TIERE Massentod im Krähenfang
Wenn es Nacht wird in Völlenerkönigsfehn, macht sich Manfred Willms auf den Weg, Rabenkrähen zu erschlagen. Entschlossen greift der 55-Jährige dann nach den Vögeln, die sich in einer Spezialfalle unweit seines Anwesens gefangen haben, und tötet sie mit einem beherzten Stockschlag auf den Kopf.
»Spaß macht das nicht«, beteuert Willms, Vorsitzender der Kreisjägerschaft Leer, »aber schmerzloser können Sie ein Tier nicht töten.« Im Schnitt zwei bis drei Tiere findet Willms allabendlich in seinem »Norwegischen Krähenfang«, einer »Massenfalle für Rabenkrähen«. Und um Masse geht es dem Jäger: »Wir hatten hier eine derartige Überpopulation, dass man die mit der Schusswaffe gar nicht mehr einregulieren konnte.« Stattdessen kommt es jetzt täglich knüppeldick für die Federträger.
Im Landkreis Leer in Ostfriesland werden großflächig Rabenvögel getötet. Schon seit Anfang vergangenen Jahres ist die Jägerschaft Leer mit Unterstützung der Tierärztlichen Hochschule Hannover (Tiho) emsig dabei, den Tieren den Garaus zu machen. Über 5000 Rabenkrähen und 500 Elstern haben die Weidmänner allein bis vergangenen Oktober in rund 150 Fallen gefangen und »analog der Tierschutz-Schlachtverordnung« (Willms) umgebracht. Und während derzeit täglich rund hundert weitere Tiere sterben, wird das Projekt zunehmend zum Politikum.
»Die Tötung von Tausenden von Rabenvögeln geschieht ohne einen vernünftigen Grund«, sagt etwa Wolfgang Apel, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes. Zusammen mit anderen Tierschützern hat sein Verband Strafanzeige gegen Klaus Pohlmeyer gestellt, den Leiter des verantwortlichen Instituts für Wildtierforschung der Tiho. Auch Bundesumweltminister Trittin hat sich eingeschaltet. »Unnötig und wissenschaftlich zweifelhaft« nennt Trittin das Projekt in einem Brief an den für Jagdpolitik zuständigen niedersächsischen Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Ehlen (CDU). Der konterte: Eine Regulierung der »Beutegreifer« sei »dauerhaft erforderlich«, um »seltene bodenbrütende Vogelarten vor dem Aussterben zu bewahren«.
Ein alter Streit geht in eine neue Runde: Während die meisten Jäger Rabenkrähen für gefiedertes Gesindel halten, das Junghasen und Rebhühnern übel zusetzt und Vogelnester ausräumt, sind Natur- und Tierschützer entsetzt über die Vogelhatz. Rund eine halbe Million Rabenkrähen werden jährlich bundesweit geschossen. Obwohl die zu den Singvögeln gehörenden Tiere nach dem Bundesnaturschutzgesetz besonders geschützt sind, können sie in vielen Bundesländern legal bejagt werden.
Schlimm genug, befinden Vogelschützer. Doch mit dem Rabenvogel-Versuch im Landkreis Leer ist ihrer Meinung nach nun eine neue Dimension des Vogeltötens erreicht. Einen »Präzedenzfall« für das »großflächige, systematische Töten von Rabenvögeln« befürchtet etwa Hans-Wolfgang Helb, Ökologe der TU Kaiserslautern: »Die Rabenkrähen werden ohne jeglichen Zweck abgeschlachtet.«
Tatsächlich bietet das ostfriesische Krähenprojekt reichlich Ansatzpunkte für Kritik. Tierschützer ärgert nicht nur, dass die Tiho-Forscher auch noch im März Rabenkrähen fangen dürfen - obwohl die Schonzeit der Vögel normalerweise bereits Ende Februar beginnt. Vor allem erzürnt sie die verwendete Falle, die in der EU gar nicht zugelassen ist und in Ostfriesland nur mit Ausnahmegenehmigung eingesetzt wird. Kaum mehr als ein Maschendrahtverhau ist der Norwegische Krähenfang, in den die Vögel, angelockt durch Futter, von oben zwar einfach hineingelangen -
aus dem sie jedoch, ähnlich wie bei einer Fischreuse, nicht wieder herausfinden.
Den Weidmännern erspart die Falle das schwierige Abschießen der gewitzten Tiere, die »den Jäger schon von ferne an der Kleidung erkennen«, wie Willms berichtet. Doch aus Tierschutzsicht ist die Falle ein Unding: Einmal gefangen, können sich die Vögel verletzen. Zudem werden nicht nur Rabenkrähen angelockt: Dohlen, Eichelhäher, Habichte und sogar einzelne Falken und Eulen hätten die Leerer Jäger schon gefangen, räumt Andreas Grauer vom Institut für Wildtierforschung ein, der das Projekt wissenschaftlich betreut. Auch einen toten Mäusebussard gebe es zu beklagen. Das alles ist normalerweise illegal: Vogelfallen, die nicht selektiv fangen, sind in Deutschland grundsätzlich verboten.
Auch die Fragestellung des Projekts bestätigt nur die Befürchtungen der Vogelschützer. Denn erklärtermaßen wollen Grauer und Pohlmeyer vor allem herausfinden, ob sich Rabenkrähen und Elstern mit der Falle »großflächig« dezimieren lassen. Ob und warum das sinnvoll sein könnte, ist für die Tiho-Forscher skurrilerweise nur »sekundärer Untersuchungsaspekt«. Vielleicht mit Bedacht: Denn glaubt man Experten wie Helb oder dem Biologen Ulrich Mäck, Gutachter für das Bundesamt für Naturschutz, ist wissenschaftlich längst geklärt, was nun in Ostfriesland per Massentötung neu erforscht werden soll.
Die Sorge um sogenannte Wiesenvögel wie Kiebitz, Rotschenkel oder Brachvogel treibt die Forscher aus Hannover angeblich um. Tatsächlich nimmt die Zahl dieser Vögel ab. Auch fressen Rabenvögel durchaus deren Eier und Jungtiere. Ihr tatsächlicher
Einfluss jedoch werde »maßlos überschätzt«, urteilt der Biologe Mäck.
»Das Hauptproblem für die Wiesenvögel sind nicht die Krähen, sondern die tiefgreifende Veränderung der Landschaft durch die Landwirtschaft«, sagt der Forscher. Untersuchungen mit Wärmesensoren hätten zudem gezeigt, dass die Gelege der Tiere vorwiegend nachts ausgeräumt würden. Rabenvögel jedoch schlafen nachts. »Nachtaktive Jäger wie Marder und Fuchs setzen den Wiesenvögeln weit stärker zu«, sagt Mäck. Den Rabenkrähen könne maximal fünf bis zehn Prozent des Nestraubs angelastet werden.
Der Ökologe Helb übt zudem Fundamentalkritik am Versuchsansatz der hannoverschen Forscher: »Es genügt nicht, lediglich eine Komponente in einer Räuber-Beute-Beziehung auszuschalten und alle anderen Faktoren einfach zu ignorieren.« Auch hätten es die Wissenschaftler versäumt, ein Vergleichsgebiet ohne Fallen zu untersuchen sowie vor Versuchsbeginn die Vögel vor Ort gründlich zu zählen.
Tiho-Forscher Pohlmeyer weist die Vorwürfe zurück: Das Projekt könne »die Grundlage« für weitere Studien zum Einfluss der Rabenkrähen und Elstern »auf Wiesenvögel, Rebhühner und Hasen« legen. Daher sei »ein vernünftiger Grund zur Tötung gegeben«. Der Landkreis Leer biete aufgrund seiner »internationalen Bedeutung für Wiesenbrüter« sowie »der hohen Rabenkrähendichte« die Möglichkeit für solche Untersuchungen. Auch Grauer verteidigt das Projekt: Studien zeigten, dass Rabenvögel an bestimmten »hot spots« durchaus »für bis zu 70 Prozent der Gelege-Verluste verantwortlich sein« könnten.
Unangenehm nur, dass selbst eine landeseigene Fachbehörde das Vorhaben massiv kritisiert hat. Der Einsatz des Norwegischen Krähenfangs halte einer »Einzelfallprüfung nicht stand«, heißt es in einer Stellungnahme des (inzwischen aufgelösten) Niedersächsischen Landesamts für Ökologie. Auch pikante Details zu den Fernzielen der Tiho-Forscher werden in dem Schreiben enthüllt. Demzufolge gehe es dem Institut für Wildtierforschung nicht nur um zeitlich und lokal begrenzten Vogelfang, sondern um »die langfristige Freigabe« der Krähenfalle im Landkreis Leer und eine »rechtsverbindliche Legalisierung« der Fallen »in ganz Niedersachsen«.
»Die Tierärztliche Hochschule Hannover wird als wissenschaftliches Feigenblatt missbraucht, um die Interessen der Jägerschaft durchzusetzen«, sagt der Ökologe Helb. Besonders viel Überzeugungsarbeit mussten die Weidmänner dabei wohl kaum leisten. Tiho-Forscher Pohlmeyer ist nicht nur Chef des Instituts für Wildtierforschung: Er ist auch Präsident der Landesjägerschaft Niedersachsen. PHILIP BETHGE
* In einem »Norwegischen Krähenfang«; oben sind die Öffnungensichtbar, durch die Vögel in die Falle gelangen.