Zweite Welle Drosten empfiehlt Kontakt-Tagebuch im Winter

Wenn die zweite Corona-Welle kommt, wird sie laut dem Virologen Christian Drosten eine ganz andere Dynamik haben als die erste. Daher müsse man die Strategie ändern: ohne Lockdown, dafür mit Restrisiko.
Der Berliner Virologe Christian Drosten (Archivbild)

Der Berliner Virologe Christian Drosten (Archivbild)

Foto: Reiner Zensen/ imago images

Der Virologe Christian Drosten hat in einem Gastbeitrag für die "Zeit"  seine Einschätzungen bezüglich einer möglichen zweiten Corona-Pandemie-Welle niedergeschrieben. Wir müssten uns vor allem darauf einstellen, dass die zweite Welle eine ganz andere Dynamik haben werde, so der Forscher. Neue Fälle könnten überall gleichzeitig auftreten und die personell schlecht ausgestatteten Gesundheitsämter überfordern.

Er empfiehlt deshalb eine neue Strategie, mit der die Ausbreitung des Coronavirus im Herbst bekämpft werden soll, vor allem, falls die Ämter überlastet seien. Die Gesundheitsämter sollten sich demnach auf sogenannte Cluster konzentrieren, also auf Ereignisse oder Umfelder mit vielen gleichzeitigen Neuansteckungen. Das kann beispielsweise eine große Familienfeier sein, eine Schulklasse, ein Großraumbüro oder ein Fußball-Team.

Inzwischen ist bekannt, dass bei der Ausbreitung des Coronavirus Superspreader-Events eine wichtige Rolle spielen, bei denen einzelne Infizierte viele andere anstecken. Das war beispielsweise beim Ausbruch auf dem Tönnies-Schlachthof sowie auf dem Kreuzfahrtschiff "Diamond Princess" der Fall.

Kann sich ein Corona-Infizierter in solch einem Cluster angesteckt haben, müssten alle Menschen dieses Clusters einige Tage isoliert werden, so Drosten. Denn viele könnten hochinfektiös sein, ohne es zu wissen. Für Tests fehle die Zeit. "Jeder Bürger sollte in diesem Winter ein Kontakt-Tagebuch führen", empfiehlt er.

Vorbild: Japan

Als positives Beispiel nennt der Virologe in seinem Gastbeitrag immer wieder Japan, das ebenfalls mit der Cluster-Strategie erfolgreich war. Japan sei es gelungen, die erste Welle trotz einer erheblichen Zahl importierter Infektionen ohne einen Lockdown zu beherrschen, argumentiert Drosten. Die Strategie müsse klug eingesetzt werden, dann könne man auch hierzulande einen flächendeckenden Lockdown vermeiden: "Schaut man sich neuere Daten zur Ausscheidung des Virus an, reicht eine Isolierung der Cluster-Mitglieder von fünf Tagen, dabei darf das Wochenende mitgezählt werden." Am Ende der fünf Tage solle man die Cluster-Mitglieder testen - solch eine pauschale Regelung sei zu verkraften und allemal besser als ein ungezielter Lockdown.

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Zusätzlich brauche man eine Änderung der Teststrategie: Testung auf Infektiosität statt auf Infektion. Per PCR-Test könne man die Viruslast bestimmen und damit auch, ob ein Patient noch ansteckend ist. Amtsärzte könnten dann einschätzen, wer aus der von Drosten so genannten "Abklingzeit" entlassen werden kann. Ein Restrisiko bleibe allerdings: "Alle Beteiligten müssen akzeptieren, dass man in Krisenzeiten nicht jede Infektion verhindern kann."

"Die Erfahrung aus anderen Ländern lehrt uns schon jetzt, dass eine vollkommene Unterbrechung der Einzelübertragungen unmöglich ist", schreibt Drosten. "Wir müssen also den Gesundheitsämtern in schweren Zeiten erlauben, über das Restrisiko hinwegzusehen." Die zweite Welle erfordere das Mitdenken der gesamten Bevölkerung, der Arbeitgeber und der Politik.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach stimmte Drostens Beitrags per Twitter  zu. Er beschreibe eine "neue Strategie, für die ich mich auch einsetze. Wir müssen weg von der Einzelfallverfolgung und wie in Japan Superspreader und Cluster identifizieren. Beides gleichzeitig geht wegen Kapazität nicht." Lauterbach meint: "Einzelfallverfolgung ist ineffizient und läuft der Pandemie-Welle nach. Die Gesundheitsämter müssen sich auf Cluster-Isolierung konzentrieren dürfen. Die Abkehr von dem, was wir jetzt machen, ist radikaler als es scheint, aber nötig."

kry/wbr
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