Impfstoff gegen Coronavirus Das riskante Wettrennen der Pharmakonzerne

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Bis zu einem halben Milligramm soll den Versuchspersonen injiziert werden, verteilt auf zwei Dosen. Für die Teilnahme gibt es 1100 Dollar Entschädigung. So steht es in den Richtlinien für die weltweit erste Studie, bei der Menschen ein möglicher Impfstoff gegen Covid-19 verabreicht wird. Ein Forschungsinstitut im amerikanischen Seattle sucht seit Kurzem nach 45 Freiwilligen. Noch in diesem Monat, teilte der US-Impfstoffhersteller Moderna mit, könnten die ersten Dosen gespritzt werden.
Wohl noch nie wurden Vakzine so schnell entwickelt wie im Fall von Covid-19. Neben Moderna stehen weitere Pharmafirmen nach eigenen Angaben kurz davor, Tests am Menschen durchzuführen. Im Wettlauf gegen den tödlichen Erreger sollen nun Menschen experimentelle Wirkstoffe verabreicht werden, bevor deren Wirksamkeit an Versuchstieren umfassend erforscht ist - ein Bruch mit einem hehren Grundsatz der Pharmaforschung. Während manche Wissenschaftler diese Eile angebracht finden, warnen andere vor unkalkulierbaren Risiken.
Die Erprobung eines neuen Vakzins ist ein hochkomplexes, mehrstufiges Verfahren. In der Regel geben nationale Zulassungsbehörden erst grünes Licht für klinische Studien, also Tests am Menschen, wenn sowohl die Sicherheit als auch die Wirksamkeit eines Stoffes an Labortieren nachgewiesen ist. Das gilt zum Beispiel für die mächtige amerikanische Food and Drug Administration (FDA).
Die WHO soll für beschleunigtes Verfahren grünes Licht gegeben haben
Die Behörden wollen dabei oft nicht nur Ergebnisse von Experimenten an Mäusen sehen, sondern auch an höher entwickelten Tieren, Meerschweinchen, Kaninchen oder Primaten. Solche Studien können sich über Monate, manchmal Jahre hinziehen. Zeit, die im Fall einer Pandemie nicht vorhanden ist.
Auf einem Treffen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Mitte Februar besprachen Vertreter öffentlicher Forschungseinrichtungen und Pharmafirmen, wie sich der Prozess beschleunigen ließe. Nach Medienberichten einigten sie sich darauf, dass Impfstoffentwickler wegen der akuten Bedrohung durch das Virus mit Versuchen an Menschen beginnen sollten, bevor alle Tierstudien abgeschlossen sind.
Bindend ist diese Empfehlung für Zulassungsbehörden zwar nicht, doch sie hat Signalwirkung. "Wir wollen so schnell wie möglich eine Impfung haben", sagte Marie-Paule Kieny, die das Treffen vonseiten der WHO leitete, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. "Dagegen müssen wir das Risiko abwägen, das wir einer sehr kleinen Zahl von Menschen auferlegen."
Im Fall von Covid-19 gibt es neben der notwendigen Eile jedoch ein weiteres Problem: Noch gelang es keinem Forscherteam, Mäuse zu züchten, die man mit der Lungenkrankheit infizieren kann. Die Firma Moderna wird daher zumindest spezielle Sicherheitsstudien an Tieren erst parallel zu den Versuchen an Menschen durchführen können, wie das amerikanische National Institute of Health mitteilte.
Biotechfirmen setzen auf eine neue Technologie, die sicherer sein soll
Der US-Konkurrent Inovio, der ebenfalls an einer Impfung arbeitet, weicht für Wirksamkeitsstudien auf Frettchen und Primaten aus. Wenn er wie geplant im April erste Versuche an Menschen beginnt, werden diese Studien noch nicht abgeschlossen sein, sagt die Inovio-Entwicklungschefin Kate Broderick. Sie fügt allerdings hinzu: "Es ist nicht unüblich, dass Firmen weitere Tierstudien unternehmen, während sie schon in der klinischen Phase sind."
Anders als bei herkömmlichen Impfstoffen setzen die meisten Biotechfirmen bei der Entwicklung gegen Covid-19 nicht auf abgeschwächte Lebendviren oder Bruchstücke des Erregers. Stattdessen bestehen ihre Substanzen aus kurzen Nukleinsäuren, die die Körperzellen selbst zur Produktion von Antikörpern anregen sollen.
Dadurch lassen sich die Vakzine nicht nur deutlich schneller herstellen, sie sollen auch sicherer sein. Nach mehr als zwei Jahrzehnten Forschung brachte diese Technologie allerdings noch keine einzige Marktzulassung eines Impfstoffs gegen ein Virus hervor. Sowohl Moderna als auch Inovio sind dennoch zuversichtlich, dass ihr Impfstoff – sofern ihre Tests erfolgreich verlaufen – schon im nächsten Jahr zur Verfügung steht.
Für die Probanden ist dieses Tempo nicht ohne Risiko. In früheren Studien zum Sars-Erreger, ebenfalls ein Coronavirus, kam es zu einer Nebenwirkung, die noch immer nicht vollständig verstanden ist: Anstatt sie zu schützen, machten einige Impfstoffkandidaten Mäuse im Gegenteil sogar anfälliger für eine Infektion.
Experten sprechen von einer "Immunverstärkung". Es wäre ein Albtraumszenario für eine klinische Studie, vor allem wenn diese in einer Region wie Seattle durchgeführt wird, in der das Virus zirkuliert. "Wenn wir eine solche Immunverstärkung in einem Tierversuch sehen, ist das ein starkes Zeichen, nicht voranzugehen", sagt der Mikrobiologe Peter Hotez vom Texas Children’s Hospital, der federführend einen Sars-Impfstoff mitentwickelt hat, dem SPIEGEL.
Doch dafür müsse man diese Versuche erst einmal durchführen. Stattdessen, sagt Hotez, "erleben wir gerade, wie Biotech-Unternehmen aggressiv ihre Technologien auf den Markt drücken wollen".