Coronaimpfung Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte kritisiert Stiko

Ein Kind wird beim Hausarzt geimpft
Foto:Oliver Berg / dpa
Zwei Coronaimpfstoffe sind inzwischen in der EU ab 12 Jahren zugelassen, die Präparate von Biontech/Pfizer und Moderna. Die Ständige Impfkommission Stiko empfiehlt eine Coronaimpfung allerdings nicht für alle in dieser Altersgruppe. Sie rät aktuell lediglich, Kinder und Jugendliche mit bestimmten Vorerkrankungen oder mit besonders gefährdeten Bezugspersonen zu impfen. Alle anderen können aber geimpft werden, wenn sie beziehungsweise ihre Eltern das wünschen.
Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, hat das Gremium jetzt scharf kritisiert. »Ich ärgere mich über die intransparente Art, wie da im Moment gearbeitet wird. Es wird gesagt, dass man die Datenlage nicht für ausreichend hält, aber nicht warum man das so einschätzt und auch nicht, wann es denn ausreichend wäre«, sagte Fischbach den Zeitungen der Funke Mediengruppe. »In anderen Ländern werden Millionen Kinder über zwölf Jahren geimpft. Es muss inzwischen Daten geben«, so Fischbach.
Einer der Gründe, keine allgemeine Empfehlung auszusprechen, war laut Stiko, dass noch Daten zu möglichen Risiken der Impfung fehlten. Das Gremium hatte angekündigt, dass sich die Empfehlung ändern könne. »Stiko-Empfehlungen sind ja nicht in Stein geschlagen«, sagte etwa Stiko-Mitglied Fred Zepp, ehemaliger Direktor des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsmedizin Mainz. »Wenn wir in ein oder zwei Monaten erweiterte Erkenntnis haben, dann haben wir immer noch großen Spielraum bis zum Schulbeginn, darüber erneut zu beraten und das eventuell anzupassen.« Der Satz fiel am 11. Juni, also vor gut sechs Wochen.
Seitdem gab es durchaus neue Daten. Ende Juni setzte sich die US-Impfkommission ACIP intensiv mit dem Risiko von Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen nach RNA-Impfungen auseinander und kam zum Schluss: Auch bei den ab 12-Jährigen überwiegt der Nutzen der Impfung deutlich dieses Risiko. Eine neue Stellungnahme der Stiko steht jedoch weiterhin aus.
Soziale Auswirkungen nicht berücksichtigt
Der Kinder- und Jugendarzt Fischbach kritisierte außerdem, dass die Stiko bei ihrer Beurteilung Faktoren wie Herdenimmunität oder soziale Auswirkungen wie eine Zunahme von Kindeswohlgefährdungen, wenn es wieder zu Einschränkungen für Kinder kommen sollte, nicht berücksichtige. Fischbach appellierte an Erwachsene, sich impfen zu lassen, um Kinder zu schützen.
Kurz nach der Veröffentlichung der Stiko-Empfehlung hatte Fischbach diese ausdrücklich begrüßt : »Mit dieser Empfehlung können wir arbeiten – sie definiert eine eindeutige Gruppe und lässt dennoch Freiraum für individuelle Impfentscheidungen. Gleichzeitig setzt die Stiko damit ein Signal, dass die Entscheidung für eine Impfung immer noch bei Wissenschaft und Medizin, Ärztinnen und Ärzten sowie Patientinnen und Patienten liegt – und nicht bei der Politik!«
Weil es keine allgemeine Empfehlung zum Impfen der Altersgruppe gibt, sind die Hürden für Eltern höher, eine Impfung für ihre Kinder zu bekommen. Denn nicht alle Ärztinnen und Ärzte sind bereit, Kinder und Jugendliche zu impfen, bei denen die Kriterien der Stiko-Empfehlung nicht greifen.
Inzwischen ist der Impfstoff nicht mehr knapp
Neben der Sorge um die Sicherheit hatte die Stiko auch die Knappheit des Impfstoffs in ihrer am 10. Juni veröffentlichten Empfehlung als wichtigen Punkt genannt: »Solange noch viele Erwachsene mit deutlich höherem Risiko ungeimpft sind, ist eine Umverteilung der Impfstoffe an gesunde Kinder und Jugendliche epidemiologisch und individualmedizinisch nicht sinnvoll«, heißt es dort.
Inzwischen ist der Impfstoff in Deutschland aber nicht mehr knapp, es wird mehr geliefert als verbraucht, die Zahl der täglichen Impfungen sinkt. Impfzentren, Arztpraxen und Betriebsärzte berichten davon, dass die Nachfrage deutlich zurückgegangen ist. Zwar sind noch längst nicht alle Erwachsenen geimpft. Aber diejenigen, die wollen, können dies zunehmend sogar ohne Terminbuchung erledigen. Beispielsweise hat Baden-Württemberg eine Aktionswoche ausgerufen , an vielen Orten im Bundesland ist deshalb eine spontane Impfung möglich. Eine allgemeine Impfempfehlung für 12- bis 17-Jährige hätte deshalb nicht mehr zur Folge, dass Erwachsene länger auf einen Impftermin warten müssten.
Am Mittwoch hat Stiko-Mitglied Eva Hummers betont, dass immer noch nicht klar sei, »ob die Impfung möglicherweise oder in welchem Umfang sie möglicherweise für die Kinder eine Gefährdung ist«. Sie halte daher weiteres Abwarten für geboten, so die Professorin der Universitätsmedizin Göttingen. Es sollten sich primär Erwachsene impfen lassen. »Es kann ja nicht sein, dass wir jetzt die Kinder in die Verantwortung nehmen und sagen, sie müssen sich impfen lassen, um impfunwillige Erwachsene in ihrem Umfeld zu schützen.«