Peter Kremsner, Direktor des Tropeninstituts an der Uniklinik Tübingen:
"Es warten alle auf einen guten Impfstoff, der wirksam ist und verträglich ist. Und da sind wir schon massiv unter Druck."
Die Welt wartet. Um das Coronavirus Sars-CoV-2 in den Griff zu bekommen - so viel dürfte mittlerweile klar sein – braucht es einen Impfstoff. In Russland ist schon einer zugelassen, es sollen aber nicht alle Standards eingehalten worden sein. Sicher klingt das nicht.
Peter Kremsner, Direktor des Tropeninstituts an der Uniklinik Tübingen:
"Ich selbst würde mich nicht mit einem Impfstoff, der nur in China oder nur in Russland oder nur in den USA zugelassen wurde. Sondern ich warte ganz sicher auf einen, der in der Europäischen Union zugelassen wird."
Und so warten große Teile der Welt weiter – und schauen auch… nach Tübingen.
Hier, in der Stadt in Baden-Württemberg mit knapp 90.000 Einwohnern, läuft eine von weltweit rund 30 Studien, in denen ein Wirkstoff bereits an Menschen erprobt wird.
Den Impfstoff hat die Firma Curevac hergestellt, getestet wird er am Tropeninstitut der Uniklinik Tübingen. Peter Kremsner ist Leiter der Studie. Die Herausforderung für ihn ist riesig, Wissenschaft braucht normalerweise viel Zeit. In der Pandemie aber muss alles schneller gehen. Viel schneller.
Damit ein Impfstoff sicher ist, muss er in der klinischen Studie, also während der Erprobung an Menschen, drei Phasen durchlaufen. In Phase eins wird der Wirkstoff auf Sicherheit und Verträglichkeit geprüft, an etwa 100 Testpersonen. In Phase zwei wird unter anderem getestet, welche Dosis am besten funktioniert, an etwa 300-400 Personen. Phase drei ist deutlich aufwendiger, hier braucht es Tausende Impflinge. An ihnen wird die Wirksamkeit geprüft. Und genau diese wichtigste Phase soll Russland übersprungen haben.
In Tübingen ist Phase eins bereits weit fortgeschritten. Mehr als 100 Probanden wurden schon getestet. Eine von ihnen ist Nicole Held. Sie erhält in dieser Woche ihre erste Impfung. Zehn bis zwölf Mal müssen Probanden innerhalb von 13 Monaten die Klinik kommen – es wird aber nicht jedes Mal geimpft. Es gibt auch Kontrollen und viele Gespräch. Für jeden Termin gibt es rund 125 Euro. Viele von ihnen machen aber nicht nur mit, um Geld zu verdienen.
Nicole Held, Probandin der Studie in Tübingen:
"Um einfach mitzuhelfen, um bald den Impfstoff auf den Markt zu bringen und dass dann doch die Mehrheit profitiert davon."
Zudem besteht bei Probanden auch die Hoffnung, dass der Impfstoff bereits wirkt und sie geschützt sind. Begleiterscheinungen halten sich bisher jedenfalls in Grenzen. Bei einer geringen Zahl an Probanden gibt es übliche Nebenwirkungen einer Impfung, wie erhöhte Temperatur, Müdigkeit oder Kopfschmerz.
Teil der Studie sind Vorgespräche, Voruntersuchungen, Blutabnahmen, der Impfstoff wird jedes Mal neu aufbereitet – und muss dann innerhalb einer halben Stunde verabreicht werden. Das Impfen selbst ist Chefsache.
Der Impfstoff, den Kremsner und sein Institut für Curevac testen, ist ein sogenannter mrna-Impfstoff. mRNA ist eine Art Botenmolekül, das die Bauanleitung zur Herstellung von Proteinen enthält. Für den Impfstoff haben die Forscher mRNA mit der Bauanleitung für ein Protein des Coronavirus Sars-CoV-2 versehen. Die menschlichen Zellen bilden nach der Impfung dieses Protein, das der Körper als fremd erkennt. Er bildet Antikörper und andere Abwehrzellen dagegen. Bisher ist ein solcher mrna-Impfstoff noch nie zugelassen worden. Diesmal soll es klappen.
Peter Kremsner, Leiter der Studie in Tübingen:
"Jetzt sieht es sehr gut aus, was die Verträglichkeit angeht. Ich bin zuversichtlich."
Was aber läuft jetzt anders? Warum soll in diesem Fall alles besser klappen – und dann noch so schnell? Oder anders herum: Warum dauert es sonst so lang?
Die Antwort liegt in den finanziellen Möglichkeiten. Derzeit fließt sehr viel Geld in die Forschung. Der Bund allein hat sich mit 300 Millionen Euro an Curevac beteiligt. Vor zwei Wochen ist das Unternehmen an die Börse gegangen. All das sorgt für Tempo.
Peter Kremsner, Leiter der Studie in Tübingen:
"Geld macht das meiste, um nicht zu sagen praktisch alles, schneller – und so auch eine Impfstoffentwicklung. Mit sehr viel Geld kann man sehr viele Dinge auch gleichzeitig machen, wenn das irgendwie rechtlich und nach den Verfahrensabläufen möglich ist, was man sonst hintereinander gemacht hätte. Geld beschleunigt alles oder auf andere Projekte oder Finanzspritzen hätte warten müssen, kann jetzt funktionieren."
Für den Curevac-Impfstoff soll Phase zwei bald starten – und Phase drei dann schnell folgen. In Coronazeiten sind die Übergänge fließend. Dieser Teil kann aber nicht in Tübingen stattfinden. Denn ob der Impfstoff wirklich Schutz vor Covid-19 bietet, kann nur dort geprüft werden, wo es viele Fälle gibt. Sonst würdenzu viele Probanden benötigt, um sicherzustellen, dass auch möglichst viele dabei sind, die mit dem Virus in Kontakt kommen. Phase zwei und drei laufen deshalb in Südamerika, wo deutlich mehr Menschen von Corona betroffen sind als hier. . Dann aber soll es bald Ergebnisse geben.
Peter Kremsner, Direktor des Tropeninstituts an der Uniklinik Tübingen:
"Dann kann man relativ schnell – vielleicht schon nach drei Monaten, wenn die Phase drei beginnt – das ist jetzt sicher und wirksam genug, dass wir eine bedingte Zulassung erfragen."
Eine bedingte Zulassung könnte zum Beispiel jungen, gesunden Erwachsenen eine Impfung ermöglichen. Wann aber wäre der Impfstoff für alle einsatzbereit?
Peter Kremsner, Direktor des Tropeninstituts an der Uniklinik Tübingen:
"Das wird bestimmt noch ein gutes Jahr dauern – oder darüber hinaus. Weil es so viele Spezialgruppen gibt, die man nicht alle simultan untersuchen wird können. Das wird bestimmt noch länger dauern. Aber die halbwegs gesunde Bevölkerung von 0 bis 120 Jahre – das sollte im nächsten Jahr klappen."
Ein bisschen Geduld braucht es also noch. Denn bei allem Geld, bei allem Tempo, bei allem Druck ist auch klar: Eine unvorsichtige, zu schnelle Abkürzung zu einem Impfstoff darf es nicht geben.