RKI-Chef zu Covid-19 in Deutschland "Bei den meisten Patienten wissen wir, wo sie sich angesteckt haben"

RKI-Chef Lothar Wieler: "Bei uns wird intensiv getestet"
Foto: JOHN MACDOUGALL/ AFPSeit zehn Tagen nehmen die Coronavirus-Infektionen in Deutschland täglich zu: 349 Fälle in 15 Bundesländern seien am Donnerstag (Stand: 8 Uhr) insgesamt gemeldet, teilte das Robert Koch-Institut (RKI) mit. Vor allem Nordrhein-Westfalen sei mit 175 laborbestätigten Fällen sehr stark betroffen. In dem Bundesland war das Virus Ende Februar ausgebrochen. Die Infektionswege des Clusters im Kreis Heinsberg waren relativ schnell nicht mehr nachvollziehbar.
"Die Betroffenen in Deutschland sind zwischen zwei und 91 Jahre alt, der Median liegt bei 40 Jahren", sagte RKI-Chef Lothar Wieler. Bei 302 Fällen sei das Geschlecht bekannt: 130 sind weiblich und 172 männlich. Wie sich schon aus den Zahlen aus China ablesen lässt, deuten auch die deutschen Zahlen darauf hin, dass mehr Männer als Frauen vom Coronavirus betroffen sind. "Aber diese Tendenzen können sich auch jederzeit ändern", sagte Wieler.
Die Mehrzahl der Fälle stehe nicht mehr im Zusammenhang mit Auslandsaufenthalten - die meisten hätten sich in Deutschland infiziert. "Bei 307 Fällen wissen wir, wo sich die Patienten angesteckt haben", sagte Wieler. Eine geschätzte Dunkelziffer konnte der RKI-Chef nicht benennen. Es gebe jedoch keinen Anlass, zu glauben, die Dunkelziffer in Deutschland sei besonders hoch. "Bei uns wird intensiv getestet, aus meiner Sicht schon zu viel", sagte er. Am Tag zuvor hatte sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) noch kritischer zum aktuellen Coronavirus-Testverfahren in Deutschland geäußert und Verbesserungsbedarf eingeräumt.
Die Behörden hätten mittlerweile den Influenza-Pandemieplan an die Erfordernisse des Coronavirus angepasst. Vor allem drei Punkte hätten modifiziert werden müssen:
Einsatz von Impfstoffen: Die saisonale Grippewelle soll mithilfe von Impfstoffen eingedämmt werden. Für Sars-CoV-2 gibt es bislang noch keinen Impfstoff - diese Maßnahme greift daher derzeit nicht.
Einsatz von Therapeutika zur Behandlung des Grippevirus: Für Sars-CoV-2 gibt es bislang keine Medikamente, lediglich die Symptome können behandelt werden. Diese Maßnahme greife daher auch noch nicht. Die laufenden Forschungen seien jedoch vielversprechend, so Wieler. Man erwarte entsprechende Therapeutika in den kommenden Wochen.
Den Ausbruch verlangsamen: Es gebe drei Phasen, um eine Pandemie zu verlangsamen, sagte Wieler: Eindämmung (Containment) - Schutz (Protection) - Folgeminderung (Mitigation). Bei der Influenza seien laut Wieler diese drei Phasen klar voneinander abgegrenzt. Hintergrund sei die schnelle Verbreitungsrate des Virus, ein infizierter Patient erkranke innerhalb von zwei bis drei Tagen. Beim Coronavirus sei diese Rate langsamer, sie betrage etwa sieben Tage - also mehr als doppelt so lange. Die Chance, Ausbrüche noch eindämmen zu können, sei also höher als bei der Influenza. "Das ist auch der Grund, warum wir diese Eindämmungsphase immer weiter fahren", sagte Wieler. "Auch, wenn wir eigentlich schon in der nächsten Phase sind."
In Europa sind inzwischen mehr als 4000 Menschen an Covid-19 erkrankt. Weltweit gibt es rund 95.500 Fälle, die meisten davon in Festlandchina, wo die Epidemie Ende Dezember 2019 ihren Ursprung hatte. Derzeit sind außerdem Iran (2922), Südkorea (5766) und Italien (3089) stark von dem Virus betroffen.