Schutz vor Covid-19 Fachleute zweifeln an Zweckmäßigkeit der vierten Impfung für Menschen ab 60

Für wen ist die Viertimpfung sinnvoll – und für wen nicht unbedingt? Während der Gesundheitsminister für eine weitere Spritze wirbt, äußern sich Immunologen zurückhaltend.
Covid-19-Impfstoff von Biontech/Pfizer

Covid-19-Impfstoff von Biontech/Pfizer

Foto: Sean Gallup / Getty Images

Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach wirbt derzeit lautstark für die vierte Coronaimpfung. Der zweite Booster solle EU-weit für Menschen ab 60 Jahren empfohlen werden. Expertinnen und Experten sehen das jedoch mitunter anders. Ihr Fokus liegt weiter auf der Schutzwirkung der ersten drei Dosen.

Durch zwei Impfungen plus Booster sinkt das Erkrankungsrisiko erheblich, weitere Dosen machen dagegen in vielen Fällen keinen oder nur noch einen kleinen Unterschied.

»Ein generelles Absenken der Altersschwelle bei der Impfempfehlung ist momentan nicht angezeigt«, sagte Reinhold Förster von der Medizinischen Hochschule Hannover und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI). In Ausnahmefällen könne ein zweiter Booster ab 60 Jahren aber nachvollziehbar sein.

Ähnlich lautete im Februar die Einschätzung des Impfstoffexperten Leif Erik Sander und der DGfI-Präsidentin Christine Falk. Dem SPIEGEL sagte Sander  damals: »Die vierte Dosis reduziert ein kleines Risiko noch weiter.« Für die Allgemeinbevölkerung, die von Grund auf ein geringeres Risiko für eine schwere Erkrankung habe als Hochbetagte und Vorerkrankte, sei das kaum relevant.

Auch er erklärte: Bei Risikogruppen falle das Ergebnis der Abwägung anders aus. »Ein kleines Risiko kann bei Gruppen, die per se stärker gefährdet sind, entscheidend sein.« Gesunde Menschen unter 70 könnten sich nach drei Impfdosen derzeit aber als vollständig immunisiert betrachten, erklärte Falk.

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Die Sterblichkeit sinke deutlich, sagt Lauterbach

Als Argument für eine vierte Impfung für Menschen ab 60 führt Gesundheitsminister Lauterbach Daten einer Untersuchung aus Israel  an. Die Erkenntnisse deuteten daraufhin hin, dass die vierte Impfung die Sterblichkeit in dieser Altersgruppe im Vergleich zur dritten Dosis noch einmal um knapp 80 Prozent reduzieren könne.

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Die Daten wurden bislang nicht von unabhängigen Fachleuten überprüft. Und sie überzeugen den Immunologen Förster nicht von der Notwendigkeit eines zweiten Boosters für alle ab 60. Die Deutsche Gesellschaft für Immunologie bleibe derzeit der Ansicht, dass für den Aufbau eines langanhaltenden Schutzes vor Covid-19 drei Immunisierungsschritte ausreichen.

Unsicherheiten in den Daten aus Israel

Die Unterschiede zwischen den verglichenen zwei Gruppen aus dreifach und vierfach Geimpften, die sich in den Daten aus Israel zeigten, seien minimal, sagte Förster: »Beide Gruppen haben bei Omikron ein sehr geringes Sterberisiko durch Covid-19.« Die Angaben zur verringerten Sterblichkeit basierten auf relativ kleinen absoluten Zahlen.

Ein Beispiel: Bei den 60- bis 69-Jährigen starben der Studie zufolge im beobachteten Zeitraum 5 der rund 112.000 vierfach Geimpften und 32 der rund 124.000 dreifach Geimpften im Zusammenhang mit Covid-19.

Unsicherheiten gibt es auch durch Unterschiede in den beiden Gruppen: »Es ist die Frage, inwieweit sie vergleichbar sind. Manche dreifach geimpfte Vorerkrankte dürften sich nicht zur Viertimpfung aufgerafft haben, was die Unterschiede bei der Sterblichkeit zum Teil erklärten könnte«, so der Immunologe.

In der Studie wird darauf hingewiesen, dass in den Daten auch Fälle enthalten sein können, bei denen das positive Covid-Testergebnis ein Nebenbefund gewesen sei. Zudem erstrecke sich der Beobachtungszeitraum lediglich über 40 Tage, eine vergleichsweise kurze Spanne.

Nach Ansicht von Förster sei auch die Unsicherheit über die künftige Entwicklung des Virus ein Grund für die Zurückhaltung gegenüber einer Empfehlung zur Viertimpfung. Es sei möglich, dass in einigen Monaten andere Impfstoffe verfügbar seien – mit entsprechend anderen Impfempfehlungen. »Bei der Drittimpfung war die Datenlage anders als jetzt, der Nutzen gegen die Delta- und Omikron-Varianten war klar erwiesen«, sagte er.

Die Stiko rät über 70-Jährigen zur vierten Impfung

Die aktuelle, seit Ende Februar gültige Empfehlung der Ständigen Impfkommission  zur zweiten Booster-Impfung richtet sich neben Menschen ab 70 Jahren an einige weitere Gruppen: unter anderem an Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen, an Menschen mit einer Immunschwäche, die mindestens fünf Jahre alt sind, und an Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeheimen, vor allem, wenn sie in direktem Kontakt zu Patientinnen und Bewohnern stehen.

Wer gesundheitlich gefährdet ist, solle die zweite Auffrischung frühestens drei Monate nach dem ersten Booster vornehmen lassen. Bei Gesundheits- und Pflegepersonal solle der Abstand zwischen der dritten und der vierten Impfung mindestens ein halbes Jahr betragen.

Doch unter den Menschen, für die eine vierte Impfung bereits empfohlen wird, ist die Zahl der vierfach Geimpften bisher gering. Allein von den 13,5 Millionen Menschen über 70 Jahren sowie von den Menschen mit Immundefekt seien bisher weniger als zehn Prozent ein viertes Mal geimpft, sagte Lauterbach kürzlich. Der Verlauf könne nicht zufriedenstellen.

Dazu äußerte sich auch Thomas Mertens, der Chef der Stiko: »Ein Hauptproblem bei 60- bis 69-Jährigen auf Intensivstationen besteht im Augenblick in Patienten ohne erste Booster-Impfung, noch schlechterem oder völlig fehlendem Impfschutz.«

vki/dpa
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