Hauptversammlung bei Bayer Wer hat Angst vor Erin Brockovich?

Bayer-Aufsichtsratchef Wenning: Kritik bitte nur auf Deutsch - und bloß nicht länger als geplant
Foto: SPIEGEL ONLINEKöln - Sie hat diesen Satz geübt. Dass sie ihn auf Deutsch aussprechen kann. Und ohne Zittern in der Stimme. Mit entschlossener Miene steht Michelle Garcia jetzt auf der großen Bühne der Bayer Hauptversammlung. Weißes Kostüm, blaues Shirt, rot geschminkte Lippen. "Ich könnte tot sein", erklärt die Amerikanerin den knapp tausend anwesenden Aktionären in der Messehalle in Deutz. Die meisten von ihnen sind männlich, viele im Rentenalter. Ihre Blicke zeugen von Desinteresse.
"Das Sterilisierungsprodukt Essure von Bayer hat mich fast das Leben gekostet", sagt Garcia, unbeeindruckt. Eine kaputte Spule habe ihren Eileiter durchbohrt, die inneren Blutungen konnten gerade noch rechtzeitig gestoppt werden. Doch sie sei nicht den weiten Weg aus Miami an den Rhein gekommen, um von sich zu erzählen. Sie sei die Stimme von vielen Frauen in den USA, die ähnlich Schreckliches erlebt hätten. In ihrem Namen fordert Garcia den Bayer-Aufsichtsratchef Werner Wenning auf, Essure vom Markt zu nehmen.
Als sie länger spricht als die erlaubten zehn Minuten, wird sie von Wenning unterbrochen. Sie solle doch endlich ihre Fragen stellen. Schon zuvor hatte er eine Fragestellerin, die aus Australien angereist war, und ihre Kritik am Konzern vortragen wollte, aber nur auf Englisch sprechen konnte, brüsk auf die geltenden Regeln verwiesen. Kritik bitte nur auf Deutsch. Und bloß nicht länger als geplant.
Eigentlich könnte die Bayer-AG, die sonst gern mit dem Motto "Science for a better life" wirbt, derartiger Kritik gegenüber toleranter sein. Das Unternehmen steht gut da, die Umsatzzahlen, die Bayer seinen Aktionären am Dienstag vorlegen konnte, sind zufriedenstellend. In der aktuellen Übernahmewelle werden den Leverkusenern beste Chancen eingeräumt, das Geschäft mit rezeptfreien Arzneimitteln des amerikanischen Konzerns Merck & Co zu übernehmen.

Michelle Garcia: "Essure von Bayer hat mich fast das Leben gekostet"
Foto: SPIEGEL ONLINEJournalisten unerwünscht
Dennoch sorgte offenbar allein die Tatsache, dass sich die legendäre Umweltaktivistin Erin Brockovich nun Bayer vornehmen will, für seltsame Reaktionen. Die streithafte Kritikerin fordert im Namen von betroffenen Frauen wie Garcia den Stopp des umstrittenen Sterilisierungsprodukts Essure - dieses verhindere ungewollte Schwangerschaften nicht zuverlässig und könne zu schweren Nebenwirkungen führen.
Was Garcia den Aktionären des Konzerns über Essure zu berichten hatte, sollte offenbar möglichst im Saal bleiben. Journalisten, die sich die Fragen der Frau aus den USA anhören wollten, bekamen zunächst keine Akkreditierung für die Hauptversammlung. Diese sei "nur für Redaktionen, die regelmäßig über Hauptversammlungen berichten" hieß es. Mit Tricks kamen neugierige Reporter dann doch in die Halle am Rheinufer.
Nicht nur Garcia hat schlechte Erfahrungen mit Essure gemacht. Die kritische Organisation "Coordination gegen die Bayer-Gefahren" (CBG) berichtet in einer Presseerklärung von über 7000 Frauen in den USA, die unter schweren Nebenwirkungen leiden. Eine Petition in den USA, Essure vom Markt zu nehmen, verzeichnet bereits heute mehr als 8000 Unterschriften. "Die betroffenen Frauen haben keinerlei Aussicht auf Regress", sagte Erin Brockovich SPIEGEL ONLINE.
Keine Sicherheitsbedenken von der US-Arzneimittelbehörde
Bei Essure werden zwei winzige Spiralen direkt in die Eileiter einer Frau implantiert, sie verwachsen mit dem dortigen Gewebe und verschließen so die Eileiter. Eigentlich. Das Nutzen-Risiko-Profil des Produkts sei in über 400 Publikationen dokumentiert, sagte Marijn Dekkers, Vorstandschef des Konzerns.
Die amerikanische Arzneimittelbehörde (FDA) habe unter anderem die Ergebnisse einer Fünf-Jahres-Studie zu Essure geprüft. Dabei sei die FDA zu der Schlussfolgerung gelangt, dass trotz der Hinweise auf Komplikationen, die es bei allen Medizinprodukten gibt, die Gesamtergebnisse dieser Studie keine neuen Sicherheitsbedenken und auch kein vermehrtes Auftreten von bereits bekannten Nebenwirkungen zeigten.
Genau das bezweifeln die Kritiker, auch Garcia verweist darauf, dass bislang nur die konzerneigenen Studien zur Bewertung genutzt wurden. Sie will auf jeden Fall weiter den Protest organisieren. "Für unsere Töchter", sagt sie. Und auch Erin Brockovich sammelt über eine Website weiter Berichte von betroffenen Frauen, um diese dem Konzern zu präsentieren.
Bayer wird also weiter mit dem Thema Frauengesundheit zu kämpfen haben. Erst 2013 musste der Konzern in den USA eine Milliarde Dollar Entschädigung zahlen. Tausende Frauen hatten wegen des erhöhten Thromboserisikos der Antibabypillen Yasmin und Yaz geklagt.