Schwerkranke So funktioniert die Beatmung eines Covid-19-Patienten

Ein Patient wird über ein Beatmungsgerät mit Sauerstoff versorgt (Archivbild)
Foto: Drägerwerk/ DPANicht alle Patienten, die wegen des neuartigen Coronavirus so schwer erkranken, dass sie ins Krankenhaus müssen, landen auch auf der Intensivstation. Vielen kann auf einer Normal- oder Zwischenintensivstation geholfen werden. Dort werden sie engmaschig überwacht und können Sauerstoff über eine Maske oder Nasensonde erhalten. Doch für einige Patienten verläuft die Krankheit schwer, in Italien etwa musste jeder zehnte Covid-19-Patient künstlich beatmet werden.
Die Entscheidung, einen Patienten von einer Maschine beatmen zu lassen, liegt im Ermessen der Ärzte - einen klar definierten Startpunkt gibt es nicht. Ob ein Patient beatmet werden muss, wird weniger an Laborwerten festgemacht, sondern mehr daran, wie es dem Patienten geht.
Entscheidend sind Atemfrequenz und Sauerstoffkonzentration
Ein wichtiger Indikator ist die Atemfrequenz. Normalerweise atmet ein gesunder Erwachsener 12- bis 18-mal pro Minute ein und aus. Steigt die Frequenz auf mehr als 35 Atemzüge pro Minute an und muss der Patient zunehmend auch die um den Brustkorb gelagerte Atemhilfsmuskulatur nutzen, ist dies ein deutliches Zeichen dafür, dass bald das Zwerchfell ermüden kann. Auch das Verhalten der Betroffenen ändert sich dann rasch: Kritisch Kranke sind benommen, unruhig, und die Atembewegungen wirken unkoordiniert.
Eigentlich ist es jetzt nicht mehr unbedingt nötig - dennoch kann noch eine Blutgasanalyse durchgeführt und für die Entscheidung herangezogen werden. Bei schwer an Covid-19 Erkrankten sieht das klinische Bild komplex aus. Viele zeigen eine massive Sauerstoffunterversorgung, selbst dann, wenn hoch dosiert Sauerstoff über eine Maske gegeben wird. Spätestens jetzt muss der Patient beatmet werden.
Verschiedene Arten der maschinellen Beatmung
Die maschinelle Beatmung gehört zu den Grundsäulen der modernen Intensivmedizin. Intensivmediziner unterscheiden zwischen der assistierten und der kontrollierten Beatmung; auch Mischformen gibt es. Die assistierte Beatmung kommt zum Einsatz, wenn der Patient zwar noch allein einatmen kann, aber das nötige Volumen nicht mehr erreicht. Dann wird die Eigenatmung unterstützt.
Verschlechtert sich der Zustand eines Patienten massiv, sodass er nicht mehr allein atmen kann, wird zunächst eine Narkose eingeleitet. Dann wird ein Schlauch in die Luftröhre gelegt und so fixiert, dass er nicht herausrutschen kann. Nun kann der Patient kontrolliert beatmet werden. Das heißt, dass die ganze Atemarbeit vom Beatmungsgerät geleistet wird. Versucht der Patient selbst zu atmen, hustet oder presst er, ist das hinderlich. In solchen Fällen können die Ärzte Beruhigungsmittel verabreichen oder sogar muskelentspannende Medikamente geben, unter denen die Eigenatmung des Patienten komplett ausfällt.
An den Maschinen - jede ist mehrere Zehntausend Euro teuer - kann eingestellt werden, wie oft der Patient beatmet werden soll. Auf einem Monitor können Ärzte jeden Beatmungszug verfolgen: Angezeigt werden Druck, Frequenz, Ausatmung, wie viel Luft der Patient in der Minute bekommt, die Sauerstoffkonzentration oder die Feuchte der Luft. Ziel ist es, dass die Sauerstoffsättigung im Blut, also der Grad der Sauerstoffanreicherung der roten Blutkörperchen, bei mindestens 90 Prozent liegt. Ein gesunder Mensch erreicht Werte zwischen 97 und 100 Prozent unter normaler Eigenatmung. Auch die Ausatemluft wird analysiert. Wichtig ist hier der Kohlenstoffdioxid-Gehalt – wo Sauerstoff reingeht, muss CO2 rauskommen. Das Messverfahren hierfür nennt man Kapnometrie.
Die Beatmungsdauer liegt bei rund sieben Tagen
Die Beatmungsgeräte auf Intensivstationen sind an die zentrale Sauerstoffversorgung des Krankenhauses angeschlossen. Normalerweise benötigen Beatmungsgeräte auch Strom, in Krankenhäusern hängen sie an einer unterbrechungsfreien Stromversorgung: Fällt der Strom aus, springt sofort ein Aggregat an und stellt die Versorgung sicher.
Schwerste Covid-19-Erkrankte sind für Intensivmediziner eine Herausforderung. Viele Intensivstationen beatmen solche Patienten in Bauchlage unter Überdruck, in der Fachsprache PEEP genannt. In der ungewöhnlichen Bauchlage deshalb, weil so der Druck auf die Lunge sinkt – die Sauerstoffversorgung wird verbessert. PEEP steht für "Positive end-expiratory pressure", zu Deutsch eine Überdruckbeatmung: Luft wird mit Druck in die Lungen gepresst, anders als bei der normalen Atmung. So verbessert man den Gasaustausch und verhindert einen Kollaps der Lungenflügel. Weil sich bei der Ausatmung die Lunge wieder an den Umgebungsdruck anpassen würde, hält ein spezielles Ventil den Druck hoch.
Trotz aller Bemühungen der modernen Intensivmedizin belegen Daten aus Großbritannien , dass Covid-19-Patienten, die beatmungspflichtig sind, ein hohes Risiko haben, an ihrer Krankheit zu sterben. Über Ostern wurden dort Daten veröffentlicht, die zeigen, dass nur jeder dritte beatmete Covid-Patient später lebend entlassen werden konnte. Das deutet darauf hin, dass ihre Prognose schlechter zu sein scheint, als diese bei Patienten mit anderen viralen Lungenentzündungen sonst ist.
Das Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität in München teilte vergangene Woche mit, dass die durchschnittliche Beatmungsdauer ihrer im Mittel 67 Jahre alten Covid-19-Intensivpatienten bei sieben Tage liege. Fünf der 36 Patienten hingen oder hängen zusätzlich an einer ECMO-Maschine, die bei sehr schweren Verläufen erforderlich wird. Dahinter verbirgt sich das System der "Extrakorporalen Membranoxygenierung". Dabei wird das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff angereichert und gleichzeitig CO2 entfernt. Viele große Krankenhäuser in Deutschland verfügen über ECMO-Möglichkeiten, einen Überblick über derzeit freie Kapazitäten führt die Deutsche Gesellschaft für Intensivmedizin (DIVI).
Erfahrenes Personal ist wichtig
Verbessert sich unter der Therapie der Zustand des Patienten, kann er wieder auf eigene Atmung umgestellt werden. Doch auch das ist komplex. Der Vorgang wird in der Fachsprache Weaning genannt; je früher er erfolgt, desto besser. Voraussetzung ist, dass der Atemantrieb des Patienten wieder da ist. Nicht selten dauert das Weaning länger und der Patient muss wieder für 24 Stunden an das Beatmungsgerät. Auch das verengt die Kapazitäten in der Coronakrise.
Nur mit Beatmungsgeräten allein ist Patienten also nicht geholfen. Selbst wenn die Bundesregierung nun auf die Schnelle Tausende Geräte herbeischaffen kann, ist es mit einem simplen Einschalten der Apparate nicht getan. "Einen beatmeten Covid-Patienten auf der Intensivstation zu behandeln, ist komplex. Neben Beatmungsgeräten braucht man für den Erfolg der Behandlung erfahrenes Personal, insbesondere Intensivmediziner und Fachpflegekräfte", sagt Claudia Spies, Chefin der Anästhesie und Intensivmedizin der Berliner Charité, dem größten Krankenhaus Europas.
Selbst Stefan Dräger, Chef des Beatmungsgeräteherstellers Dräger, sieht die reine Stückzahl der Respiratoren im SPIEGEL-Interview nicht als das Kernproblem an und spricht sich dafür aus, vor allem Spezialzentren mit den High-Tech-Apparaten zu versorgen.