Chronik einer Epidemie Wie aus Lungenentzündungen in China ein weltweiter Notfall wurde

Am 31. Dezember meldete China eine mysteriöse Häufung von Lungenentzündungen in Wuhan. Einen Monat später haben sich weltweit mehr als 11.000 Menschen infiziert. Eine Chronik.
Eine Touristin trägt bei einem Venedig-Besuch eine Atemmaske, auch in Italien wurden zwei Corona-Fälle bestätigt

Eine Touristin trägt bei einem Venedig-Besuch eine Atemmaske, auch in Italien wurden zwei Corona-Fälle bestätigt

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MANUEL SILVESTRI/ REUTERS

31. Dezember: Die erste Nachricht kommt, als das alte Jahr gerade zu Ende geht. In der chinesischen Millionenstadt Wuhan häufen sich rätselhafte Fälle von Lungenentzündungen. Gerüchte, es könne sich um ein "neues Sars" handeln, weisen die Behörden entschieden zurück. Acht Internetnutzer, die Posts mit entsprechenden Botschaften verbreiten, werden in dieser Zeit von der Behörde für öffentliche Sicherheit einbestellt und vernommen.

1. Januar: Wuhan schließt den Huanan-Großmarkt, auf dem bis dahin noch Speise­fische, Krebse, Hühner, aber auch wilde Tiere wie Füchse und Schlangen verkauft wurden. Er gilt als Epizentrum des Ausbruchs. Viele Betroffene hatten den Markt besucht, bevor sie erkrankten.

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7. Januar: Chinesischen Forschern gelingt es, den zuvor unbekannten Erreger zu isolieren. Er gehört zur Gruppe der Coronaviren. Sie verursachen in Deutschland rund ein Drittel aller Erkältungen, führen aber auch zu potenziell tödlichen Krankheiten wie Sars und Mers. Sars hatte 2002 und 2003 von China ausgehend eine weltweite Epidemie mit rund 8000 Infizierten und knapp 800 Toten ausgelöst. Damals hatte China den Ausbruch mehrere Monate lang vertuscht.

11. Januar: Der erste Todesfall der "mysteriösen Lungenkrankheit" wird bekannt. In China stirbt ein 61-jähriger Mann, der Tumoren im Bauchraum hatte und unter einer chronischen Lebererkrankung litt. Gleichzeitig beruhigen die Behörden: Seit einer Woche seien keine neuen Infektionen entdeckt worden, die Zahl der Erkrankten liegt konstant bei knapp über 40. Auch gebe es keine Hinweise auf eine Übertragung von Mensch zu Mensch.

12. Januar: Das Erbgut des Erregers ist entschlüsselt. China stellt die Informationen im Internet Forschern weltweit zur Verfügung. An der Charité in Berlin beginnt ein Team um Christian Drosten, einen Nachweistest zu entwickeln.

13. Januar: Das neuartige Coronavirus taucht erstmals in einem anderen Land auf. In Thailand weisen Ärzte den Erreger bei einer Frau nach, die sich zuvor in Wuhan aufgehalten hat. Am 15. Januar meldet auch Japan einen Fall bei einem China-Rückkehrer.

16. Januar: Das erste Testverfahren ist fertig. Labors können ab sofort nachweisen, ob sich Menschen tatsächlich mit dem neuartigen Erreger infiziert haben.

17. Januar: Die USA beginnen, Einreisende aus Wuhan nach Beschwerden zu fragen und Fieber zu messen. Von Deutschland aus existieren keine Direktflüge in die Elf-Millionen-Metropole.

18. Januar: Die chinesischen Behörden melden weiterhin nur knapp mehr als 40 Infizierte, britische Gesundheitsexperten zweifeln die Zahl an. Sie gehen von rund 1700 Erkrankten aus . Bei ihren Hochrechnungen stützen sie sich auf die Fälle unter Reisenden, die das Virus aus China exportiert haben.

19. Januar: Die Zahl der Fälle in Wuhan steigt auf 62. Der Ausbruch sei kontrollierbar, erklärt die chinesische nationale Gesundheitsbehörde.

20. Januar: Die Situation ändert sich abrupt. Innerhalb eines Tages verfünffachen sich die Zahlen, nach offiziellen Angaben sind in China knapp 300 Menschen infiziert. Sie haben Fieber und Lungenentzündungen. Außerdem bestätigen die Behörden erste Übertragungen von Mensch zu Mensch. "In jedem Fall können wir uns schon einmal darauf einstellen, dass es auch Einzelfälle in Europa und Deutschland geben wird", sagt Christian Drosten im Interview mit dem SPIEGEL.

21. Januar: Immer mehr Informationen sprechen dafür, dass die Infektionen nicht immer zu starken Beschwerden führen. Es gibt auch milde Krankheitsverläufe.

22. Januar: Noch immer ist unklar, woher das Virus stammt. Chinesische Wissenschaftler bringen den Erreger mit Schlangen in Verbindung, andere Forscher halten Fledermäuse für deutlich wahrscheinlicher. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ruft ein Expertenkomitee zusammen. Es soll entscheiden, ob der Ausbruch eine "gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite" darstellt. Die Experten diskutieren mehrere Stunden, verschieben mehrmals die Verkündung der Entscheidung. Am Ende steht ein Patt. Die WHO beschließt, das Komitee am nächsten Tag noch einmal einzuberufen.

23. Januar: Wieder sitzen die Experten zusammen. Nach einer stundenlangen Debatte entscheidet sich WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus gegen den internationalen Gesundheitsnotstand. Man nehme den Ausbruch extrem ernst und könne jederzeit wieder zusammenkommen, sagt Tedros. Parallel veröffentlicht die WHO erste Schätzungen, laut denen jeder Infizierte durchschnittlich knapp zwei weitere Menschen ansteckt.

24. Januar:  Die Zahl der bestätigten Infektionen steigt von 644 auf fast 900, 26 Menschen sind gestorben. China reagiert drastisch: Das Land schottet die 11-Millionen-Stadt Wuhan und mehrere Metropolen in der Umgebung ab, schließt Flughäfen und Bahnhöfe, kontrolliert Autobahnen. Mehr als 43 Millionen Menschen sitzen fest. In Peking werden Veranstaltungen zum Neujahrsfest gestrichen. Mittlerweile haben zehn Länder das Virus bei China-Reisenden nachgewiesen, darunter auch Frankreich. Es handelt sich um die ersten Fälle in Europa.

27. Januar: Die WHO äußert sich erstmals zur Inkubationszeit. Demnach vergehen zwischen Infektion und ersten Beschwerden zwischen zwei und zehn Tage. Die chinesischen Behörden stoppen in Wuhan den Autoverkehr. Trotz der drastischen Maßnahmen geht die Zahl der Infektionen weiter nach oben. Weltweit sind mehr als 4500 Fälle nachgewiesen, mehr als hundert Menschen in China sind gestorben.

28. Januar: Das Virus erreicht Deutschland. In Bayern wird ein 33-Jähriger positiv getestet. Eine Kollegin war für ein Seminar aus China eingeflogen. Erst bei ihrem Rückflug fühlte sie sich krank, ließ sich testen und benachrichtigte das Unternehmen. Der Fall zeigt, dass Infizierte das Virus schon weitergeben können, wenn sie sich noch nicht krank fühlen. Am Abend folgt die nächste Meldung aus Deutschland. Drei weitere Kollegen aus derselben Firma haben sich infiziert, sie werden in einer Münchner Klinik isoliert. Keiner entwickelt starke Beschwerden.

29. Januar: Lufthansa und viele andere Airlines streichen sämtliche Flüge nach China.

30. Januar: Die Zahl der Infizierten übersteigt 8000 - und damit die Fälle der Sars-Epidemie. Da Infizierte das Virus außerhalb Chinas weitergegeben haben, kommt bei der WHO noch einmal das Expertenkomitee zusammen. Dieses Mal entscheidet es sich dafür, eine "gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite" auszurufen.

31. Januar: Die Zahl der Betroffenen steigt noch einmal sprunghaft an. Innerhalb eines Tages registrieren die Behörden mehr als 2000 neue Fälle. Mit den Erkrankungen im Ausland übersteigt die Gesamtzahl erstmals die 11.000, mehr als 250 Menschen sind gestorben, alle in China. Am Flughafen Köln-Wahn hebt ein Airbus der Luftwaffe ab, um rund hundert Deutsche aus der Region Wuhan zu evakuieren. In Bayern bestätigt das Gesundheitsministerium, dass in Deutschland sieben Menschen nachweislich mit dem Virus infiziert sind. Dabei handelt es sich um sechs Mitarbeiter des Autozulieferers Webasto aus dem oberbayerischen Gauting-Stockdorf sowie um ein Kind, das sich bei seinem Vater angesteckt hatte.

Seitdem China die ersten Fälle gemeldet hat, ist nur ein Monat vergangen. Noch rechnen Experten nicht damit, dass das Hoch des Ausbruchs erreicht ist. Doch die WHO hofft noch, dass er unter Kontrolle gebracht werden kann.

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