MOTORRÄDER Manischer Vortrieb
Das Ding sieht gefährlich aus. Es könnte eine Warnung des Gesundheitsministeriums draufstehen. Der Hersteller indes gibt seinen Kunden acht Regeln mit auf den Weg. Eine davon lautet: »Du willst nach vorn. Sie bringt dich hin.«
Für solch erbauliche Transportleistungen sollen 155 PS bürgen, die der Motorradproduzent KTM seinem neuen Modell RC8 zuschreibt. 280 km/h schnell und 15 595 Euro teuer tritt es als erstes österreichisches Zweirad in der Kategorie »Superbike« an - der höchsten von allen.
Der Sprung in die Königsklasse ist die logische Fortsetzung eines rasanten Aufstiegs. Das Unternehmen aus Mattighofen nördlich von Salzburg war vor 16 Jahren pleite. Inzwischen ist KTM nach BMW der zweitgrößte Motorradhersteller Europas.
Als Kraftradproduzent von geringer Prominenz war KTM in den frühen Fünfzigern aus einer Reparaturwerkstatt hervorgegangen. Die Buchstaben stehen für die Firmengründer, zwei Herren namens Kronreif und Trunkenpolz, sowie den Standort Mattighofen. Der Gastwirtssohn Kronreif brachte im Wesentlichen das Geld mit, Trunkenpolz das Know-how und eine exotische Sportpassion: Motocross.
Mit urgewaltigen Enduros errang KTM bald Sporterfolge - hinter denen die Betriebsergebnisse jedoch weit zurückblieben. Die durchweg pannenträchtigen Krafträder inspirierten eher zu austrophobem Spott. KTM stand im Volksmund für »keine tausend Meter«, als die Firma im Dezember 1991 Konkurs anmeldete. Dann kam die Rettung.
Sie kam in Form eines eher überschaubaren Neustartkapitals von 50 Millionen Schilling (circa 3,5 Millionen Euro) und in Gestalt der branchenfremden Jungmanager Stefan Pierer und Rudolf Knünz. Der tonangebende Pierer, Absolvent der steirischen Bergbau-Universität Leoben, verstört Analysten zuweilen mit sprunghafter Betriebsführung. Er steigt bei anderen Firmen ein und wieder aus, macht Börsengänge im Handumdrehen rückgängig, am Ende des Geschäftsjahrs aber stets Profit. Der Umsatz hat sich seit seinem Einstieg verzwanzigfacht, der Absatz stieg von jährlich 7000 auf über 90 000 Motorräder.
Pierer regiert KTM von einem hochtransparenten Bürokorridor aus, wo auch sein Raum eine gläserne Wand hat. Er sitzt hemdsärmelig am Schreibtisch und redet gepfeffertes Österreichisch, kein Marketinglatein: »Die KTM muss allerweil das schärfste Teil am Platz sein, des is eh klar.«
Der Neustart begann mit dem, was KTM am besten konnte: Enduros, nur noch wilder, noch aggressiver und jetzt vor allem auch zuverlässig. KTM dominierte bald ungeschlagen die materialmordende Sahara-Rallye nach Dakar. Die Wüstenwettfahrt wurde zum Symbolereignis für den manischen Vortrieb der Siegermarke aus Mattighofen.
Hinzu kam Design: Formengenius Gerald Kiska definierte ein Signalorange als Erkennungszeichen und kantige, wie mit dem Beil gehauene Kradkörper. Der Salzburger Sonderling arbeitet für Gebrauchsgüterikonen wie Braun; er zitiert zuweilen den preußischen Kriegskundler Clausewitz zur Erläuterung seiner Kreationen, zählt zu Pierers engsten Beratern und prägt den gesamten Firmenauftritt. Die KTM-Zentrale, ein postmodernes Konvolut stilfester Betonquader, weckt den Eindruck, in Mattighofen sei ein Architekturwettbewerb der Norman-Foster-Liga entbrannt.
Einer der kritischsten strategischen Schritte im Zuge der Sanierung war die frühe Entscheidung, auch Straßenmotorräder zu bauen. Doch es führte kein Weg daran vorbei, allein wegen zunehmender Restriktionen der Freilandsause. »Fahrst heut noch durch den Wald«, erklärt Pierer, »schiaßt di der Jäger runter.« So sieht kein Wachstumsmarkt aus.
Kiska ging den zunächst pragmatischen, kostengünstigen Weg, Straßenmaschinen direkt von der Gelände-Enduro abzuleiten - und schuf damit einen neuen Typ Kultgefährt. Die handlichen Hochbeiner trafen den Geschmack junger Kunden, einer schrumpfenden Zielgruppe, um die alle Hersteller verzweifelt werben - der Motorradszene fehlt der Nachwuchs. Das Wachstum von KTM trotzt einem bedenklichen Abwärtstrend der Branche. Seit Jahren gehen die gesamten Zulassungen zurück. Hauptverlierer sind die ehemals marktbeherrschenden japanischen Produzenten.
Das neue Superbike der Österreicher greift nun etablierte Hochpreismarken an: Sein Motorkonzept mit zwei Zylindern im V-Format und querliegender Kurbelwelle orientiert sich erkennbar und hörbar an dem von Ducati. Bei niedrigen Drehzahlen rappelt das Aggregat unwirsch, als würden in seinem Innern Steine zermahlen; auf höheren Touren töst es laut und böse.
Tester der Fachpresse zeigten sich bereits ergötzt von der KTM-Premiere in der Spitzenklasse. Im ersten Vergleichstest der Zeitschrift »Motorrad« setzte sich die RC8 (Testurteil: »bockstark") klar vor die etablierten Konkurrenten von BMW und Ducati. Nur ein Aprilia-Modell schnitt haarscharf besser ab.
Solches Lob tut gut, lässt Pierer aber nicht in Zufriedenheit verharren. Die galoppierende Überalterung der Kraftradklientel wird auch die Kultmarke KTM nicht unberührt lassen: »Der durchschnittliche Motorradfahrer wird jedes Jahr ein Dreivierteljahr älter.«
Pierer sieht hier einen »gefährlichen Megatrend«, den die Motorradhersteller durchaus mitverursacht haben. Kaum eine Marke bietet noch attraktive Einsteigermodelle, die einen 16-Jährigen begeistern könnten. Das Geschäft lief zu gut mit großen, teuren Maschinen; Nachwuchskunden wurden regelrecht ausgegrenzt.
Eine Partnerschaft mit dem indischen Zweiradproduzenten Bajaj, inzwischen Großaktionär von KTM, könnte dieser Vergreisungstendenz nun entgegenwirken. Neue Modelle der 125er und 250er Klasse, gefertigt auf dem preisgünstigen Subkontinent, aber technologisch auf europäischem Niveau und gekleidet in fetziges Kiska-Design, sollen zur übernächsten Saison wieder Sex-Appeal ins Nachwuchssegment bringen.
Bis dahin wird KTM nebenbei auch als Autohersteller firmieren. Im Sommer startet die Serienfertigung des Sportwagens X-Bow in einem neuen KTM-Werk bei Graz. Der Zweisitzer, zunächst als reiner Rennwagen konzipiert, könnte der meistgebaute Pkw mit einer Karosserie aus Kohlefaserwerkstoff werden.
Gut tausend Käufer pro Jahr sollen knapp 55 000 Euro für ein Auto ohne Dach ausgeben - ein Auto allerdings mit technischen Eckdaten besonderer Art: Es wiegt nur 750 Kilogramm und beschleunigt mit einem 240-PS-Motor von Audi in weniger als vier Sekunden auf 100 km/h.
Stefan Pierer verspricht ein »filterloses Fahrerlebnis« mit relativ sauberem Klimagewissen. Der Sportwagen schluckt laut Werksauskunft durchschnittlich nur etwa 7,5 Liter auf 100 Kilometer. Er verbindet also die Fahrleistungen eines Ferrari mit dem Verbrauch eines VW Golf.
CHRISTIAN WÜST