Coronavirus Krankenhäuser sollen ab Mitte Dezember Personal impfen können

Allein Schleswig-Holstein stellt voraussichtlich 80.000 Dosen für Krankenhauspersonal bereit
Foto: Sebastian Condrea / Getty ImagesKrankenhauspersonal in Deutschland könnte möglicherweise schon ab Mitte Dezember gegen Covid-19 geimpft werden. Auch wenn bisher kein Stoff zugelassen ist, sollen Kliniken mögliche Impfungen bereits planen. »Aufgrund der Dringlichkeit sind die Krankenhäuser angehalten, die Impfungen bereits jetzt vorzubereiten – auch wenn noch nicht alle Informationen und Unterlagen vorliegen«, heißt es in einem Brief des Gesundheitsministeriums Schleswig-Holstein an die Krankenhäuser im Bundesland, der dem SPIEGEL vorliegt. Andere Bundesländer haben vergleichbare Informationen verschickt.
»Nach derzeitigem Stand sollen die Einrichtungen ab dem 15. Dezember »impffähig« sein«, heißt es in den Empfehlungen aus Schleswig-Holstein. Das Bundesland stellt demnach rund 80.000 Dosen des Impfstoffs von Biontech und Pfizer für Krankenhauspersonal bereit. Da jeder zwei Dosen erhalten muss, könnten 40.000 Menschen immunisiert werden. »Nach derzeitigem Stand und unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Impfquoten ist dieses ausreichend für die Beschäftigten aller Krankenhäuser in Schleswig-Holstein«, heißt es in der Mitteilung der Behörde.
Erst vor wenigen Wochen haben Biontech und Pfizer erste Daten aus der entscheidenden Studie der Phase III mit mehr als 43.000 Teilnehmern veröffentlicht. Demnach ist der Impfstoff zu 95 Prozent wirksam. Hinweise auf schwerwiegende Nebenwirkungen gab es nicht. Allerdings klagten 3,8 Prozent der Geimpften über Müdigkeit, zwei Prozent berichteten über Kopfschmerzen nach der Impfung.
»Risiko von schweren Nebenwirkungen geringer als Gefahr durch Covid-19«
Wie lange Geimpfte vor einer Covid-19-Erkrankung geschützt sind und ob die Impfung auch langfristig ihre hohe Wirksamkeit behält, muss sich jedoch noch zeigen. Auch über mögliche langfristige Nebenwirkungen der bisher am weitesten entwickelten Impfstoffe ist noch nichts bekannt, da die Impfung der Studienteilnehmer erst wenige Monate bis Wochen zurückliegt. »Das Risiko von schweren Nebenwirkungen durch einen der Impfstoffe – vor allem in den Risikogruppen – erscheint mir deutlich geringer als die Gefahr durch eine Covid-19-Erkrankung. Wir haben hier gerade eine Bedrohungslage, vor der uns Impfstoffe schützen können«, sagte der Immunologe Leif Erik Sander von der Berliner Charité dem SPIEGEL. (Mehr dazu lesen Sie hier .)
Weil die Impfung von Biontech und Pfizer keine abgeschwächten Viren oder Bestandteile des Corona-Erregers enthält, rechnen Experten damit, dass sie gut verträglich sein wird. Bei dem Vakzin handelt es sich um einen sogenannten mRNA-Impfstoff. Dabei wird der genetische Bauplan eines Virusbestandteils injiziert, der im besten Fall eine Kettenreaktion im Körper auslösen soll: Menschliche Zellen erkennen den genetischen Code und bauen das Viruseiweiß nach, das zwar nicht krankmacht, aber dem Immunsystem eine Infektion vorgaukelt. Die körpereigene Abwehr bringt daraufhin unter anderem passgenaue Antikörper in Stellung, die auch das echte Virus ausschalten können.
Dieser Ansatz verspricht gleich mehrere Vorteile. Weil der Impfstoff ohne abgeschwächte Viren funktioniert, könnte er weniger Nebenwirkungen haben. Zugleich könnten sich auf diese Weise maßgeschneiderte Impfstoffe gegen Krebszellen entwickeln lassen. (Mehr dazu lesen Sie hier ). Allerdings war fraglich, ob die Erbinformationen des Virus allein eine robuste Immunantwort auslösen würden. Und bisher wurde noch nie ein mRNA-Impfstoff für den Menschen zugelassen. Die ersten Studiendaten von Biontech sprechen nun dafür, dass das Prinzip tatsächlich funktioniert.
Außer dem Mainzer Unternehmen hat auch die US-Biotechfirma Moderna einen mRNA-Impfstoff entwickelt, der laut den ersten Daten ebenfalls zu fast 95 Prozent wirksam ist. Zuletzt hatte auch der Pharmakonzern AstraZeneca erste Ergebnisse einer Phase III-Studie veröffentlicht. Dieser Impfstoff basiert auf sogenannten Vektorviren.
Alle drei Impfstoffkandidaten befinden sich derzeit in einem Rolling Review Verfahren bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA, die über Zulassungen in der EU entscheidet. Das heißt, die Studienergebnisse werden laufend begutachtet, und nicht erst, wenn sie endgültig vorliegen. Das verkürzt den bürokratischen Zeitaufwand.
Ob der Impfstoff von Biontech und Pfizer tatsächlich am 15. Dezember zugelassen sein wird, ist jedoch unklar. Zudem steht nicht fest, wie viele Dosen zunächst verfügbar sein werden. Dass Krankenhäuser trotzdem schon ab dem Tag bereit für Impfungen sein sollen, liegt vor allem an der Logistik.
Nach aktuellem Stand hält sich der Impfstoff nur bei minus 70 Grad über einen längeren Zeitraum und soll deshalb in speziell eingerichteten Zentren gelagert werden. Die weitere Verteilung von dort muss schnell gehen, denn bei normalen Kühlschranktemperaturen halten die Dosen möglicherweise nur ein bis zwei Tage. Es gab zwar erste Berichte, die Dosen könnten auch länger haltbar sein, aber aktuell planen Behörden noch mit dieser kurzen Zeitspanne.
Schon jetzt werden deshalb bundesweit Impfzentren eingerichtet, Kühlketten organisiert und Lagerungsmöglichkeiten geschaffen. Die Krankenhäuser sollen nun angeben, wie viele Mitarbeiter sich impfen lassen wollen, damit rechtzeitig Dosen bereitstehen.
Vorrang haben Mitarbeiter, die sich besonders vor Infektionen schützen müssen und viel Kontakt zu Patienten haben. Dazu gehört beispielsweise Personal in Intensivstationen, Notaufnahmen oder Kreißsälen. Auch Mitarbeiter, die Kontakt zu Covid-19-Patienten haben, sollen zuerst geimpft werden. Außerdem müssen Krankenhäuser für ausreichend Spritzen und Kanülen sorgen, damit der Impfstoff auch verabreicht werden kann.
Impfung kein Ersatz für Corona-Regeln
In Schleswig-Holstein müssen Krankenhäuser voraussichtlich selbst die Dosen in Impfzentren abholen. »Kühlboxen sind mitzubringen«, heißt es in dem Brief des Gesundheitsministeriums. Die minus 70 Grad müssen diese jedoch nicht leisten, wenn die Krankenhäuser die Dosen innerhalb von zwei Tagen verbrauchen.
Auch ein Dokumentationstool, mit dem alle Impfungen einheitlich erfasst werden, soll es erst Anfang kommenden Jahres geben. Bis dahin sollen Krankenhäuser die Daten so erfassen, dass sie später zentral gesammelt werden können.
Vor Kurzem hatten die Ständige Impfkommission (Stiko), der Ethikrat und die Wissenschaftsakademie Leopoldina Empfehlungen gegeben, wer zuerst geimpft werden soll:
Menschen, die aufgrund ihres Alters oder Vorerkrankungen zur Risikogruppe gehören
Mitarbeiter in Krankenhäusern und Pflegeheimen
Menschen im öffentlichen Dienst mit Schlüsselstellungen in der Gesellschaft und der öffentlichen Ordnung wie Polizisten oder Mitarbeiterinnen in Gesundheitsämtern, Feuerwehr, Lehrerinnen, Erzieher.
Menschen, die in beengten Unterkünften leben wie in Flüchtlingsunterkünften oder Einrichtungen für Obdachlose.
Die Entscheidung über die genaue Priorisierung obliegt jedoch der Politik. Fraglich ist auch, wann ausreichend Impfstoff zur Verfügung stehen wird. Die EU hatte sich bis zu 300 Millionen Dosen des Biontech-Impfstoffs gesichert, bis zu 400 Millionen weitere von AstraZeneca und bis zu 160 Millionen von Moderna. Zugelassen ist noch keiner der Impfstoffkandidaten.
Zudem müssen sich auch Geimpfte weiterhin an Corona-Beschränkungen halten. Denn noch ist nicht klar, ob Geimpfte zwar nicht krank werden, aber trotzdem ansteckend sein könnten.
Anmerkung der Redaktion: In einer vorherigen Version dieses Textes konnte die Überschrift den Eindruck erwecken, die Impfungen würden bereits am 15. Dezember starten. Tatsächlich können sie erst beginnen, wenn der Impfstoff zugelassen ist.