Zulassung von Corona-Impfstoff Halber Schutz für alle

Weltweit wird an 140 Impfstoffkandidaten gegen Covid-19 geforscht (Symbolbild)
Foto: Science Photo Library RF/ Getty ImagesWas Erfolg von Misserfolg unterscheidet, ist eine Frage der Definition. Ein Impfstoff gegen Covid-19, das dürfte die Erwartung vieler sein, verdient seinen Namen erst, wenn jede gesetzte Spritze zuverlässig vor dem Virus schützt. Erste Regeln für das Zulassungsprozedere setzen die Messlatte aus gutem Grund jedoch deutlich tiefer.
Noch weiß niemand, ob und wann ein Impfstoff gegen Covid-19 überhaupt verfügbar sein wird. Trotzdem hat die US-Arzneimittelbehörde FDA nun Richtlinien vorgelegt , die ein potenzieller Kandidat erfüllen müsste. Die Vorgaben sollen sicherstellen, dass Impfstoffentwickler klinische Tests möglichst von Anfang an so angehen, dass die Mittel auch schnell zugelassen und eingesetzt werden können.
Derzeit werden laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa 140 Impfstoffkandidaten gegen Covid-19 untersucht , in 17 Fällen laufen bereits klinische Tests - auch in Deutschland. Einige Experten gehen davon aus, dass eine erste Immunisierung schon zwischen Spätherbst 2020 und Frühjahr 2021 zugelassen werden könnte.
Zuletzt meldeten das Mainzer Biopharma-Unternehmen Biontech und der US-Konzern Pfizer Erfolge bei Studien in den USA. Demnach entwickelten alle Probanden bei dem verwendeten Serum wirksame Antikörper gegen das Coronavirus Sars-CoV-2. Weitere Tests mit 30.000 Teilnehmern sollen nun zeigen, ob diese auch wie erhofft vor einer Infektion schützen. In China ist ein Impfstoff laut einem Medienbericht bereits für die Nutzung im Militär zugelassen.
Auch wenn die Zeit drängt, will die US-Arzneimittelbehörde bei der Zulassung keine Abstriche machen, sagte FDA-Commissioner Stephen M. Hahn. "Durch die Richtlinien machen wir deutlich, welche Daten eingereicht werden müssen, um die behördlichen Standards zu erfüllen. Das ist besonders wichtig, weil wir wissen, dass einige Menschen den Bemühungen zur Impfstoffentwicklung skeptisch gegenüberstehen."
Die wichtigsten Vorgaben der FDA im Überblick:
Ein Impfstoff müsste bei mindestens 50 Prozent der Geimpften vor Covid-19 schützen oder die Schwere der Krankheit senken.
Unter bestimmten Voraussetzungen wäre auch eine beschleunigte Zulassung denkbar. Dafür müsste der Impfstoffkandidat jedoch nachweislich eine Immunantwort auslösen oder einen anderen klinischen Nutzen bringen. Auch die Zulassung eines Prüfimpfstoffs für Einzelfälle ist möglich.
Die klinischen Studien müssen ausreichend groß angelegt sein, um zuverlässig zu zeigen, dass der Impfstoff gut verträglich, wirksam und sicher ist. Zudem müssen die Probanden der klinischen Studien repräsentativ für den Rest der Bevölkerung sein und möglichst auch Aussagen über die Anwendbarkeit bei Kindern und während der Schwangerschaft zulassen.
Auch nach der Genehmigung soll der Impfstoff überwacht werden, um mögliche Risiken zu erfassen.
"Niedrige bis angemessene Messlatte"
"Prinzipiell sind die Vorgaben der FDA eine gute allgemeine Grundlage für die Entwicklung von Covid-19-Impfstoffen", teilte das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das in Deutschland für die Bewertung von Impfstoffen zuständig ist, auf Anfrage des SPIEGEL mit. Eine Richtlinie, wie sie nun die FDA vorgelegt hat, gibt es hierzulande nicht. Doch auch die EU und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben Leitlinien für Impfstoffentwickler herausgegeben, um die Suche nach einem geeigneten Mittel zu beschleunigen.
Dass ein Impfstoff in mindestens 50 Prozent der Fälle wirksam sein sollte, entspricht auch den Mindestanforderungen der WHO. Wünschenswert wäre jedoch eine Wirksamkeit von 70 Prozent, um Herdenimmunität zu erreichen.
Ab diesem Prozentsatz wären genug Menschen immun, um die Pandemie einzudämmen, glauben Experten. Das heißt jedoch nicht, dass ein Impfstoff in jedem Fall zugelassen wird, solange er in der Hälfte der Fälle wirkt. Entscheidend wird auch sein, ob Nebenwirkungen auftreten können.
"Die FDA-Richtlinien sind Standard", sagte auch Gregory Poland, Direktor einer Impfstoffforschungsgruppe im US-Bundesstaat Minnesota, der Nachrichtenagentur Reuters. "Sie ähneln den Vorgaben für Grippe-Impfstoffe. Ich halte das für eine niedrige bis vielleicht angemessene Messlatte für einen Covid-19-Impfstoff der ersten Generation."
Bisher ist der Grippe-Impfstoff die einzige Immunisierung gegen Viren, die wie das Coronavirus die Atemwege angreifen. Dieser schützt von Jahr zu Jahr unterschiedlich gut, je nachdem, welche Grippeviren kursieren.
Sars-CoV-2 verändert sich jedoch langsamer als Influenzaviren. Noch gibt es deshalb die Hoffnung, dass eine Impfung den Erreger zuverlässig ausschalten kann. Wie lange geimpfte Menschen vor einer Infektion gefeit sein werden, wird jedoch auch davon abhängen, wie das Virus mutiert.
Denkbar ist auch, dass es mehrere Impfstoffe geben wird, derzeit werden verschiedene Methoden getestet. Grundsätzlich funktionieren sie alle gleich: Sie sollen die natürliche Immunantwort des Körpers nachstellen und so vor einer Infektion schützen oder die Schwere der Krankheit abmildern.
Bei einer passiven Immunisierung werden Antikörper gegen das Coronavirus verabreicht. Sie können jedoch nicht lange vor einer Infektion schützen, weil der Körper die Helfer schnell wieder abbaut. Die Therapie eignet sich deshalb vor allem für bereits Erkrankte. Die verabreichten Antikörper sollen ihnen dabei helfen, den Erreger abzuwehren.
Eine aktive Immunisierung kann deutlich länger schützen. In diesen Fällen gaukeln die Wirkstoffe dem Körper eine Infektion vor, machen aber nicht krank. Das Immunsystem bringt daraufhin Antikörper in Stellung, die im besten Fall auch vor einer echten Infektion schützen.
Allerdings ist nicht sicher, ob ein Impfstoff einen hundertprozentigen Schutz bieten wird. In diesem Fall könnte auch ein Impfstoff Corona-Beschränkungen nicht komplett ersetzen, sondern wäre nur ein weiterer Baustein im Kampf gegen die Pandemie.