Hausärzte noch ohne Impfstoff Funktioniert der Spahn-Plan?

Impfung auf Insel Hiddensee: Beim Impfstoff von AstraZeneca gilt nun keine Altersbeschränkung mehr
Foto: Jens Büttner / dpa»In Deutschland wollen wir immer alles ganz besonders ordentlich und gründlich machen«, sagt Ute Teichert und ärgert sich. Teichert ist Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und kritisiert: »Beim Impfen stehen uns Gründlichkeit und Perfektionismus im Moment im Weg.« Priorisieren, Einladen, Registrieren und Dokumentieren nähmen viel zu viel Zeit und Energie in Anspruch. Die Medizinerin fordert deshalb unbürokratische Lösungen und trifft damit einen wunden Punkt.
Im internationalen Vergleich rangiert Deutschland beim Impfen gegen Covid-19 nur im Mittelfeld. In Großbritannien ist dagegen schon ein Großteil der Bevölkerung geimpft, noch im Juni sollen dort sämtliche Coronabeschränkungen aufgehoben werden. US-Präsident Joe Biden zog sein Impfversprechen zuletzt um satte zwei Monate vor. Schon bis Ende Mai sollen alle Erwachsenen in den USA die Chance bekommen, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen. Pünktlich zum 4. Juli, dem US-Unabhängigkeitstag, wären wieder Feiern im kleinen Kreis möglich.
Und Deutschland? Hierzulande haben bisher nur 3,3 Prozent der Bevölkerung die vorgesehenen zwei Impfdosen erhalten. Geht das Tempo so weiter, ist das von der Bundesregierung vorgegebene Ziel kaum noch einzuhalten, noch im Sommer allen Erwachsenen in Deutschland ein Impfangebot zu machen. Es muss also schneller gehen, nur wie?
Gesundheitsminister Jens Spahn hat am Donnerstag seine neuen Impfpläne vorgestellt. Das ist neu:
Für den Impfstoff von AstraZeneca gilt nun keine Altersbegrenzung mehr.
Der vorgegebene Zeitraum zwischen Erst- und Zweitimpfung soll ausgeschöpft werden. Bei den Impfstoffen von Biontech und Moderna heißt das: Zwischen erster und zweiter Spritze können bis zu sechs Wochen vergehen, bei AstraZeneca zwölf Wochen. Bei dem seit Donnerstag in der EU zugelassenen Impfstoff von Johnson & Johnson fällt diese Regel weg, weil für ihn ohnehin nur eine Dosis vorgesehen ist. Wann der Impfstoff in Deutschland verfügbar sein wird, steht allerdings noch nicht fest.
In Hotspot-Regionen kann von der Impfreihenfolge abgewichen werden. Im Vogtland sollen sich nun alle Erwachsenen gegen Covid-19 impfen lassen können. Andere Regionen könnten folgen (Mehr dazu lesen Sie hier .)
Kritikern geht das nicht weit genug. Sie fordern, schnellstmöglich auch Arztpraxen in das Impfprogramm einzubeziehen. Einige fordern gar, die Impfzentren zu schließen.
»Längst überfälliger Impfstart«
Man mag die in Impfzentren gebuchten Termine noch abarbeiten, aber parallel dazu muss das Feld der Impfungen endlich den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten überlassen werden, sagte der Verbandspräsident der Hausärzte, Ulrich Weigeldt, der »Augsburger Allgemeinen« . Die Hausärzte seien erschüttert und fassungslos darüber, dass »der längst überfällige Impfstart in unseren Praxen nun weiterhin auf die lange Bank geschoben« werde. »Derweil liegen Millionen Impfstoffdosen ungenutzt herum in kostenintensiven Impfzentren, deren Anonymität gerade ältere Menschen scheuen«, so Weigeldt.
Tatsächlich ist nach Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) nur ein Bruchteil der gelieferten Dosen verimpft. Allerdings hat die Statistik ihre Tücken. So können einige Tage vergehen, bis Impfungen gemeldet werden. Aus den Bundesländern hieß es außerdem, Impfdosen würden bereits als geliefert erfasst, wenn sie noch auf dem Lkw sind. Ein Großteil der vermeintlich nutzlos herumliegenden Dosen sei bereits für konkrete Termine vorgesehen.
Probleme machte auch die Empfehlung, den Impfstoff von AstraZeneca zunächst nur Menschen unter 65 Jahren anzubieten. Mittlerweile ist die Einschränkung zwar aufgehoben. Aber gerade Menschen in Berufen mit hohem Infektionsrisiko rückten dadurch unerwartet in der Impfreihenfolge vor. Buchungssysteme mussten angepasst werden.
Hinzu kam anfänglich eine Skepsis gegenüber dem vermeintlich weniger wirksamen Impfstoff von AstraZeneca. Mittlerweile werde der Impfstoff jedoch gut angenommen , hieß es aus den Bundesländern.
Zuletzt hatten Dänemark, Norwegen und andere Länder Impfungen mit AstraZeneca ausgesetzt, nachdem es zu Gerinnungsstörungen gekommen war. Nach ersten Analysen treten die Symptome bei Geimpften jedoch nicht häufiger auf, als im Rest der Bevölkerung zu erwarten gewesen wäre. (Mehr dazu lesen Sie hier.)
Nimmt man all diese Faktoren zusammen, liegen deutlich weniger Impfdosen ungenutzt herum, als viele vielleicht annehmen. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach geht davon aus, dass der bisher »gelagerte« Impfstoff bald sehr schnell weg sein wird. Vor allem, weil nun auch Ältere mit AstraZeneca geimpft werden können und weil vielerorts nicht mehr die zweite Dosis gebunkert wird. Dadurch können schneller mehr Menschen eine erste Dosis erhalten, die nach ersten Analysen bereits einen gewissen Schutz bietet.
»Jeder verlangt jetzt Pragmatismus beim Impfen«, schrieb Lauterbach bei Twitter. »Aber es fehlt glatt der Impfstoff.« Tatsächlich sind aktuell nur knapp 70 Prozent der bereits vorhandenen Impfkapazitäten ausgeschöpft, zeigt eine Simulation . Laut den zuständigen Fachministern von Bund und Ländern sollten Impfzentren im April mit 2,25 Millionen Dosen geliefert werden. Nur darüber hinaus verfügbare Impfstoffe sollten an Praxen gehen.
Das Bundesgesundheitsministerium geht davon aus, dass die wöchentlich verfügbare Menge an Impfstoff erst Mitte April ausreichend sein wird, um niedergelassene Ärzte zu beliefern, wenn die Länder ihre Impfzentren wie bisher auslasten wollen. Und es gibt einen guten Grund, Impfzentren maximal auszulasten. Denn dort kann die Priorisierung besser eingehalten werden – und das rettet Menschenleben.
Zuletzt ist die Inzidenz bei über 80-Jährigen, die ein besonders hohes Risiko haben, schwer an Covid-19 zu erkranken oder zu sterben, deutlich gesunken. Auch die Zahl der Todesfälle geht zurück. Das ist ein Erfolg der Impfungen und des Shutdowns.
Für mich eine der beeindruckendste Grafiken dieser Tage: Der Anteil der Über-80-Jährigen (pinkfarbene Linnie) an den positiven #Corona-Tests pro 100.000 Einwohner*innen -> Sinkflug durch Impfungen pic.twitter.com/93IwO1hdMR
— Markus Grill (@m_grill) March 10, 2021
Nun, da die Zahl der Neuinfektionen mit den vereinbarten Lockerungen wieder merklich ansteigt, wird es umso wichtiger sein, besonders die Menschen mit hohem Risiko zu schützen. Wenn weniger Menschen ins Krankenhaus müssen oder sterben, verliert die Pandemie an Schrecken.
Klar ist: Arztpraxen sollen und müssen beim Impfen einbezogen werden. Daran gibt es keinen Zweifel. Die Frage ist nur, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist.
Wenn der Impfstoff auch an Arztpraxen ausgeliefert wird, werden Medizinerinnen mehr Spielraum haben, wer die Impfung zuerst bekommen soll. Das forderte zuletzt auch Ethikratsmitglied Wolfram Henn. Gesundheitsminister Spahn sieht das ähnlich. »Die Ärztinnen und Ärzte kennen ja ihre Patienten und wissen, wer zuerst zu impfen ist.«
Im Moment sei es aber noch zu früh, die Impfreihenfolge aufzuweichen, mahnt Lauterbach. Nur eine Priorisierung minimiere die Zahl der Todesopfer, die in der dritten Welle erwartet werden müssten. Das derzeit populäre Abweichen von dieser Strategie sei wissenschaftlich »leider nicht vertretbar«. Lauterbach rechnet damit, dass erst im Mai Arztpraxen im großen Stil ins Impfprogramm eingeschlossen werden können, weil dann voraussichtlich mehr Impfstoff zur Verfügung stehen wird. Er fasst das aktuelle Dilemma so zusammen: »Jetzt fehlt Impfstoff im Impfzentrum. Jetzt Praxen öffnen, heißt: Er fehlt auch dort.«
Mit Material von Agenturen