Novartis-Niederlage in Indien "Patienten sollten jubeln"

Proteste gegen Novartis in Indien (Archivbild von 2012): "Das Urteil wird Leben retten"
Foto: RAVEENDRAN/ AFPNeu-Delhi - In einem richtungweisenden Urteil hat Indiens Oberster Gerichtshof eine Patentklage des Schweizer Pharmakonzerns Novartis auf ein Krebsmedikament zurückgewiesen. Damit verteidigten die Richter am Montag nach Ansicht von Menschenrechtsaktivisten den Zugang von Millionen Menschen vor allem in Entwicklungsländern zu günstigen Nachahmermedikamenten, sogenannten Generika.
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) lobte den Richterspruch, weil die günstigen Generika aus Indien in die ganze Welt exportiert würden. "Das Urteil wird viele Leben in Entwicklungsländern retten", teilte die Organisation laut dem britischen Sender BBC mit. Dabei gehe es nicht nur um Krebsmedikamente, sondern etwa auch um Präparate gegen HIV, sagte MSF-Anwältin Leena Menghaney dem indischen Nachrichtensender NDTV. "Patienten in Indien und diejenigen in den Entwicklungsländern wie Thailand, Brasilien, Afrika südlich der Sahara, sollten alle jubeln."
Ihr Kollege Oliver Moldenhauer, Medikamentenexperte von MSF, sagte: "Hätte Novartis gewonnen, wäre die Produktion erschwinglicher Generika in Indien stark behindert und der Zugang zu lebensnotwendigen Medikamenten für Millionen Menschen weltweit erschwert worden." Auch ein Anwalt indischer Krebspatienten begrüßte den Richterspruch: "Das ist ein sehr guter Tag für Krebspatienten. Das ist die Nachricht, auf die wir sieben Jahre lang gewartet haben."
Generika für 60 Euro - statt des Originals für 3125 Euro im Monat
Das Novartis-Krebsmedikament Glivec erfülle nicht die für den Patenschutz notwendige Anforderung einer merklichen Verbesserung gegenüber Vorgängerpräparaten, urteilten die Richter in der Hauptstadt Neu-Delhi. Sie bestätigten damit die Ansicht der indischen Patentbehörden und frühere Gerichtsentscheidungen, gegen die Novartis sieben Jahre lang juristisch vorgegangen war. Die Kosten für den Gerichtsstreit muss der Schweizer Pharmariese zahlen.
Glivec gilt als wirksames Medikament im Kampf gegen eine Form von Leukämie, also Blutkrebs. Eine Behandlung mit dem von Novartis hergestellten Medikament kostet in Indien pro Monat umgerechnet 3125 Euro. Eine Generikaversion dagegen mit nach Angaben von Ärzten gleichem Effekt wie das Original ist bereits für knapp 60 Euro pro Monat zu haben. Diese Art von Generika wollte Novartis verbieten lassen.
Indien, derzeit die Nummer 14 unter den weltgrößten Pharmamärkten, ist mit seiner Milliardenbevölkerung und der stark wachsenden Nachfrage nach Medizinprodukten interessant für westliche Konzerne. Die Entscheidung gegen Glivec könnte Analysten zufolge die Chancen von Firmen wie Pfizer und Roche schmälern, die ebenfalls in dem Land um Patentschutz streiten. Indische Gesundheitsaktivisten fordern seit Jahren billigere Medikamente. In Indien verdienen 40 Prozent der 1,2 Milliarden Einwohner weniger als einen Euro am Tag.
Novartis hatte argumentiert, Glivec sei entscheidend weiterentwickelt worden, so dass es nun auch als Pille verabreicht werden könne. Diese letzte Ergänzung habe Jahre der Forschungs- und Entwicklungsarbeit gekostet und mache Glivec weiter schutzwürdig. Die indischen Gerichte sind dieser Argumentation nicht gefolgt.
Dagegen hat Novartis in 40 anderen Ländern, darunter den USA, Russland und China, weiterhin für die neue Form von Glivec Patentschutz.
Die Schweizer Firma kritisierte das Urteil. Dieses sei innovationsfeindlich und erschwere wissenschaftlichen Fortschritt im Pharmabereich. "Das Urteil ist ein Rückschlag für Patienten, denn es wird medizinischen Fortschritt für Krankheiten behindern, für die es derzeit noch keine effektiven Behandlungsmethoden gibt", erklärte Ranjit Shahani von Novartis India. Der Aktienkurs von Novartis India rutschte nach dem Urteil auf den tiefsten Wert seit mehr als einem Jahr.