Debatte über PCR-Tests Nummer sicher

Bei kaum einem Thema entlädt sich Corona-Skepsis so vehement wie bei PCR-Tests und Christian Drosten. Warum ist das so? Und was ist dran an den Argumenten?
PCR-Tests: »Die jetzigen Zahlen mit Schwerkranken und vielen Toten führen diese Diskussion doch ad absurdum«

PCR-Tests: »Die jetzigen Zahlen mit Schwerkranken und vielen Toten führen diese Diskussion doch ad absurdum«

Foto: Thomas Lohnes / Getty Images

Geschlossene Restaurants, maue Auftragslage, Besuchsverbot im Krankenhaus: Die Coronakrise verlangt allen Menschen in Deutschland immens viel ab, Ärztinnen, Eltern, Politikerinnen, Pflegern, Kurzarbeitern. Je nach Bundesland, Uhrzeit oder Straße gelten andere Regeln. Und nicht selten ist das, was gestern noch galt, morgen überholt. Das strengt an. Immer wieder muss die Politik und jeder einzelne Mensch in Deutschland austarieren, wie viel Freiheit gerade noch geht, welche Kontakte unbedingt nötig sind und was zu viel ist – damit alle die bestmögliche medizinische Versorgung bekommen können, sollten sie sich infizieren.

Umso berechtigter ist es, Maßnahmen kritisch zu hinterfragen. Warum werden ausgerechnet Restaurants geschlossen? Warum muss in bestimmten Fällen nur ein Elternteil in Quarantäne, wenn das Kind möglicherweise Corona hat? Darüber kann man diskutieren. Doch nicht jede Diskussion ist zielführend.

Eine Grundlage fast aller politischen Entscheidungen zu den Einschränkungen ist das aktuelle Infektionsgeschehen, also die Zahl der täglich neu gemeldeten Corona-Infizierten. Diese werden vom Robert Koch-Institut (RKI) aufgrund der von den Laboren übermittelten Ergebnisse der Corona-Tests erfasst. Die Tests sind damit ein wichtiges Messinstrument der Pandemiebekämpfung.

Immer wieder facht ein harter Kern von Corona-Kritikern und Online-Plattformen Diskussionen über die Zuverlässigkeit der sogenannten PCR-Tests (englisch polymerase chain reaction, Polymerase-Kettenreaktion) an, die eine Corona-Infektion nachweisen können. Die Kritik verbreitet sich besonders in sozialen Netzwerken, auch, weil sie zum Teil von Wissenschaftlerinnen und Ärzten kommt. Eine Auswahl der Argumente – und was über sie bekannt ist.

Kann der PCR-Test eine Corona-Infektion überhaupt verlässlich nachweisen?

Der PCR-Test reagiert auf bestimmte Abschnitte im Erbmaterial des Virus, die nur bei dem Coronavirus Sars-CoV-2 vorkommen, das die aktuelle Pandemie verursacht. Die meisten Tests weisen zwei verschiedene Abschnitte des Genoms nach, einige sogar drei. Dass die Tests fälschlicherweise auch auf andere Coronaviren reagieren, ist deshalb extrem unwahrscheinlich. Dass sie absichtlich so angelegt sein sollen, auf andere Viren zu reagieren, ist falsch.

Auch wenn nur Genabschnitte nachgewiesen werden, ist der Test zuverlässig. Denn wo Teile des Erregers sind, hat sich sehr wahrscheinlich auch das ganze Virus ausgebreitet. Auf der Seite des Robert Koch-Instituts  (RKI) steht eindeutig: »Die Feststellung einer akuten Infektion mit dem Sars-CoV-2 erfolgt mittels direktem Erregernachweis (z.B. Genomnachweis mittels PCR, Antigennachweise, Virusisolierung).«

Haben die Kritiker also unrecht?

Hinter der Diskussion um den Nachweis einer Infektion steckt Wortklauberei. Das Gesetz  definiert eine Infektion als »Aufnahme eines Krankheitserregers und seine nachfolgende Entwicklung oder Vermehrung im menschlichen Organismus«. Weil PCR-Tests nicht anzeigen, ob die nachgewiesenen Virenbestandteile noch Zellen befallen können oder nicht mehr infektiös sind, argumentieren die Kritiker, dass die Tests streng genommen nicht eine Infektion im Sinne des Infektionsschutzgesetzes nachweisen können. Als Beleg dafür wird oftmals angeführt, dass sogar der Berliner Senat in einer Antwort auf die Anfrage eines Abgeordneten dies bestätigt haben soll.

Tatsächlich stand in der Antwort , dass PCR-Tests nicht nachweisen können, ob jemand ansteckend ist. Das ist aber kein Geheimwissen, das dort preisgegeben wurde, sondern bekannt. Die Tests können nicht sicher anzeigen, ob jemand ansteckend ist. Eine Infektion weisen sie aber sehr wohl nach.

»Wenn die PCR anschlägt, dann hat sich der Erreger vermehrt. Ob er das im Moment der Probenentnahme noch tut, ist irrelevant«, sagte Virologe Friedemann Weber, Direktor am Institut für Virologie der Justus-Liebig-Universität in Gießen dem Recherchezentrum Correctiv . Auch laut RKI reicht ein positiver PCR-Test auf das Coronavirus, um von einer akuten Infektion im Sinne des Infektionsschutzgesetzes auszugehen.

Das sieht auch der Berliner Senat so. Auf die Frage, warum er seine Corona-Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie von PCR-Tests abhängig macht, antwortete der Senat: »Weil mit dem PCR-Test das Vorhandensein von Sars-CoV-2 Viren nachgewiesen wird. Das Vorhandensein dieser Viren korreliert mit einer Infektion mit diesen Viren. Diese Infektion ist relevant für die Überlegungen zum Infektionsschutz.«

Wie wichtig sind PCR-Tests für Entscheidungen über Quarantäne?

Ob jemand ansteckend ist oder nicht, lässt sich im Labor nur schwer nachweisen. Wissenschaftler können zwar untersuchen, ob Viren aus bestimmten Proben Zellen befallen können – allerdings nur unter Laborbedingungen. Das ist aufwendig und ob sich die Viren auch in der Realität ausbreiten würden, ist nicht sicher.

Beobachtungsstudien von Ausbrüchen haben jedoch gezeigt, dass Infizierte den Erreger schon weitergeben können, ehe sie selbst krank werden. Das ist auch der Grund, warum eine Maskenpflicht für alle sinnvoll ist. Denn niemand kann wissen, ob sie oder er in einigen Tagen krank werden wird. Jeder kann das Virus in sich tragen und sollte andere deshalb schützen.

Nach Auftreten der Symptome bleiben Infizierte im Schnitt noch acht Tage ansteckend. Umso wichtiger ist es, zu Hause zu bleiben, sobald man nur den Verdacht hat, infiziert zu sein oder Symptome hat, die auf eine Infektion hindeuten. Und nicht erst auf ein positives Testergebnis zu warten.

Für die Anordnung einer Quarantäne ist ein positiver PCR-Test ohnehin nicht zwingend erforderlich. Generell sollte jeder in Quarantäne, der mindestens 15 Minuten lang mit einem nachweislich Infizierten Kontakt hatte. Und das RKI empfiehlt allen, die Symptome einer Atemwegserkrankung haben, für mindestens fünf Tage zu Hause bleiben. Wer getestet werden sollte, können Sie hier nachlesen . Kürzlich hat das RKI die Zeit der Quarantäne für Kontaktpersonen von Corona-Infizierten zudem auf zehn Tage verkürzt, wenn ein negativer Test vorliegt.

Sind die meisten positiv Getesteten gar nicht ansteckend?

PCR-Tests können auch dann noch positiv ausfallen, wenn die Betroffenen noch nicht oder nicht mehr ansteckend sind. Einige argumentieren deshalb, die hohe Zahl der nachgewiesenen Neuinfektionen sage nur wenig aus, weil die meisten positiv Getesteten ohnehin nicht ansteckend seien. Sie berufen sich auf den sogenannten Ct-Wert. Er gibt an, wie häufig die Bestandteile des Virengenoms im Labor vervielfältigt werden mussten, ehe der Test anschlug. Ist in der Probe viel Virenmaterial, reichen wenige solcher Kopier-Zyklen.

Muss eine Probe dagegen mehr als 30 dieser Zyklen durchlaufen, enthält sie wahrscheinlich keine Viren, die unter Laborbedingungen Zellen infizieren können, zeigen erste Analysen. Das kann bedeuten, dass der Betroffene nur eine geringe Virenlast hatte und andere womöglich nicht anstecken kann. In den USA lag der Anteil der Tests mit so hohen Ct-Werten bei bis zu 90 Prozent, berichtet die »New York Times« . Von 963 in Schleswig-Holstein ausgewerteten positiven Tests hatten laut der »Süddeutschen Zeitung«  zwischenzeitlich immerhin fast die Hälfte so hohe Ct-Werte.

Kritiker behaupten, die Tests seien bei so hohen Ct-Werten nicht aussagekräftig. Labormitarbeiter suchten so lange nach dem Virengenom in den Proben, bis die Tests positiv ausfielen. Das stimmt so jedoch nicht. Üblicherweise werden höchstens 45 Kopierrunden durchgeführt. Und: Ein hoher Ct-Wert heißt nicht automatisch, dass der Mensch nicht ansteckend ist, von dem die Probe stammt:

  • Schon die Probenentnahme kann den Ct-Wert erheblich beeinflussen. Wenn nur wenig Material aus Rachen oder Nase auf dem Tupfer landet, ist es keine Überraschung, wenn sich nur wenig Virengenom nachweisen lässt.

  • Zudem sagt der Ct-Wert nur etwas über den Moment der Probenentnahme aus. Ob jemand davor infektiös gewesen sein könnte oder es noch wird, ist deshalb unklar. Einen nachweislich Infizierten aufgrund eines hohen Ct-Wertes aus der Isolation zu entlassen, hält das RKI allenfalls dann für gerechtfertigt , wenn die Probe zehn Tage nach dem Beginn der Symptome genommen wurde und es dem Betroffenen in den zwei Tagen vor dem Test deutlich besser ging.

»Die wissenschaftliche Auswertung der Entwicklung von Ct-Werten ist aktuell Inhalt verschiedener Datenauswertungen«, teilte Labormediziner Jan Kramer dem SPIEGEL auf Anfrage mit. »Eine Ableitung im Hinblick auf die Bewertung der Pandemie-Entwicklung erscheint mir verfrüht und nur eingeschränkt möglich zu sein«, so der Vorstand des Verbands Akkreditierter Labore in der Medizin.

Welche Rolle spielen falsch-positive Ergebnisse?

Einzelne Mediziner und Corona-Skeptiker argumentieren, PCR-Tests lieferten in ein bis zwei Prozent der Fälle falsch-positive Ergebnisse. Dadurch würden Gesunde fälschlicherweise zu Infizierten erklärt. Tatsächlich dürften PCR-Tests deutlich zuverlässiger sein. So fiel in Neuseeland von Ende Mai bis Mitte Juni kein einziger Test positiv aus, obwohl täglich bis zu 4000 Menschen in dem Land auf eine Infektion hin untersucht wurden. (Mehr dazu lesen Sie hier .) Wenn wirklich bis zu zwei Prozent der Tests anschlagen, obwohl keine Infektion vorliegt, hätten zumindest einige Ergebnisse positiv sein müssen.

Grundsätzlich ist jedoch kein Test absolut fehlerfrei. So fielen in einem Augsburger Labor  kurzzeitig auffallend viele PCR-Tests positiv aus. Später stellte sich heraus, dass das Labor wahrscheinlich wegen Lieferengpässen ungeeignete Reagenzien verwendet hatte. Dennoch: »Die Methode der PCR ist in der molekularen Diagnostik eine etablierte und seit vielen Jahrzehnten routinemäßig eingesetzte Methode«, betonte die Gesellschaft für Virologie kürzlich in einer Stellungnahme . »Die vom RKI gemeldeten Daten zum Infektionsgeschehen spiegeln medizinische Befunde und keine rohen Testergebnisse wider«, heißt es in der Erklärung weiter.

Warum richtet sich die Kritik immer wieder gegen Christian Drosten?

Das Forschungsteam um Christian Drosten von der Charité war das Erste, das ein Testverfahren auf das Coronavirus zur Verfügung gestellt hatte. Der PCR-Test konnte nur entwickelt werden, weil in China Geninformationen des Virus veröffentlicht worden waren. Das Forschungsteam glich die Daten mit bereits entwickelten Tests gegen das Sars-Coronavirus und Coronaviren bei Fledermäusen ab.

Anschließend testeten die Forscher Patientenproben, die sich nachweislich mit anderen Coronaviren und generell Erkältungsviren infiziert hatten. Alle Ergebnisse blieben negativ. Der Test reagierte also nur auf das neue Coronavirus.

Rein theoretisch könnte der Test auch bei dem Sars-Coronavirus oder bei Fledermaus-Coronaviren anschlagen, sagte Drosten im NDR-Podcast . Das Sars-Virus gebe es aber schon seit 16 Jahren nicht mehr beim Menschen. Auch die Fledermaus-Viren kämen beim Menschen nicht vor. »Dieser Test reagiert gegen kein anderes Coronavirus des Menschen«, sagte Drosten.

Ein harter Kern von Kritikern zweifelt weiterhin an dem Test. Ein aktueller Bericht geht besonders ins Detail und wirft dem Team um Drosten unter anderem vor, an einigen Stellen der Studie die Einheit Nanomolar nicht korrekt abgekürzt zu haben. Insgesamt, so der Vorwurf, müsse die Studie zurückgezogen werden.

Wer sich bei Experten umhört, bekommt den Eindruck: Sie sind die ständigen Diskussionen leid. Kaum ein Labor benutze noch den vom Forschungsteam um Drosten entwickelten PCR-Test in der Form vom Januar. Firmen haben längst eigene Tests entwickelt, die schnell und in großer Zahl durchgeführt werden können. Nur so sind überhaupt so viele Tests möglich. Die ganze Diskussion sei überflüssig. »Die jetzigen Zahlen mit schwer Kranken und vielen Toten führen diese Diskussion doch ad absurdum«, teilte Virologe Ulf Dittmer vom Universitätsklinikum Essen mit. »Wie kann man da jetzt noch diskutieren, dass die PCR nur falsche Ergebnisse liefert?«

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