Antibabypille Frauen zeigen Pharmakonzerne an

Antibabypillen: "Opfer von Verhütungsmitteln der dritten und vierten Generation"
Foto: Corbis"Ich empfinde Hass gegen Bayer, ich empfinde Hass gegen den Staat", sagt Marion Larat. Die 25-jährige Französin macht die Einnahme der Antibabypille "Meliane" (in Deutschland nicht auf dem Markt) für ihre schweren gesundheitlichen Schäden verantwortlich und klagt daher gegen den deutschen Pharmahersteller wegen "fahrlässiger Verletzung der körperlichen Unversehrtheit".
Nach Darstellung ihrer Anwälte ist die Einnahme des Verhütungsmittels die Ursache für einen Gehirnschlag, bei dem die 25-Jährige 2006 eine 65-prozentige Behinderung erlitt. Ihre Anzeige gegen den Weltkonzern und den Direktor der französischen Agentur für die Sicherheit von Medikamenten (ANSM) wurde von der Justiz zur Prüfung an die für Gesundheitsfragen zuständige Pariser Kammer überwiesen.
Larat wird nicht die einzige Klägerin bleiben. Nach einer Klagewelle in den USA, bei der sich Bayer Anfang 2012 auf einen Vergleich und die Zahlung von 107 Millionen Euro einließ, steht das Unternehmen aus Leverkusen auch in Frankreich erstmals vor einer Reihe von Verfahren wegen möglicher Nebenwirkungen von Antibabypillen. 30 Frauen haben inzwischen angekündigt, vor einem Gericht der Region Paris gegen Medikamentenhersteller zu klagen, weil sie sich als Opfer von Verhütungsmitteln der sogenannten dritten und vierten Generation betrachten.
"Dutzende von Briefen und Anrufen erhalten"
In einer Stellungnahme zu den Vorgängen teilte der Pharmakonzern Bayer mit: "Wir werden etwaige Behauptungen - sobald sie uns vorliegen - prüfen und danach über unsere nächsten Schritte entscheiden." "Wir haben Dutzende von Briefen und Anrufen erhalten", sagt Philippe Courtois, einer der Anwälte der jungen Französin im Wirtschaftsblatt "Les Echos". Er glaubt: "Diese Zahl dürfte in den kommenden Wochen noch ansteigen."
Die Betroffenen im Alter zwischen 17 und 48 Jahren, die auch gegen Schering, Merck und Pfizer vor Gericht ziehen wollen, haben durchweg schwere gesundheitliche Schädigungen davongetragen. Einen Gehirnschlag erlitten 15 Frauen, drei beklagen eine Lungenembolie, andere trugen durch Thrombosen schwere Lähmungen davon, epileptische Anfälle oder Sprachstörungen. Verantwortlich dafür machen die Geschädigten die Einnahme von oralen Verhütungsmitteln - vor allem jene Arzneien, die seit Anfang der achtziger Jahre zunehmend die ersten Anti-Baby-Präparate ersetzten: Die Pille blieb damit bei der Hälfte der Französinnen das bei weitem beliebteste Verhütungsmittel.
Denn die seinerzeit "neuen Produkte" auf dem Markt der Verhütungsmittel sollten durch geringere Östrogenanteile und andere Zusammensetzung vor allem Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme abstellen; sie wurden aber auch beworben als Medikamente gegen Akne oder fette Haut.
"Ein Unding"
Dabei war auch die Einnahme der weiterentwickelten Medikamente nicht frei von Risiken: Dazu zählt die Gefahr eines Hirnschlags oder einer Thrombose. Frankreichs Gesundheitsbehörden warnten bereits 2002 vor diesen Gefahren; die Agentur für Sicherheit von Medikamenten sah in einem Bericht von 2011 bei Thrombosegefahr für Pillen der dritten und vierten Generation ein größeres Risiko: "Eine Verdoppelung der Fälle von zwei auf vier pro 10.000", lautete die Meinung der Agentur, die sich auf europaweite Studien stützte.
Angesichts dieser Erhebungen empfahl die Gesundheitsaufsicht 2007 die Verschreibung der neuen Präparate nur für Frauen, die unter Nebenwirkungen litten - freilich ohne durchschlagenden Erfolg. Die Arzneien der dritten und vierten Generation, als Wundermittel gepriesen, haben fast die Hälfte des französischen Absatzes bei Antibabypillen erobert. Erst im Sommer vergangenen Jahres rang sich die Behörde zu der Entscheidung durch, die Produkte der dritten und vierten Generation vom September 2013 an nur noch zu 35 Prozent zu erstatten.
"Ein Unding", so Véronique Séhier vom Nationalen Büro für Familienplanung, zu der halbherzigen Entscheidung. "Entweder die Pillen der dritten Generation sind gefährlich; dann muss man sie vom Markt nehmen", so die Fachfrau in der Tageszeitung "Libération": "Oder sie sind es nicht, und dann gibt es auch keinen Grund, sie nicht voll zu erstatten." Auch der Vorschlag, die Verschreibung dieser Präparate nur noch für Gynäkologen und nicht mehr durch Hausärzte zuzulassen, stößt bei ihr auf Unverständnis. "Das ist keine Lösung, denn Verhütung muss überall und schnell verfügbar sein."
Séhier empfiehlt hingegen Aufklärung und Informationen über Alternativen zur oralen Verhütung und warnt vor einer "Verteufelung aller Pillen", die Frauen vom Empfängnisschutz abhalten könnte: "Die Verhütung ist ein Fortschritt."