Hersteller von Schutzkleidung greift Jens Spahn an "Wir haben gemahnt, und keiner hat uns gehört"

Gesundheitsminister Jens Spahn: "Deshalb ist es wichtig, dass sie sich melden, wenn es Probleme gibt"
Foto:Michael Kappeler/ dpa
Noch bis vor Kurzem zeigte sich Gesundheitsminister Jens Spahn angesichts des Coronavirus zuversichtlich. Wochenlang beteuerte er in den Medien: "Wir sind gut vorbereitet". Man habe alles unter Kontrolle. Und selbst im Fall einer möglichen Epidemie gebe es ausreichend Isolierstationen und -zimmer und "die Ausstattung, die wir brauchen".
Inzwischen ist klar: Nicht nur die Regale mit Mehl, Konserven und Toilettenpapier in den Supermärkten werden hierzulande leer gekauft. Seit Wochen fehlt es Ärzten, Schwestern, Pflegern und Sanitätern an elementarem Material für ihre Arbeit. Am Dienstag schlug der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung, Walter Plassmann, Alarm. "Wir versuchen seit Wochen verzweifelt, irgendwo auf der Welt Schutzausrüstung zu kaufen, das ist fast nicht möglich", zitiert ihn der "Ärztenachrichtendienst". Vor Wochen hätte ihnen die Bundesregierung versprochen zu helfen. Bisher jedoch ohne Ergebnis. "Da ist nichts gekommen. Nicht eine einzige Maske haben wir gekriegt", sagte Plassmann. Es müsse jedoch allen klar sein: "Wenn uns die Schutzausrüstung ausgeht, sind wir am Ende".
Das medizinische Personal ist nicht nur einem besonders hohen Infektionsrisiko ausgesetzt und fällt bei einer Erkrankung aus. Wenn Ärzte und Pfleger unzureichend geschützt sind, wächst auch die Gefahr, dass sie Viren und andere Keime auf ohnehin kranke und geschwächte Menschen übertragen und ihnen damit massiv schaden. Sollten die anstehenden Lieferungen nicht eintreffen, seien die Vorräte in Hamburg am Wochenende zu Ende, so Plassmann.
Coronakrise führte zu einer Flut von Bestellungen
Glaubt man Achim Theiler, sind an der Misere unter anderem schwere Versäumnisse des Bundesgesundheitsministers schuld. Theiler ist Geschäftsführer des Buchloer Unternehmens Franz Mensch, das Hygienebekleidung, Mundschutz und Atemschutzmasken für Krankenhäuser und Ärzte herstellt und vertreibt. "Wir haben gemahnt, und keiner hat uns gehört", sagt Theiler. Dennoch seien die Behörden seit Wochen untätig geblieben. "Das ist grob fahrlässig und verschärft die Krise unnötig."
Bereits am 5. Februar hatte sich Theiler per E-Mail an den Bundesgesundheitsminister gewandt und darauf hingewiesen, dass es in Kürze zu bedenklichen Engpässen bei der Versorgung mit Schutzmasken für Krankenhäuser kommen werde und dazu aufgerufen, die Versorgung der Kliniken voranzutreiben. Die E-Mails liegen dem SPIEGEL vor. Es gehe darum, die Vorräte der Krankenhäuser, Rettungsdienste und alle anderen davon betroffenen Dienste an solchen Produkten zu prüfen und möglichst Ware bei den entsprechenden Herstellern zu reservieren.
Der Grund: Durch die Corona-Epidemie in China sei es Ende Januar zu einer Flut von Bestellungen von Mundschutz, Atemschutz und Hygienebekleidung gekommen. Bei den meisten habe es sich um Neukunden gehandelt, die im Auftrag von Chinesen bestellten. Innerhalb nur eines Tages seien dadurch Monatsbestände versandt worden. "Das war nicht nur bei uns so, sondern auch bei allen anderen Importeuren, mit denen wir in Europa gesprochen haben", so Theiler an den Minister.
Deutschland drohe dadurch ein Engpass. Denn von einfachen Produkten wie Mundschutz werde in Krankenhäusern oftmals kein besonderer Vorrat gehalten. Die Lage verschärfe sich dadurch, dass 97 Prozent der Weltmarktproduktion in China stattfinde und die chinesische Regierung Mitte Januar klar geregelt habe, dass keines dieser Produkte mehr das Land verlassen dürfe. "Ich appelliere an Sie, unterschätzen Sie die Problematik dieses Virus nicht."
Auch andere Firmen haben Lieferprobleme gemeldet
Doch der Minister schweigt. Am 10. Februar schreibt Theiler erneut eine Mail an Spahn. Der Unternehmer verweist unter anderem auf eine Meldung im SPIEGEL vom 7. Februar. In einer offiziellen Mitteilung hatte der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO) damals davor gewarnt, dass weltweit ein Engpass an Schutzausrüstung droht, vor allem an Atemmasken. Auch in Deutschland, berichteten mehrere Hersteller dem SPIEGEL, gebe es bereits Lieferprobleme. Die Nachfrage nach Atemschutzmasken aller Klassen, teilte damals die Stuttgarter Gehe Pharma Handel GmbH auf Nachfrage mit, sei extrem hoch. "Auch wenn wir seit der gestiegenen Nachfrage unsere Bestände aufgestockt haben, sind wir derzeit leider nicht lieferfähig", so ein Sprecher des Unternehmens.
Theiler und seine Firma Franz Mensch hatten den Bundesgesundheitsminister auf das Problem hingewiesen - und Hilfe angeboten. In seiner Mail vom 5. Februar an den Gesundheitsminister teilte der Unternehmer mit, dass seine Firma aktuell circa 1,5 Millionen Mundschutz und circa 200.000 Atemmasken für Krankenhäuser und Rettungsdienste zur Sicherung der allgemeinen Versorgung reserviert habe. Um die Bestände für Deutschland zu sichern, habe sich die Firma entschieden, keine Neukunden mehr zu beliefern.
Theiler bittet in dem Schreiben auch darum, diese Information unverzüglich an die entsprechenden Stellen weiterzugeben, doch: "Keiner hat reagiert."
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) teilte auf Nachfrage mit, die Nachrichten erhalten zu haben. Doch "die Beschaffung von persönlicher Schutzausrüstung" werde über das Beschaffungsamt der Bundeswehr koordiniert, weshalb der Kontakt dorthin weitergeleitet worden sei. "Das ist die übliche Vorgehensweise für Angebote, die uns in Bezug auf die persönliche Schutzausrüstung erreichen. Auf eine Beantwortung der zahlreichen Angebote mussten wir aufgrund der Priorisierung der Aufgaben in der Ausnahmesituation verzichten. Das BMG war auch bereits im Februar schon mit Herstellern und den Ländern im Gespräch, um die Versorgungslage zu ermitteln", so Spahns Haus gegenüber dem SPIEGEL.
Keine Frage. Manch ein Hersteller oder Lieferant von Medizinprodukten wittert in einer solchen Lage ein gutes Geschäft. "Als Unternehmer freut man sich natürlich, wenn auf einmal viele Bestellungen reinkommen", gibt Theiler auf zu. "Wir dachten zunächst auch, das wird ähnlich sein wie bei der Schweinegrippe oder Sars. Aber als dann Ende Januar, Anfang Februar auf einmal Hunderte Bestellungen auf einmal kamen, habe ich gedacht, da stimmt was nicht."
Deshalb, so Theiler, habe er sich direkt an das Bundesgesundheitsministerium gewandt und ihm dringend geraten, die Bevorratung auf solche Produkte zu prüfen und möglichst Ware bei den Herstellern zu reservieren. Andere Großhändler scheinen das nicht getan zu haben. Auf Nachfrage des SPIEGEL, ob sich das BMG von sich aus an die Firma gewandt habe, um Vorräte für Ärzte und Kliniken zu reservieren, teilt der führende Hersteller von Schutzmasken, 3 M, lediglich mit: "Auch wir tauschen uns vor dem Hintergrund der aktuellen Situation mit dem Bundesministerium für Gesundheit aus." Auch die Stuttgarter Gehe Pharma Handel GmbH hat keine derartige Anfrage des BMG erhalten und verweist auf seinen Branchenverband PHAGRO. Dieser stehe mit den Behörden im Austausch.
In der Tat war Theiler auch nicht der Einzige, der sich wegen des drohenden Mangels an Schutzausrüstung an das Gesundheitsministerium gewandt hat - und keine Antwort bekam. Anfang Februar hatte dort auch eine niedergelassene Ärztin nachgefragt, wo sie und ihre Kollegen im Falle einer Pandemie Schutzausrüstung bekommen. Auf ihr Schreiben kam nie eine Antwort.
Dabei hatte Gesundheitsminister Jens Spahn noch am 4. März in einer Regierungserklärung zur Bekämpfung des Coronavirus erklärt: "Besonders hervorheben will ich den Einsatz unseres medizinischen Personals (...) Sie reagieren besonnen, informieren sich über die aktuellsten Erkenntnisse und kümmern sich mit großem Einsatz um ihre Patienten. (...) Sie sind auch die Ersten, die merken, wenn etwas nicht so läuft, wie es eigentlich laufen soll. Deshalb ist es wichtig, dass sie sich melden, wenn es Probleme gibt."