit dem Pinsel zu Papier bringe - in Gebärdensprache habe sie ihm ihre Bilder erklärt. Ein Kringel mit Schwanzschleife daran stelle immer einen Hund dar, eine Diagonale stets einen Basketball im Flug.
Die »New York Times« druckte sogar ein Interview mit der Künstlerin:
»Welche Farbe magst du am liebsten, Washoe?«
»Rot, Rot!«
»Warum?«
** Roger Fouts: »Next of kin«. William Morrow, New York; 420 Seiten; 25 Dollar. Thierry Lenain: »Monkey Painting«. Reaction Books, London; 208 Seiten; 14,95 Pfund.
»Schön, schön!«
»Malst oder frißt du lieber?«
»Essen, malen, essen, malen. Malen gut!«
Fouts'' ungeheuerlicher Schluß: Washoe habe nicht nur Schönheitsempfinden. Sich auszudrücken sei ihr geradezu innere Notwendigkeit.
Auch wenn es Affenkunsthistoriker Lenain für möglich hält, daß die außergewöhnlich begabte Washoe sich per Gebärdensprache mitteilen kann - trotzdem messe Psychologe Fouts ihren Äußerungen eine viel zu große Aussagekraft zu. »Er mag diese Unterhaltungen geführt haben«, sagt Lenain. »Aber Washoe kann ihren Bildern nur einen Inhalt zuordnen, weil Fouts es ihr beigebracht hat.«
Schon wer Affen beim Malen zusehe, müsse erkennen, wie wenig ihr Treiben mit Kunstschaffen zu tun habe. Denn nur unter menschlicher Kontrolle bringe ihre Lust am Schmieren ansprechende Bilder hervor: Händigt der Betreuer die Farben nicht eine nach der anderen aus, vermischt der vermeintliche Künstler sie zu einem schlammstumpfen Braun.
Schlimmer noch: Aus purer Freude am Krakeln verunstaltet er seine Komposition bis zur Unkenntlichkeit, wird ihm das Blatt nicht rechtzeitig entrissen. Noch kein Orang-Utan, Gorilla oder Schimpanse habe sich hinterher je für sein Werk interessiert.
»Für den Affen ist Malen nichts als ein intelligentes Spiel«, sagt Lenain. »Kunst wird daraus erst in den Augen der Menschen.«
* In der Gorilla Foundation in Woodside (Kalifornien).