Therapien gegen Covid-19 Die Suche nach dem Heilmittel

Wann kommt endlich das Medikament gegen Covid-19?
Foto: Sasha Brazhnik / iStockphoto / Getty ImagesDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
»Das kenne ich so von keiner anderen Krankheit«, erzählte der Lungenfacharzt Cihan Celik aus Darmstadt dem SPIEGEL, nachdem er seine ersten Covid-19-Patienten behandelt hatte. Mehr als ein Jahr ist das nun her. Inzwischen haben sich die ersten Eindrücke bei Hunderten Medizinerinnen bestätigt: Die Krankheit, die den gesamten Globus in eine nie da gewesene Pandemie gestürzt hat, ist tückisch.
Wer schwer an Covid-19 erkrankt, wirkt häufig zunächst fit – selbst wenn der Körper längst nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird und dringend zusätzlich beatmet werden müsste. Experten nennen das Phänomen »happy hypoxia«, auf Deutsch etwa: fröhlich trotz Sauerstoffmangel.
Und selbst wen die Krankheit zunächst zu verschonen scheint, weil nur milde Symptome auftreten, ist nicht vor Langzeitfolgen gefeit. Einige fühlen sich teils noch Monate nach der Infektion schlapp – selbst junge Erwachsene leiden unter dem langen Covid.
Warum sich Viren so schwer bekämpfen lassen
Während die Impfungen gegen das Coronavirus im Rekordtempo entwickelt wurden, lässt der große Durchbruch in der Medikamentenforschung auf sich warten. Ein zuverlässiges Heilmittel gegen Covid-19 gibt es bisher nicht, dabei könnte es den Verlauf der Pandemie entscheidend verändern. Vor allem jetzt, da die Zahl der Covid-19-Patienten auf Intensivstationen einen neuen Rekord zu erreichen droht .
Denn dass das Virus – eine winzige organische Struktur ohne eigenen Stoffwechsel – die Welt in die Knie zwingt, liegt an der Schwere der Krankheit, die es verursacht. Wenn ein Medikament schwere Covid-19-Verläufe verhindern könnte, blieben Krankenhausbetten leer, Todesfälle würden verhindert, das öffentliche Leben könnte wieder Fahrt aufnehmen. Kurz: Das Virus würde seinen Schrecken verlieren. Wann also kommt endlich das Medikament gegen Covid-19?
Immerhin stehen Ärzte dem Virus inzwischen nicht mehr völlig unvorbereitet gegenüber. Wie bei anderen Krankheiten können sie heute in Leitlinien nachschlagen , wie Covid-19-Patienten am besten behandelt werden sollten. Vor allem bereits erprobte Mittel wie der Entzündungshemmer Dexamethason oder der Wirkstoff Heparin, der die Blutgerinnung bremst, verbessern die Genesungschancen. Auch Asthmaspray könnte schwere Covid-Verläufe womöglich verhindern .
Diese Medikamente greifen jedoch nicht das Virus direkt an, sondern lindern lediglich die Symptome. Gerade im Anfangsstadium der Krankheit haben Ärzte wenig zur Hand, was sie dem Erreger entgegensetzen können – ein Problem, das sie von anderen Viruserkrankungen kennen.
Angst vor heftigen Nebenwirkungen
Anders als Bakterien, die sich mit Antibiotika bislang zuverlässig ausschalten lassen, ist Viren deutlich schwerer beizukommen. Denn im Gegensatz zu Bakterien vermehren sich Viren nicht selbst. Sie kapern Körperzellen ihres Wirts und zwingen diese dazu, unzählige Kopien des Erregers zu produzieren. Weil sie sich nicht selbst fortpflanzen können, streiten Forscher sogar, ob Viren streng genommen Lebewesen sind.
Antivirale Medikamente: Sie sollen verhindern, dass die Viren überhaupt erst in Körperzellen eindringen. Nur dort können sie sich ausbreiten. Allerdings müssen diese Medikamente möglichst früh verabreicht werden.
Herz-Kreislauf-Medikamente: Diese kommen zum Einsatz, wenn sich das Virus schon ausgebreitet hat. Sie bekämpfen also nicht das Virus direkt. Sondern bekannte Komplikationen, die bei Covid-19 auftreten können, wie beispielsweise Thrombosen. Diese Medikamente werden oft schon seit Langem bei anderen Erkrankungen eingesetzt.
Immunmodulatoren: Sie bringen vor allem im kritischen Stadium einer schweren Erkrankung Vorteile, wenn nicht mehr das Virus das Problem ist, sondern die fehlgeleitete Reaktion des Immunsystems. Ein vielfach eingesetztes Mittel ist Dexamethason, das die Abwehrreaktion des Körpers hemmt, damit diese nicht noch mehr Schaden anrichtet als das Virus. Dexamethason ist kostengünstig, in großer Menge verfügbar und wird schon lange bei der Therapie anderer Erkrankungen eingesetzt.
Stärkung der Lungenfunktion: Auch wenn das Coronavirus zahlreiche Organe befallen kann, ist am häufigsten die Lunge betroffen. Medikamente können helfen, die Funktion der Lunge aufrechtzuerhalten und es dem Organ erleichtern, sich zu regenerieren.
Viren direkt anzugreifen, bringt also wenig. Sie müssten stattdessen daran gehindert werden, überhaupt erst in die Zellen einzudringen. Doch weil die Krankmacher ganz unterschiedliche Einfallstore nutzen, fehlt ein Allround-Medikament, das gleich mehrere Arten von Viren blockiert. Hinzu kommt: Was den Viren schadet, gefährdet meist auch die Körperzellen. Das Risiko für Nebenwirkungen steigt.
Die Pandemie beschleunigt nun die Suche nach Virenmedikamenten – dadurch hat die Coronakrise zumindest etwas Positives. Hunderte Medikamente werden derzeit erforscht.
Zunächst hofften Experten auf Mittel, die schon gegen andere Viruserkrankungen erprobt worden sind. Das für die Therapie von Malaria entwickelte Hydroxychloroquin, für das Ex-Präsident Donald Trump massiv geworben hatte, zeigte sich am Ende allerdings nicht als ausreichend wirksam gegen das Coronavirus. Selbst Remdesivir, das in der EU eigens für die Therapie von Covid-19 zugelassen wurde , erfüllte nicht die Hoffnungen. Laut dem Robert Koch-Institut (RKI) sollte das Mittel nur noch verwendet werden, wenn Patienten zwar zusätzlich Sauerstoff benötigen, aber noch nicht künstlich beatmet werden müssen.
Hoffnung Antikörper-Cocktail
Seit einigen Wochen empfiehlt die Europäische Arzneimittelagentur (Ema) zudem künstlich hergestellte Antikörper für die Therapie von Covid-19 – eine Zulassung ist das jedoch noch nicht. Erst am Montag teilte der Pharmakonzern Roche mit, die Antikörperkombination aus Casirivimab und Imdevimab könne das Risiko für eine symptomatische Coronainfektion um etwa 81 Prozent verringern. Den Antikörper-Cocktail – auch bekannt als REGN-COV2 – hatte Roche zusammen mit seinem Partner Regeneron entwickelt.
Mittlerweile haben mehrere Pharmafirmen Arzneimittel mit monoklonalen Antikörpern entwickelt, die Covid-19-Erkrankten helfen sollen. Die Ema analysiert derzeit vier dieser Produkte, das von Regeneron/Roche sowie jeweils eines von Eli Lilly, Celltrion und GSK/Vir Biotechnology.
Der Ansatz ist immer ähnlich: Forscher nutzen einen natürlichen Antikörper als Vorbild, etwa von einem Corona-Genesenen, entschlüsseln diesen im Labor und bauen ihn anschließend in großen Mengen nach. Ziel ist, das Immunsystem bei der Bekämpfung des Virus zu unterstützen und dadurch einen schweren Krankheitsverlauf zu verhindern.
Nach derzeitigem Wissensstand helfen die Medikamente aber nur, wenn sie sehr früh eingesetzt werden – am besten schon nach dem Kontakt mit einem Infizierten oder innerhalb der ersten Tage nach einem positiven Test. Und die Mittel sind teuer. Laut Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte der Bund für 200.000 Dosen der Antikörpermedikamente 400 Millionen Euro gezahlt, das entspricht 2000 Euro pro Dosis.
Behandlung von Covid-19-Patient kann mehr als 40.000 Euro kosten
Wenn das Medikament aber tatsächlich einen schweren Verlauf verhindert, würde sich die Investition finanziell auszahlen – von dem individuellen Nutzen ganz abgesehen. Die Therapie eines Covid-19-Patienten im Krankenhaus kostet im Schnitt 11.400 Euro, zeigt eine Auswertung der Krankenkasse AOK. Müssen die Betroffenen beatmet werden, steigen die Kosten gar auf mehr als 41.000 Euro.
Gerade bei Infizierten, die ein hohes Risiko haben, schwer zu erkranken, könnten die Antikörper-Cocktails also einen Vorteil bringen. Die Herausforderung wird jedoch sein, sie schnellstmöglich damit zu therapieren. Das Problem: Das Medikament muss intravenös verabreicht werden, die Patienten hängen für mindestens eine Stunde am Tropf. In einer Hausarztpraxis ist das kaum zu leisten.
Außerdem können die Medikamente möglicherweise unwirksam werden, wenn sich das Virus durch Mutationen verändert. So hatte die US-Arzneimittelbehörde FDA dem Antikörper-Medikament Bamlanivimab die Notfallzulassung für die Covid-19-Behandlung wieder entzogen, wenn es allein verabreicht wird. Es habe sich gezeigt, dass mehrere Varianten des Virus resistent gegen diesen Antikörper geworden seien, teilte die Behörde am Freitag mit. »Die Medikamente könnten ein weiterer Baustein in der Bekämpfung der Pandemie sein«, konstatierte Marylyn Addo, Leiterin der Sektion Infektiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). »Wir erwarten aber keine ultimativen Heilsbringer.«
Eine Tablette gegen Covid-19 und Grippe?
Andere Hersteller forschen derweil an Tabletten gegen Viruserkrankungen, die rasch hergestellt und leicht verabreicht werden können. Anfang der Woche erhielt erstmals ein Covid-19-Patient den Wirkstoff ATR-002 an der Berliner Charité. Das Mittel soll gleichzeitig die Ausbreitung der Viren stoppen und das Immunsystem regulieren. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte die Studie der Phase II genehmigt.
In den kommenden Wochen sollen nun 220 Covid-19-Patienten in den internationalen Studienarm aufgenommen werden, die einen mittelschweren bis schweren Verlauf haben, aber nicht beatmet werden müssen. Ein Teil der Probanden bekommt das Medikament, der andere ein Placebo. »ATR-002 adressiert sowohl die virale Replikation als auch die überschießende Immunantwort, die wir bei Patienten mit mittelschwerem oder schwerem Covid-19 häufig sehen«, sagte der leitende Prüfarzt der Studie, Martin Witzenrath von der Berliner Charité.
Das Mittel blockiert einen entscheidenden Signalweg in den infizierten Zellen – so die Theorie. Bausteine der Viren gelangen dadurch nicht mehr vom Kern in das Plasma der Zelle, es können keine funktionierenden Erregerpartikel mehr entstehen, die Viruslast im Körper sinkt, die Patienten werden schneller wieder gesund.
Zudem wirkt das Mittel einer Fehlreaktion des Immunsystems entgegen, einem sogenannten Zytokinsturm, der Entzündungen verursacht und im schlimmsten Fall tödlich endet. Weil der Wirkstoff nicht das Virus selbst angreift, sondern dessen Vermehrung stoppt, hoffen die Forscher, dass er auch gegen mögliche Mutationen wirkt.
Die Suche geht weiter
Sollte sich ATR-002 tatsächlich als wirksam erweisen, könnte es zudem gegen andere Erkrankungen helfen, die wie Covid-19 von RNA-Viren ausgelöst werden. Denn diese nutzen ganz ähnliche Wege, um sich auszubreiten. Auch die Grippe ließe sich dann womöglich mit Tabletten in Schach halten.
Ob das Medikament tatsächlich wirkt, muss sich jedoch erst zeigen. Etliche Studien mit möglichen Coronamedikamenten sind zuletzt gefloppt. Erst vor wenigen Tage stoppte AstraZeneca eine Studie der Phase III mit dem Diabetesmedikament Forxiga, weil sich kein Therapievorteil bei Covid-19-Patienten nachweisen ließ.
»Obwohl wir das Glück hatten, dass Impfstoffe mit beispielloser Geschwindigkeit entwickelt wurden, brauchen wir dringend wirksame Therapien gegen Covid-19«, mahnt Gernot Rohde, Professor für Atemwegsmedizin am Universitätsklinikum Goethe in Frankfurt am Main. »Die Pandemiesituation bleibt sehr kritisch und ist weit davon entfernt, unter Kontrolle zu sein.«