Umfrage in den Bundesländern Deshalb gibt es einen AstraZeneca-Impfstau

3,2 Millionen Dosen des AstraZeneca-Impfstoffs sollen bis Donnerstag geliefert sein – verimpft wurden laut RKI bisher nur 514.000 Dosen
Foto: Michael Reichel / dpaIn den Bundesländern wächst nach dem zögerlichen Start die Hoffnung auf einen schnellen Abbau des AstraZeneca-Impfstaus. Mehrere Länder rechnen mit einem deutlichen Hochfahren der Impfungen mit der britisch-schwedischen Vakzine, wie eine Abfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab. Bis zuletzt ist nur ein kleiner Teil der gelieferten Dosen eingesetzt worden. Der Grund dafür ist längst nicht nur Skepsis gegenüber dem Impfstoff.
Insgesamt fast 3,2 Millionen Dosen des AstraZeneca-Impfstoffs sollen bis Donnerstag an die Länder geliefert sein, wie aus Angaben des Bundesgesundheitsministeriums hervorgeht. Bis einschließlich Montag sind nach Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) jedoch lediglich 514.000 Dosen verabreicht worden. Weil einige Tage vergehen können, bis Impfungen an das RKI gemeldet werden, kann die tatsächliche Zahl auch höher liegen.
Verglichen mit den Impfstoffmengen erscheint das Impftempo derzeit trotzdem überschaubar: Am Montag wurden rund 59.000 Menschen mit AstraZeneca geimpft, über die beiden Wochenendtage waren es rund 91.000. Bleibt es bei dem Tempo, könnten bis Ende der Woche über zwei Millionen Dosen auf Halde liegen.
Wie jetzt mehr geimpft werden soll
Der Impfstoff von AstraZeneca soll aktuell nur Menschen unter 65 Jahren verabreicht werden, weil an den für die Zulassung relevanten Studien nur wenige Ältere teilgenommen hatten. Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat zwar angekündigt, die Empfehlung angesichts neuer Daten zu überdenken. Aber wie die Entscheidung ausfallen wird, ist noch offen. Gesundheitsminister Jens Spahn rechnet in den kommenden Tagen mit einem Ergebnis.
Für die Impflogistik war die geänderte Altersspanne eine enorme Herausforderung. Denn ursprünglich sollten Menschen über 80 Jahren mit höchster Priorität geimpft werden, weil sie das größte Risiko haben, schwer zu erkranken oder gar an den Folgen einer Corona-Infektion zu sterben. Da AstraZeneca für sie jedoch nicht zugelassen wurde, stand mehr Impfstoff für weitere Prioritätsgruppen zur Verfügung als zunächst gedacht.
In mehreren Bundesländern werden bereits Impftermine für die zweite Prioritätsgruppe vergeben, andere planen das – und somit könnten zusätzlich Millionen von Menschen bald ein Recht auf eine AstraZeneca-Impfung haben. In Nordrhein-Westfalen etwa sollen ab Montag rund 750.000 Kita-Erzieher, Tageseltern, Grundschullehrer und Streifenpolizisten ein Impfangebot erhalten. »Wir wollen einfach impfen, was das Zeug hält«, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). In Hessen haben zuletzt 12.000 Ärzte und medizinisches Personal ihre AstraZeneca-Dosis erhalten, auch Lehrer, Erzieher und Polizisten sollen bald drankommen.
Ist AstraZeneca wirklich so unbeliebt?
Auch die Skepsis gegenüber dem Impfstoff schien ein Grund zu sein, warum AstraZeneca-Dosen ungenutzt blieben. In Berlin hatten Impfberechtigte zunächst die Wahl, mit welchem Mittel sie sich impfen lassen wollten. Viele entschieden sich daraufhin für den Impfstoff von Biontech, der in Studien eine höhere Wirksamkeit hatte.
Der Präsident des für Impfstoffe zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts (PEI), Klaus Cichutek, betonte jedoch, der Impfstoff von AstraZeneca sei »hochwirksam«. Laut einer ersten Datenauswertung aus Schottland sinkt das Risiko, wegen Covid-19 im Krankenhaus behandelt werden zu müssen, um bis zu 94 Prozent – und das schon nach der ersten Dosis mit dem Impfstoff von AstraZeneca.
Ohnehin schwinden die Vorbehalte offenbar: Brandenburg meldete zum Wochenstart eine Auslastung von rund 90 Prozent bei der Terminvergabe, in Thüringen sind die Impftermine für Personal an Kitas und Grund- und Förderschulen binnen wenigen Stunden vergeben worden. Auch Baden-Württemberg verzeichnet eine stärkere Terminnachfrage, es gebe wenig Vorbehalte bei Lehrern oder Erziehern. Mittlerweile seien mehr als eine Million Menschen im Land zusätzlich impfberechtigt, heißt es von dort. Zuvor hatten die Länder bereits die Kapazitäten in den Impfzentren hochgefahren.
Wie es fix gehen könnte, zeigt die Stadt Krefeld in NRW. Dort wurden am Dienstag 600 Beschäftigte von Schulen und Kitas mit kurzfristig erhaltenen und nicht eingeplanten AstraZeneca-Dosen geimpft – sechs Tage vor dem landesweiten Impfstart für diese Gruppe.
Die Gründe für den langsamen Start
Die Erfahrungen aus den Ländern zeigen zudem: Die Skepsis gegenüber dem Impfstoff ist nur ein Teil der Wahrheit, warum Dosen zunächst ungenutzt blieben, es gab auch etliche andere Hindernisse:
In Schleswig-Holstein etwa musste zunächst die Buchungssoftware umgestellt werden, um AstraZeneca in großem Stil in den Impfzentren einsetzen zu können.
In Nordrhein-Westfalen wurde das Impftempo in Krankenhäusern zuletzt bewusst gedrosselt, weil teilweise Mitarbeiter nach der Impfung kurzzeitig ausgefallen waren. Die Impftermine wurden daher über einen längeren Zeitraum gestreckt – damit nicht zu viele Mitarbeiter gleichzeitig mit Impfreaktionen ausfallen.
Und Baden-Württemberg begründete die niedrigen Impfzahlen mit einer statistischen Verzögerung: Impfungen in den Krankenhäusern werden demnach erst verspätet in den Impfzentren statistisch erfasst.
PEI-Präsident Cichutek betonte, es habe bisher keine unerwarteten Nebenwirkungen bei Impfungen mit dem Impfstoff von AstraZeneca gegeben. »Die Fälle von Krankmeldungen durch grippeähnliche Symptome bei Pflege- und Krankenhauspersonal entsprechen Impfreaktionen, was nach den klinischen Prüfungen zu erwarten war.« In allen berichteten Fällen seien die Symptome nach zwei bis maximal drei Tagen abgeklungen.
Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, hatte sich jüngst gegen den Eindruck verwehrt, dass Impfstoff einfach ungenutzt rumliege. So könne Impfstoff erst relativ frisch geliefert sein, für eine zweite Impfung zurückgehalten werden oder noch nicht verimpft, aber für bestimmte Impfungen vorgesehen sein.
Trotzdem Kritik am Impfkonzept
Nach Ansicht des Sozialverbands VdK sollten die Länder dennoch Tempo machen. »Der Impfstoff ist da, verkommt aber teils in den Impfzentren«, sagte Präsidentin Verena Bentele. Beim Verband meldeten sich immer mehr Mitglieder, die chronisch krank oder behindert seien und sich impfen lassen wollten, aber verzweifelt auf Termine warteten. Der VdK monierte, dass der Bund das Verfahren den Ländern und Landräten überlasse. Diese seien offensichtlich heillos damit überfordert, Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen ausfindig zu machen.
Gesundheitsminister Spahn sprach sich am Mittwoch dafür aus, das empfohlene Intervall zwischen Erst- und Zweitimpfung beim Impfstoff von Biontech auf sechs Wochen und bei AstraZeneca auf zwölf Wochen auszudehnen. »Dann können wir mehr Erstimpfungen machen. Bei AstraZeneca ist dann sogar die Wirksamkeit besser«, sagte der Minister.
Tatsächlich deuten erste Studiendaten darauf hin, dass der Impfstoff von AstraZeneca möglicherweise besser wirkt, wenn die zweite Dosis später verabreicht wird. (Mehr dazu lesen Sie hier.) Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat sich dafür ausgesprochen, die zweite Dosis hinauszuzögern. Laut seinen Berechnungen, die er mit Fachkollegen in einem sogenannten Preprint veröffentlichte, könnten dadurch Hunderte bis Tausende Todesfälle in den kommenden sechs Monaten verhindert werden.
Großbritannien hatte sich schon vor Wochen entschieden, die zweite Dosis im Notfall deutlich später zu verabreichen als ursprünglich vorgesehen. Länder wie Deutschland und die USA haben diesen Schritt jedoch bisher ausgeschlossen.