Mehr als 23.000 Neuinfektionen
Was der neue Höchstwert bedeutet
Die Zahl der gemeldeten Corona-Infektionen in Deutschland steigt zwar langsamer, aber sie steigt – trotz verschärfter Maßnahmen. Wie ist das zu erklären?
Fußgängerzone in Essen (Symbolbild): Bis sich die Corona-Maßnahmen auf die Infektionszahlen niederschlagen, vergehen laut RKI zwei bis drei Wochen
Foto: Andreas Rentz / Getty Images
In Deutschland haben die Gesundheitsämter dem Robert Koch-Institut (RKI) 23.542 neue Corona-Infektionen binnen 24 Stunden gemeldet. Damit ist am Freitag ein neuer Höchststand während der Pandemie erreicht worden, wie aus den Angaben des RKI hervorgeht. Der bisherige Spitzenwert wurde am vergangenen Samstag erreicht – an diesem Tag hatte das RKI 23.399 neue Infektionen verzeichnet.
Was sagen die Zahlen über die aktuelle Entwicklung?
Im Vergleich zum Donnerstag stieg die Zahl der gemeldeten Fälle um knapp 1700. Kleine Schwankungen bei der Meldung der Fallzahlen sind jedoch normal. Sie hängen unter anderem damit zusammen, wann die Labors Tests abarbeiten und die Gesundheitsämter die positiven Fälle dem RKI weitermelden (mehr dazu lesen Sie hier).
Aussagekräftiger sind Werte, die über einen längeren Zeitraum erhoben wurden. Der sogenannte Sieben-Tage-R-Wert liegt laut RKI-Lagebericht vom Donnerstagabend weiterhin unter eins, konkret bei 0,93 (Vortag: 0,89). Das heißt, dass 100 Infizierte rechnerisch etwa 93 weitere Menschen anstecken. Erst wenn der Wert über einen längeren Zeitraum unter eins liegt, kann davon ausgegangen werden, dass sich der Ausbruch wieder verkleinert. Dennoch zeigt der aktuelle R-Wert, dass die Zahl der Infektionen trotz neuer Höchststände zumindest nicht mehr so rasant zunimmt wie noch im Oktober.
RKI-Chef Lothar Wieler bewertete die aktuelle Entwicklung aufgrund der langsamer ansteigenden Fallzahlen am Donnerstag "vorsichtig positiv". Allerdings ist noch unklar, was die Ursachen des gebremsten Wachstums sind. Möglich ist, dass sich bemerkbar macht, dass sich die Bürger bereits vor dem Teil-Shutdown vorsichtiger verhalten haben und ihre Kontakte reduzierten. Möglich ist aber auch, dass Labors und Gesundheitsämter an ihre Kapazitätsgrenzen geraten und nicht noch mehr Fälle melden können.
Trotz Teil-Shutdown ein neuer Höchstwert – wie kann das sein?
Bis sich eine Maßnahme wie etwas das Schließen von Restaurants auf die Infektionszahlen niederschlägt, vergehen laut RKI zwei bis drei Wochen. So viel Zeit liegt in der Regel zwischen der Infektion eines Menschen, seinem Test und der Meldung seines Falls über das Gesundheitsamt ans Robert Koch-Institut. Erst am Ende dieser Kette tauchen Personen in den offiziellen Statistiken auf.
Laut RKI bildet der aktuelle Sieben-Tage-R-Wert – der besagt, wie viele Menschen jeder im Schnitt ansteckt – das Infektionsgeschehen von vor 8 bis 16 Tagen ab. Da der Teil-Shutdown erst seit Anfang November gilt, könnte sich sein Einfluss nächste Woche auf diesen Wert niederschlagen.
Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wollte am Freitag noch keine Prognose dazu abgeben, ob die für November verhängten Corona-Auflagen im Dezember gelockert werden können. Es sei "zu früh, das jetzt schon zu bewerten", sagte er im ARD-"Morgenmagazin". Das Coronavirus habe eine "lange Bremsspur", sodass sich neue Maßnahmen immer erst "sehr zeitverzögert" niederschlügen.
Selbst bei einer guten Entwicklung der Neuinfektionszahlen könne im Dezember jedoch nicht alles wieder so sein wie früher, so Spahn. Beispielsweise müsse weiterhin auf Geburtstags- und Hochzeitsfeiern verzichtet werden, ebenso auf betriebliche Weihnachtsfeiern. "Das werden wir im Winter sicher durchhalten müssen", sagte er.
Wer infiziert sich laut den aktuellen Zahlen?
Laut Robert Koch-Institut nimmt seit Anfang September die Zahl der älteren Personen unter den Covid-19-Fällen wieder zu. Die Sieben-Tages-Inzidenz liegt für Personen ab 60 Jahren aktuell bei 95 Fällen pro 100.000 Einwohner. Zum Vergleich: Über alle Altersgruppen verteilt haben die Gesundheitsämter über sieben Tage 139 Fälle pro 100.000 Einwohner gemeldet.
Bei einem Großteil der Fälle können die Gesundheitsämter nicht nachvollziehen, bei wem sich jemand angesteckt hat. Das zeigt, dass längst nicht alle Infektionen bekannt sind. Bei den bekannten Infektionsketten haben sich zahlreiche Menschen dem Situationsbericht des RKI zufolge im Haushalt, in Alten- und Pflegeheimen oder am Arbeitsplatz infiziert.
Bei einem Ausbruch in einem Altenheim in Frankfurt am Main wurde das Coronavirus bei 67 Menschen nachgewiesen. Elf von ihnen mussten im Krankenhaus behandelt werden, sechs sind dem aktuellen Situationsbericht zufolge verstorben.
Wie ist die Situation in den Krankenhäusern?
Vor zwei Wochen wurden noch knapp 1700 Covid-19-Erkrankte in Deutschland auf Intensivstationen behandelt, am Donnerstag waren es dem RKI zufolge knapp 3200. Damit hat sich die Zahl in dem Zeitraum fast verdoppelt. Mehr als die Hälfte der Patientinnen und Patienten auf der Intensivstation muss künstlich beatmet werden.
Deutschlandweit gibt es jedoch aktuell keinen Mangel an Intensivbetten: Dem Divi-Intensivregister zufolge ist mehr als jedes fünfte Bett (23 Prozent) auf Intensivstationen frei. Außerdem könnten weitere Kapazitäten aufgebaut werden. Allerdings fehlt es in Deutschland an ausgebildeten Pflegekräften, die eine so große Zahl von Patienten versorgen könnten, wie unter anderem Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, warnt. Infektionen bei Ärztinnen und Ärzten sowie dem Pflegepersonal verschärfen die Lage.