Coronapandemie Die Suche nach dem billigen Allerweltsimpfstoff

Covid-19-Impfung in Brasilien
Foto: Bruno Kelly / REUTERSBiontech/Pfizer, Moderna, AstraZeneca und Johnson & Johnson – Impfstoffe dieser Firmen wurden in der Europäischen Union (EU) bereits gegen Covid-19 zugelassen. Sie alle basieren auf einem ähnlichen Wirkprinzip, haben aber einen Nachteil: Für die Herstellung braucht es hoch technisierte Infrastruktur, die Produktion ist entsprechend teuer, die verfügbaren Mengen im Vergleich klein.
Fachleute arbeiten deswegen nun verstärkt an Mitteln gegen Covid-19, die sich fast überall auf der Welt günstig und in großer Menge herstellen lassen. Einen entscheidenden Beitrag dazu könnte der Impfstoff NDV-HXP-S liefern, den Forscher in den USA entwickelt haben. Reicheren Staaten könnte er zudem helfen, neue Mutanten einzudämmen.
Das Problem bislang: Für die Produktion von RNA-Impfstoffen wie denen von Biontech/Pfizer und Moderna braucht es teure Inhaltsstoffe und spezielle Produktionsstätten. Zudem ist weder bei diesen Impfstoffen noch bei den Vektor-Produkten von AstraZeneca oder Johnson & Johnson gesichert, dass eine Nachimpfung mit dem gleichen Mittel gegen Virusmutanten verträglich oder wirksam ist (mehr dazu lesen Sie hier ).
Je mehr Impfstoffe es also gibt, desto besser. Außerdem haben Expertinnen und Experten für NDV-HXP-S eine Methode entwickelt, mit der sich das Mittel in riesigen, in fast allen Staaten der Welt vorhandenen Produktionsstätten erzeugen ließe. Die Anlagen werden bislang für die Produktion von Grippeimpfstoff genutzt.
Die Krux mit dem Spike-Protein
NDV-HXP-S basiert auf einer besonderen Form des Spike-Proteins, mit dem das neue Coronavirus in den Körper vordringt. Impfstoffhersteller nutzen diese Struktur, um das Immunsystem auf ein Zusammentreffen mit dem Virus vorzubereiten. Der Körper erkennt das von der Impfung gelieferte Protein als Fremdstoff und entwickelt Antikörper dagegen, so die Idee.
Im Detail gibt es verschiedene Ansätze wie das Protein in den Körper gelangt. Biontech/Pfizer und Moderna nutzen mRNA, um den genetischen Bauplan der Spike-Struktur in Zellen einzuschleusen. Der Körper stellt das Protein dann selbst her.
Ähnlich funktioniert es bei den Vektorviren von AstraZeneca und Johnson & Johnson, nur dass die genetische Information für das Protein mithilfe eines anderen, für den Menschen unschädlichen Virus in den Körper gelangt. Firmen wie etwa Novavax und Sanofi/GSK arbeiten an Protein-Impfstoffen, bei denen Protein-Bestandteile des Virus direkt in den Körper eingeschleust werden.
Die Schwierigkeit bei vielen dieser Ansätze: Das Spike-Protein des Coronavirus verändert seine Form sehr leicht. Ist das der Fall, zielen die vom Impfstoff produzierten Antikörper gegen die falschen Strukturen, die Impfung wirkt nicht richtig.
Neue Proteinbausteine
Forscherinnen und Forscher haben jedoch eine Möglichkeit gefunden, die Form zu stabilisieren. Entwickelt wurde die Technik bereits im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Mers-Virus, einem anderen Coronavirus, das ebenfalls das Spike-Protein auf seiner Oberfläche trägt.
Bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen den Mers-Erreger vor einigen Jahren ersetzten Fachleute zwei der mehr als tausend Bausteine des Spike-Proteins durch ein Molekül namens Prolin. Sie stellten fest, dass die Struktur dann viel eher ihre Form behielt. Mäuse entwickelten eine starke Immunantwort, wenn sie in Kontakt mit dem 2P-Spike-Protein kamen.
Analog dazu kreierten dieselben Forscher 2020 ein 2P-Spike-Protein passend zum neuen Coronavirus. Die Covid-19-Impfstoffe von Firmen wie Pfizer/Biontech, Moderna und Johnson & Johnson basieren bereits darauf, den Körper zur Produktion dieser Form des Proteins anzuregen. Auch Novavax und Sanofi/GSK nutzen die Struktur für ihre Protein-Impfstoffe.
Die Forscherinnen und Forscher haben die Stabilität des 2P-Spike-Proteins inzwischen noch einmal verbessert. Dafür erzeugten sie im Labor 100 verschiedene Varianten und veränderten jeweils einen anderen Baustein der Struktur. Anschließend kombinierten sie die beständigsten Varianten zu einem Spike-Protein mit den Elementen aus der 2P-Variante und vier weiteren Prolin-Bauteilen.
Massenproduktion weltweit
HexaPro, wie die Fachleute das angepasste Spike-Protein genannt haben, hält Hitze und anderen äußeren Einflüssen besser stand als sein Vorgänger. Das erleichtert die Produktion, den Transport und die Lagerung. Insbesondere technisch schlechter ausgestattete Schwellen- und Entwicklungsländer dürften davon profitieren. Viele von ihnen haben bislang kaum Möglichkeiten, ihre Bevölkerung gegen Covid-19 zu impfen.
80 Staaten mit niedrigen und mittleren Einkommen dürfen das angepasste Protein in Impfstoffen nutzen, ohne Lizenzgebühren dafür zu zahlen. Einige von ihnen könnten Impfstoffe auf Basis von HexaPro gar in großem Maßstab selbst herstellen – in Produktionsstätten, in denen sonst massenweise günstiger Grippeimpfstoff entsteht.
Expertinnen und Experten haben dazu den genetischen Bauplan von HexaPro in ein Virus integriert, das bei Geflügel die sogenannte Newcastle-Krankheit verursacht. In einer Fabrik in Vietnam wurden Hühnereier damit infiziert. Die Viren vermehrten sich darin und bildeten HexaPro auf ihrer Oberfläche aus.
Der so entstandene Vektor-Impfstoff NDV-HXP-S schützte Hamster und Mäuse zuverlässig vor dem neuen Coronavirus. »Ich kann ehrlich sagen, dass ich jeden Hamster, jede Maus auf der Welt vor Sars-CoV-2 schützen kann«, sagte Studienleiter Peter Palese vom der Mount Sinai School of Medicine in New York der »New York Times« . Allerdings müsse sich noch zeigen, ob das so auch in Menschen funktioniert.
Brasilien, Mexiko, Thailand und Vietnam beginnen in den nächsten Monaten mit den ersten Studien dazu.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung des Artikels hieß es, NDV-HXP-S sei ein Protein-Impfstoff. Tatsächlich handelt es sich um einen Vektor-Impfstoff.