Affenpocken Warum Männer, die Sex mit Männern haben, zu Vorsicht aufgerufen sind

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat dazu aufgerufen, dringend Maßnahmen gegen die weitere Ausbreitung der Affenpocken zu ergreifen. Auf diesem Bild sind Hautläsionen bei Patienten zu sehen
Foto: - / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Eines vorweg: Einem Virus ist die sexuelle Orientierung seines Wirtes herzlich egal.
Trotzdem ist im Zusammenhang mit den neu aufgetretenen Fällen von Affenpocken eine Community in den Fokus gerückt: Männer, die Sex mit Männern haben. Diese Gruppe, die medizinisch mit der Abkürzung MSM beschrieben wird, umfasst unter anderem Schwule und bisexuelle Männer, die gleichgeschlechtlichen Sex haben.
Unter den – Stand Sonntagnachmittag – mehr als 90 von der Weltgesundheitsorganisation WHO bestätigten Fällen sind überproportional viele jüngere Männer, die nach eigenen Angaben sexuelle Kontakte mit Männern hatten. Auch weitere Verdachtsfälle treten nicht nur, aber vermehrt, in dieser Gruppe auf.
Wie lässt sich diese Häufung erklären? Und was folgt daraus?
Ein Nagetiervirus, benannt nach Laboraffen
Bekannt sind Affenpocken seit mehr als sechs Jahrzehnten. Ihr Name ist dabei etwas irreführend: Angenommen wird, dass das Virus in Nagetieren und anderen kleinen Säugetieren zirkuliert. Doch 1958 wurde der Erreger bei einer Gruppe von Affen, die zu Forschungszwecken gehalten wurden, erstmals nachgewiesen und nach ihnen benannt. Affen gelten als sogenannte Fehlwirte für das Virus, der Erreger ist nicht primär an sie angepasst. Dennoch ist die Übertragung möglich – und was von Nagetier zu Affe funktioniert, kann auch von Nagetier zu Mensch passieren.
Der erste Fall von Affenpocken bei einem Menschen wurde 1970 in der Demokratischen Republik Kongo registriert, erkrankt war ein Kleinkind. Danach trat das Virus auch in anderen Ländern Afrikas auf. 2003 wurden Affenpocken erstmals außerhalb des Kontinents nachgewiesen: Damals wurden in den USA einige Dutzend Fälle gemeldet. Der dortige Ausbruch wurde mit Präriehunden in Verbindung gebracht, die durch andere aus Ghana eingeführte Tiere infiziert waren, hieß es im Fachmagazin »Science« .
Wenn ein Virus von einem Tier auf einen Menschen überspringt, spricht man von einer Zoonose. Zur Übertragung kann es zum Beispiel kommen, wenn Menschen das Fleisch eines infizierten Tiers verarbeiten.
Das Virus kann durch engen Kontakt übertragen werden
Die Übertragung der Affenpocken von Mensch zu Mensch galt bisher allerdings als selten. Doch die steigenden Fallzahlen lösen bei einigen Expertinnen und Experten die Sorge aus, dass das Virus andere Fähigkeiten erworben haben könnte. »Der aktuelle Ausbruch deutet auf eine veränderte Mensch-zu-Mensch-Übertragbarkeit hin«, schrieb etwa der Leiter der Klinik für Infektiologie an der Berliner Charité, Leif Erik Sander, am Donnerstag auf Twitter . Wie und in welchem Ausmaß, das müssen Fachleute noch klären.
Zu den Symptomen einer Affenpockeninfektion zählen plötzlich einsetzendes Fieber, starke Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Halsschmerzen, Husten, häufig auch Lymphknotenschwellungen. Typisch ist zudem ein vom Gesicht auf den Körper übergreifender Ausschlag mit Bläschen oder Pusteln. Die meisten Menschen erholen sich innerhalb weniger Wochen.
Ansteckend sind symptomatisch Erkrankte bei engem Kontakt, solange die Pocken nicht vollständig ausgeheilt und die Krusten noch nicht abgefallen sind – in der Regel ist das erst nach zwei bis drei Wochen der Fall.
Sind Männer, die Sex mit Männern haben, besonders gefährdet?
Der erste Fall des aktuellen Ausbruchs außerhalb des afrikanischen Kontinents war am 7. Mai in Großbritannien bestätigt worden. Bei dem Patienten handele es sich um einen Mann, der am 4. Mai aus Nigeria in das Vereinigte Königreich zurückgekehrt war. Nach Angaben der britischen Gesundheitsbehörde stand der Patient jedoch in keiner Verbindung zu den anderen bisher entdeckten Fällen. Das deute darauf hin, dass das Virus möglicherweise mehrfach eingeschleppt wurde. Möglich ist auch, dass Affenpocken schon vor Mai aufgetreten sind, aber nicht entdeckt oder nicht richtig diagnostiziert wurden.
Seit dem Bekanntwerden des Falls in Großbritannien wurden unter anderem Verdachtsfälle in Spanien, Portugal, den USA, Kanada, Schweden, Italien, Frankreich, Deutschland, Australien und Israel gemeldet. »Nach den derzeit verfügbaren Informationen wurden die Fälle hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), festgestellt«, hieß es von der WHO . Die betroffenen Personen hätten sich in der Primärversorgung und in Kliniken für sexuelle Gesundheit behandeln lassen.
Dass Affenpocken zu einem Problem pandemischen Ausmaßes werden könnten, halten Fachleute weltweit für unwahrscheinlich. Doch Besorgnis erregt die Möglichkeit, dass sexuelle Übertragung zum aktuellen Ausbruch beigetragen haben könnte. »Das ist ganz und gar nicht typisch«, sagte etwa die Epidemiologin Rosamund Lewis, die bei der WHO für Pockenviruserkrankungen zuständig ist, gegenüber »Science« . Dem Bericht zufolge hatten schon 2017 Fachleute aus Nigeria auf die Möglichkeit hingewiesen, dass eine sexuelle Übertragung von Affenpocken stattgefunden haben könnte. Bei mehreren Patienten seien Genitalgeschwüre festgestellt worden.
Zur derzeitigen Lage äußerte sich im »Science«-Artikel auch Fernando Simón, der Leiter des Koordinationszentrums für Gesundheitswarnungen und Notfälle des spanischen Gesundheitsministeriums. Er sagte, bei den sieben Affenpocken-Fällen, die bis zum 19. Mai in Spanien gemeldet worden waren, habe es sich um MSM oder Transpersonen gehandelt, die Sexpartys besucht hätten. »Die meisten Fälle haben ausschließlich perigenitale, perianale und um den Mund herum gelegene Läsionen«, sagte er. Keinen Beweis gebe es dafür, dass das Virus durch Sperma übertragen werden kann. Wahrscheinlicher sei eine Ansteckung durch die Berührung der sogenannten Läsionen, der Pocken und Pusteln auf der Haut eines Erkrankten.
Ein höheres Risiko für sexuell übertragbare Krankheiten
Ob Mann und Frau, Frau und Frau, Mann und Mann, oder mehr als zwei Personen – wer Sex hat und sich dabei nicht schützt, trägt das Risiko, sich mit einer sexuell übertragbaren Krankheit anzustecken. Allerdings ist die Gefahr für Männer, die Sex mit Männern haben, rein statistisch höher. Das erklärt zum Beispiel die CDC , die Behörde des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums für die Kontrolle von Krankheiten: Männer, die mit anderen Männern schlafen, hätten über die Gesamtgruppe gemittelt höhere Syphilisraten. Außerdem träten mehr als die Hälfte aller HIV-Neuinfektionen in dieser Gruppe auf. Die Konsequenz: »Höhere Raten von HIV und sexuell übertragbaren Krankheiten unter MSM erhöhen das Risiko, mit einem infizierten Partner in Kontakt zu kommen und sich selbst zu infizieren.«
Natürlich ist maßgeblich das individuelle Verhalten entscheidend für das Risiko einer Ansteckung. Und natürlich lässt sich dieses Verhalten für eine bestimmte Gruppe nicht vereinheitlichen. Doch es ist klar, dass das Risiko etwa dann steigt, wenn beim Sex kein Kondom verwendet wird. Und der Tatsache, dass Kondome nicht nur ungewollte Schwangerschaften verhindern, wird womöglich nicht immer ausreichend Bedeutung beigemessen.
Hinzu kommt: Männer, die Sex mit Männern haben, erleben noch immer in vielen Regionen Stigmatisierung und Diskriminierung – mit Folgen für die Gesundheitsversorgung. Wer beim Arztbesuch Beleidigungen und Verurteilungen fürchten muss, geht womöglich lieber gar nicht erst zur Untersuchung. Auch die CDC weist darauf hin: Homophobie kann sich negativ auf die Gesundheit von schwulen und bisexuellen Männern auswirken.
Durchdrungen haben Forscherinnen und Forscher die aktuellen Ansteckungsmuster noch nicht. Und es gibt Theorien, die erst noch bestätigt oder aber verworfen werden müssen. Diskutiert wird unter anderem, ob womöglich das HI-Virus einen Effekt auf die Ansteckung mit Affenpocken haben könnte. Menschen mit HIV können unter einem geschwächten Immunsystem leiden – und unter homo- und bisexuellen Männern ist die HIV-Rate höher. Allerdings gibt es dem »Science«-Bericht zufolge bislang keine Hinweise darauf, dass ein geschwächtes Immunsystem beim derzeitigen Ausbruch eine Rolle spielt. Jedoch sind aus Gründen des Datenschutzes nur wenige Einzelheiten über die infizierten Personen öffentlich bekannt.
Auch für Frauen gilt: Vorsicht bei ungewöhnlichen Pusteln
Was ist nun also zu tun? Wer an sich selbst ungewöhnliche, juckende oder schmerzende Hautveränderungen und Pusteln bemerkt, sollte das ärztlich abklären lassen. Das gilt für alle.
Und noch eines ist wichtig: »Es besteht kein Grund zur Panik«, sagte der Experte Sander in einem Beitrag des rbb . Mit einer sehr starken Verbreitung des Virus sei nicht zu rechnen.