Die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten sind sich uneins über den weiteren Verlauf der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie. Die Beratungen wurden auf kommende Woche vertagt. Zwar ist das exponentielle Wachstum beim Infektionsgeschehen vorerst gebremst.
Angela Merkel, Bundeskanzlerin
»…aber wir sind von der Inzidenz 50 pro 100.000 in 7 Tagen, bei der wir das Infektionsgeschehen für die Gesundheitsämter wieder für nachvollziehbar halten, ein großes Stück entfernt.«
Viele der Ministerpräsidenten der Länder fühlten sich in den Beratungen am Montag offenbar von Merkels Plänen überrumpelt. Denn die Kanzlerin drängt auf eine Verschärfung der aktuellen Maßnahmen.
Angela Merkel, Bundeskanzlerin
»Die Kontaktbeschränkungen sind das Erfolgsrezept und wir brauchen mehr davon, wir müssen noch stärker reduzieren, damit wir auch unsere Ziele erreichen.«
Das sehen einige der 16 Ministerpräsidenten anders. Sie wollen lieber zunächst keine weiteren Maßnahmen verhängen. Warum das aber vermutlich nur wertvolle Zeit in der Pandemiebekämpfung kosten würde, erklärt Thorsten Lehr von der Universität des Saarlandes. Der Professor für Klinische Pharmazie leitet ein Projekt, das aufgrund der verfügbaren Daten Vorhersagen über den weiteren Verlauf der Pandemie trifft. Zusammen mit seinem Team sowie Virologen und Intensivmedizinern hat er ein mathematisches Modell für einen »Covid-Simulator« entwickelt. Sein Fazit:
Thorsten Lehr, Professor für Klinische Pharmazie
»Ja also die aktuellen Maßnahmen reichen erst mal so nicht aus, wie wir sie bisher sehen. Wir müssen deutlich noch weiter die Kontakte reduzieren, also um 30 bis 40 Prozent wäre das also ungefähr nötig. Das Problem, was wir trotzdem haben ist, dass die Maßnahmen dann relativ lange gehalten werden müssen. Selbst wenn wir die Maßnahmen jetzt weiter verschärfen, müssten wir also damit rechnen, dass wir frühestens an Weihnachten unter die Grenze von 50 Neuinfektionen pro sieben Tage, pro 100.000 Einwohner gelangen würden.«
Der Simulator berücksichtigt nicht nur das Infektionsgeschehen, sondern auch die Kapazitäten der Kliniken in Deutschland. Die Intensivstation müssen schon jetzt immer mehr Covid-19-Patienten versorgen, in einigen Regionen gelangen die Kliniken vor allem wegen des Personals bereits an die Kapazitätsgrenzen.
Thorsten Lehr, Professor für Klinische Pharmazie
»Ja, wenn es so weitergeht wie jetzt, dann würden wir einen relativ starken Anstieg erwarten auf den Intensivbetten. Dann würden wir eigentlich bis Ende des Jahres noch 6.000 Intensivbetten-Belegungen erwarten, und das würde uns dann auch schon an die Kapazitätsgrenzen bringen.«
Thorsten Lehr denkt aber bereits weiter. Wichtig sei auch die Frage, wie es nach den jetzigen Kontaktbeschränkungen weitergeht. Es brauche Maßnahmen, die sicherstellen, dass Abstand, Hygiene, der Gebrauch von Alltagsmasken und Lüften konsequent von allen eingehalten würden. Denn diese Regeln in Kombination hätten sich als nützlich erwiesen.
Thorsten Lehr, Professor für Klinische Pharmazie
»Dann können wir es vielleicht schaffen, eine dritte Welle möglichst klein zu halten. Aber wenn es wieder zurückfällt nach Ende des ›Lockdown Light‹ in die Situation, die wir vorher hatten, dann müssen wir eigentlich ab März, April wieder mit der dritten Welle rechnen. Ob es eine Vierte gibt, hängt natürlich davon ab, wann und wie der Impfstoff dann am Ende verfügbar sein wird.«
Immerhin: Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten wollen bei ihren Beratungen am 25. November nicht nur über die kurzfristige, sondern auch über eine langfristige Strategie beraten.