Corona-Pandemie Wie das Virus nach Russland kam

Verwaister Roter Platz: In Russland gibt es so viele nachgewiesene Neuinfektionen wie in keinem anderen Land
Foto:DIMITAR DILKOFF/ AFP
Schon kleinste Veränderungen im Erbgut des neuartigen Coronavirus verraten, wie sich der Erreger weltweit ausbreitet. Seit Beginn der Pandemie laden deshalb Forscher aus der ganzen Welt Genanalysen von Sars-CoV-2-Viren über die Plattform "Nextstrain" hoch, um den Weg des Erregers in Echtzeit zu verfolgen. Nun hat ein Forscherteam erstmals den Ausbruch in Russland genauer untersucht. Demnach ist das Coronavirus mehrmals in das Land eingeschleppt worden, wahrscheinlich von Westeuropa aus, berichten Forscher um Trevor Bedford, Evolutionsbiologe an der University of Washington.
Lange war Russland kein Pandemie-Hotspot, das neuartige Coronavirus war dort später entdeckt worden als in anderen Ländern. Präsident Wladimir Putin äußerte sich erst Ende März öffentlich zu Corona. Von einer Epidemie wollte der Kreml da noch nichts wissen, obwohl die Fallzahlen schon damals stark anstiegen. (Mehr dazu lesen Sie hier.)
Mittlerweile verzeichnet kein anderes Land der Welt so hohe Zuwächse an Neuinfektionen. Am Montag meldeten russische Behörden 10.581 neue Fälle innerhalb eines Tages. Landesweit gibt es nach offiziellen Angaben mehr als 145.200 nachgewiesene Infektionen. 1356 Menschen, die sich mit dem Virus angesteckt hatten, starben.
Für die aktuelle Analyse haben die Forscher das Erbgut von mehr als 4400 Sars-CoV-2-Viren analysiert. Dieser genetische Code enthält den Bauplan für den Erreger. Um sich auszubreiten, muss sich das Genom des Virus ständig kopieren. Dabei passieren zufällige Fehler, sogenannte Mutationen. Sie haben meist keinen Effekt auf das Virus, doch über sie lassen sich die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den einzelnen Viren bestimmen.
Die Idee: Wenn sich in einer Region das neuartige Coronavirus ausbreitet, das dieselben kleinen Abweichungen im Genom zeigt, die zuvor aus einer anderen Gegend bekannt waren, ist es wahrscheinlich, dass es von dort eingeschleppt wurde. Die Mutationen verraten sozusagen den Weg des Virus.
St. Petersburg: Wenn eine Einschleppung einen großen Ausbruch verursacht
Der Großteil der russischen Proben stammt offenbar von europäischen Viruslinien ab. Nur einzelne Genome sind eher mit bekannten Fällen aus Asien vergleichbar. Besonders deutlich zeigt sich das in Moskau. Varianten des Coronavirus, die dort kursieren, sind untereinander kaum verwandt. Das spricht dafür, dass ein Großteil der Infektionen auf Importe aus anderen Ländern, vor allem aus Westeuropa, zurückgeht.
Ganz anders ist die Situation demnach in St. Petersburg. Auch dort war das Coronavirus offenbar mehrfach eingeschleppt worden. Aber vor allem eine dieser bekannten Übertragungen scheint sich innerhalb der Stadt weiter ausgebreitet zu haben. Sie bildet ein großes Cluster mit eng verwandten Sars-CoV-2-Viren, die vor allem Proben aus Westeuropa ähneln.
Allerdings liegen nicht aus allen Ländern Daten vor. Überdurchschnittlich viele Genanalysen stammen aus Europa und den USA. Die Forscher schließen deshalb nicht aus, dass sich das Coronavirus von Westeuropa aus zunächst in einem anderen Land ausgebreitet hatte, ehe es St. Petersburg erreichte. Dort kam es daraufhin zu einem größeren Ausbruch, der wahrscheinlich Anfang März begann.
Wegen der dramatisch steigenden Zahl von Corona-Infizierten baut die Hauptstadt Moskau derzeit weitere provisorische Krankenhäuser. Eine Notklinik mit 4000 Betten soll auf dem riesigen Ausstellungsgelände WDNCh entstehen, sagte Moskaus Vizebürgermeister Petr Birjukow am Montag der Staatsagentur Tass zufolge. "Wir werden die Arbeiten in ungefähr 20 Tagen abschließen." Rund 2000 Arbeiter seien rund um die Uhr im Einsatz. Insgesamt sollen in der Millionenmetropole an 44 Standorten provisorische Krankenhäuser mit 10.000 Betten entstehen.
In Russland gilt eine Ausgangssperre, aber kein Kontaktverbot. Die Beschränkungen müssten wohl so lange bestehen bleiben, bis es einen Impfstoff oder eine wirksame Behandlung gebe, sagte Anna Popowa, die oberste russische Amtsärztin, im Staatsfernsehen. "Wir lernen, auf eine neue Art und Weise mit dem Virus zu leben."