Corona in Heinsberg Jeder Siebte könnte bereits immun sein

Wie breitet sich das Coronavirus aus und wie gefährlich ist es? Für den besonders betroffenen NRW-Kreis Heinsberg liegen erste Zwischenergebnisse vor.
Ministerpräsident Armin Laschet bei der Vorstellung der Ergebnisse

Ministerpräsident Armin Laschet bei der Vorstellung der Ergebnisse

Foto: Federico Gambarini/ dpa

Um zu verstehen, wie sich das Coronavirus ausbreitet, blicken Wissenschaftler seit Wochen nach Heinsberg. In dem Kreis in Nordrhein-Westfalen wurden so viele Menschen positiv auf den Erreger getestet  wie in kaum einer anderen Region Deutschlands. Nun zeigen erste Zwischenergebnisse einer repräsentativen Studie für die Gemeinde Gangelt, dass wahrscheinlich 15 Prozent der dortigen Bevölkerung eine Infektion mit dem Virus bereits durchgemacht haben und nun immun sind. Anhand der bereits verfügbaren Tests war dieser Wert bisher nur auf fünf Prozent geschätzt worden.

Die ersten Ergebnisse sprechen laut Studienleiter Hendrik Streeck dafür, dass die strengen Auflagen zur Eindämmung der Epidemie allmählich gelockert werden könnten, sofern Hygienemaßnahmen weiter eingehalten werden.

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Streeck untersucht derzeit im Auftrag der NRW-Landesregierung, wie sich das Coronavirus im besonders betroffenen Kreis Heinsberg ausgebreitet hat. Dafür ist sein Team vor allem in der Gemeinde Gangelt unterwegs. Von dort hatte sich das Virus nach einer Karnevalssitzung Mitte Februar rasant ausgebreitet. Die vorläufigen Ergebnisse basieren auf einer ersten Stichprobe von 500 Menschen, die für die Region repräsentativ sind.

Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:

  • Bei zwei Prozent der Untersuchten wurde bei einem Rachenabstrich eine aktive Infektion mit dem Virus nachgewiesen.

  • Im Blut von 14 Prozent der Untersuchten wurden Antikörper gegen das Virus nachgewiesen. Sie sind wahrscheinlich für die nächsten 6 bis 18 Monate, so erste Schätzungen, immun. Das heißt, sie können sich nicht anstecken und das Virus auch nicht weitergeben. Dieser Wert ist wichtig, um die Ausbreitung des Virus abschätzen zu können. Virologen gehen davon aus, dass die Epidemie zum Stillstand kommt, sobald etwa 60 Prozent der Bevölkerung infiziert waren. Allerdings sind die Zahlen aus Heinsberg nicht auf ganz Deutschland übertragbar, weil in der Gemeinde der Anteil der Menschen, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden, höher ist als im Rest Deutschlands.

  • Etwa 0,37 Prozent der Menschen in Gangelt, bei denen das Virus nachgewiesen wurde, starben. Damit liegt die Sterblichkeitsrate dort fünfmal niedriger als im Rest Deutschlands. Laut Daten der Johns-Hopkins-Universität liegt die Rate für ganz Deutschland derzeit bei 1,98 Prozent. Dass in Gangelt scheinbar weniger Menschen an den Folgen einer Corona-Infektion sterben, liegt laut den Forschern wahrscheinlich daran, dass dort besonders viele Menschen getestet wurden. Darunter auch viele, die kaum Symptome zeigen und häufig unentdeckt bleiben. Die Zahlen sprechen dafür, dass das Coronavirus weniger tödlich sein könnte als befürchtet. Für eine zuverlässige Hochrechnung sei es jedoch noch zu früh.

"Heinsberg ist an einer riesigen Katastrophe vorbeigeschlittert"

Die Zahlen sprechen laut den Forschern dafür, dass der Lockdown die richtige Entscheidung war, um die Zahl der Infektionen einzudämmen. "Heinsberg ist an einer riesigen Katastrophe vorbeigeschlittert", sagte der Landrat des Kreises, Stephan Pusch.

Weil die meisten Menschen "so aktiv und diszipliniert" mitmachten, sei es jetzt möglich, in eine "Phase zwei" einzutreten, sagte Streeck. Wichtig sei allerdings, dass hygienische Verhaltensweisen weiterhin eingehalten und Risikogruppen maximal geschützt werden. Ob und welche Maßnahmen gelockert werden, müsse jedoch die Politik entscheiden.

"Den flexiblen Einstieg wagen"

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet hatte schon vor Bekanntgabe der Zwischenergebnisse mögliche Lockerungen ins Spiel gebracht und Kriterien angedeutet. "Sind die Regeln für den richtigen Abstand einhaltbar und gibt es dafür auch die richtigen Schutzmaßnahmen? Wenn das der Fall ist, kann man den flexiblen Einstieg wagen", sagte der CDU-Politiker dem "Handelsblatt. "Wir müssen die Menschen gezielter als durch pauschales Schließen schützen."

Vor dem Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer am Mittwoch sagte er: "Wir brauchen einen klaren Fahrplan, durch den das öffentliche und wirtschaftliche Leben wieder ins Laufen kommt." Dass viele Geschäfte geschlossen sind, dürfte nicht länger andauern, "wenn wir keine Massenpleite und eine folgende neue Massenarbeitslosigkeit erleben wollen". Auch zur Autoindustrie äußerte er sich. Die Produktion sei dort teils auch eingestellt worden, weil Autohäuser geschlossen wurden. "Hier könnte man auch unter Einhaltung der Abstandsregeln Kunden in die Geschäfte lassen." Dies könne ein Anreiz für die Industrie sein, wieder zu produzieren.

koe/dpa
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