Infizierter Tübinger Oberarzt in Quarantäne "Danke der Nachfrage, mir geht es gut"

Der Oberarzt der Pathologie am Uniklinikum Tübingen zählt zu den ersten Corona-Patienten Deutschlands. Hier erzählt er, warum es ihm trotzdem gut geht - und was ihm noch mehr zu schaffen macht als der Erreger selbst.
Ein Interview von Irene Berres
Stefano Fusco, Oberarzt der Isolierstation, im Gespräch mit dem Patienten an der Uniklinik Tübingen, an der Scheibe klebt getrocknetes Desinfektionsmittel

Stefano Fusco, Oberarzt der Isolierstation, im Gespräch mit dem Patienten an der Uniklinik Tübingen, an der Scheibe klebt getrocknetes Desinfektionsmittel

Foto: Lisa Vitovec/ Uniklinikum Tübingen

Am Sonntagabend kam seine Tochter aus dem Italienurlaub zurück, sie war mit einem Freund in Mailand gewesen, beide hatten eine gemeinsame Freundin besucht. Man ging miteinander shoppen, besichtigte den Dom, aß im Restaurant und genoss die frühsommerlichen Temperaturen. Bei ihrer Rückkehr nach Tübingen kratze es bei der jungen Deutschen etwas im Hals, sie beachtete die Beschwerden kaum - bis die Zahl der Corona-Infektionen in Italien in die Höhe schnellte und auch ihre Freundin positiv getestet wurde.

Seit Dienstagabend steht fest: Die 24-Jährige hat sich mit dem neuartigen Coronavirus infiziert - und das Virus an ihren Vater weitergegeben, einen Oberarzt für Pathologie der Uniklinik Tübingen. Statt am Mikroskop zu sitzen, verbringt der 59-Jährige jetzt mindestens zehn Tage auf der Isolierstation des Krankenhauses. Besuche sind auf ein Minimum reduziert.

Wer sein Zimmer betreten will, muss einen wasserabweisenden Schutzkittel tragen, eine Atemfiltermaske der Stufe FFP2, eine Schutzbrille und Handschuhe, die über die Kittelärmel reichen. Verlässt der Besuch das Zimmer wieder, verschwindet alles in einer schwarzen Box und wird entsorgt. Alltag für die Ärzte und Pflegekräfte auf der Isolierstation.

DER SPIEGEL

"In diesen Zimmern sind sonst auch Patienten mit einer Grippe oder mit Tuberkulose untergebracht", sagt Stefano Fusco, Oberarzt auf der Station. "Die Patienten sind nicht in einem Hochsicherheitsisolationsbereich wie etwa bei Ebola."

Trotzdem ist auch am Uniklinikum zu spüren, wie das neuartige Coronavirus die Menschen verunsichert. "Man merkt, dass Personal und Ärzte von anderen Abteilungen jetzt schon mal nachfragen: Darf ich überhaupt auf die Isolierstation zu einem anderen Patienten?", sagt Fusco. Doch diese Sorge sei unbegründet.

Wie geht es dem Arzt, der das Virus in sich trägt, das Deutschland momentan beunruhigt? Ein Telefonat mit einem der ersten Corona-Patienten Deutschlands.

SPIEGEL: Sie sind einer der ersten Corona-Infizierten in Deutschland. Wie geht es Ihnen, wie fühlt sich Covid-19 bei Ihnen an?

Patient: Danke der Nachfrage, mir geht es gut. Ich spüre nichts, habe meine volle Leibeskraft und staune über die Dinge, die da in der Außenwelt so vor sich gehen. Man riecht das Coronavirus nicht, man sieht es nicht, man schmeckt es nicht. Es ist einfach da. Ich selbst hätte es nicht bemerkt.

SPIEGEL: Sie spüren wirklich gar nichts?

Patient: Ja, gar nichts. Wobei ich dazu sagen muss, dass ich seit Jahren ein Problem mit Nasennebenhöhlenentzündungen habe. Das beschäftigt mich in den Wintermonaten mehr, im Sommer weniger. Deshalb mache ich mir eigentlich nie Gedanken, wenn ich ein paar Erkältungsbeschwerden habe.

SPIEGEL: Und wie geht es Ihrer Tochter?

Patient: Auch gut. Sie kam zwar am Wochenende mit leichtem Halskratzen aus Mailand zurück, genauso wie ihre Reisebegleitung. Die beiden sind aber auch fast sommerlich bekleidet durch die Stadt gezogen, da es relativ warm war. Da haben sie sich nicht gewundert und gedacht, dass das die Retourkutsche ist.

SPIEGEL: Da es Ihnen und Ihrer Tochter so gut geht: Werden Sie überhaupt behandelt?

Patient: Nein, wir sind ja eigentlich völlig gesund. Man misst halt den Blutdruck und misst den Puls und misst Fieber, stellt fest, dass nichts ist, und es wird routinemäßig Blut abgenommen. Entzündungsparameter findet man keine, das war es eigentlich.

SPIEGEL: Wie sieht denn Ihr Alltag in der Quarantäne aus?

Patient: Da wir keine Behandlungen im eigentlichen Sinne haben, hat der Tag auch keine großen Aufs und Abs. Ich sitze sozusagen nur da, schaue auf die Schwäbische Alb und unterhalte mich mit meiner Tochter oder jetzt mit Ihnen.

Blick in ein Zimmer auf der Isolierstation am Uniklinikum Tübingen

Blick in ein Zimmer auf der Isolierstation am Uniklinikum Tübingen

Foto: Lisa Vitovec/ Uniklinikum Tübingen

SPIEGEL: Haben Sie denn keinen Fernseher?

Patient: Doch, aber ich schaue eigentlich nie fern. Was ich schon nutze, ist mein Smartphone. Da gab es aber erst mal ein Problem. Wenn man in der Klinik WLAN haben möchte, braucht man eine Karte, und die muss man bezahlen. Aber die Geldscheine, die hier bei mir liegen, sind potenziell infektiös. Man darf sie nicht nach draußen bringen. Zum Glück war der Abteilungsleiter so nett und hat für mich ausgelegt. So ist es im Moment: Hinein kann man alles bringen, aber raus geht nichts.

SPIEGEL: Hatten Sie Sorge, als Sie von Ihrer Infektion erfahren haben?

Patient: Nein, es gibt ja Berichte darüber, wie die Infektion abläuft. Dass jeder, der über ein funktionierendes Immunsystem verfügt, sich normal ernährt, Sport treibt und nach sich schaut, mit dem Virus nicht viel mehr Probleme hat als mit der Grippe. Warum sollte das bei mir anders sein?

SPIEGEL: Denken Sie, dass Sie anders mit dem Thema umgehen können, weil Sie Arzt sind?

Patient: Ich glaube schon, ich sitze das Ganze einfach aus. Vielleicht bin ich da eine Ausnahme, weil ich als Mediziner für das Vorgehen Verständnis habe. Es gibt behördliche Vorschriften, wie lange jemand unter Quarantäne zu halten ist, und man muss eigentlich nur das machen, was einem gesagt wird. Das ist im Grunde nicht anders als beim Militär.

SPIEGEL: Und was wird Ihnen gesagt?

Patient: Ich werde zum Beispiel täglich über die Novellen der Auslegung der Behörden informiert, wie lange jetzt welche Quarantäne andauern soll.

Das Uniklinikum Tübingen orientiert sich bei der Behandlung an den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts. Das bedeutet aktuell: Der Mann und seine Tochter müssen erst einmal zehn Tage lang in der Klinik bleiben. Sind sie 48 Stunden fieberfrei und wurden sie zweimal negativ auf das Virus getestet, dürfen sie nach Hause entlassen werden.

SPIEGEL: Was glauben Sie, wie Sie sich bei Ihrer Tochter angesteckt haben?

Patient: Als meine Tochter aus Mailand zurückgekommen ist, habe ich sie natürlich umarmt, weil ich mich gefreut habe. Dann haben wir noch gemeinsam Abend gegessen und am nächsten Morgen habe ich mich von ihr verabschiedet. Das hat gereicht.

SPIEGEL: Wie hat denn Ihr Umfeld auf die Erkrankung reagiert?

Patient: Bei mir äußerst konstruktiv. Sie haben gefragt, wie es mir geht, ob sie etwas machen können. An meinem Institut, an dem ich eine tragende Rolle spiele, haben sie gefragt, wie sie sich aufteilen können, um mich zu ersetzen. Da war eine große Solidarität. Auch die Nachrichten per Mail oder WhatsApp waren bei mir positiv. Manche haben im Spaß geschrieben, sie seien stolz, dass sie mich kennen. Pathologen aus anderen Orten wollten, dass ich erzähle, erzähle, erzähle.

SPIEGEL: Und bei Ihrer Tochter?

Patient: Bei ihr war das ganz anders. Über die sozialen Medien hat sie Nachrichten bekommen nach dem Motto "Du Schuldige", "Du bringst alle in Gefahr" oder "Wie fühlt es sich an, wenn man eine Krankheit nach Deutschland einschleppt?". An mir als knapp Hundertjährigem geht so ein Shitstorm vorbei, aber nicht an einer 24-jährigen Frau. Sie hat dadurch gelernt, wie sie über manche Bekannte und Freunde eigentlich denken kann.

SPIEGEL: War das ein großes Thema in den Gesprächen mit Ihrer Tochter?

Patient: Ja, durchaus. Nicht das Virus macht uns gerade das Leben schwer, sondern der Umgang damit. Meine Tochter hat die Infektion wirklich cool genommen, hat gesagt, okay, ich habe jetzt das Coronavirus. Das hat ihr keine seelischen Schmerzen bereitet. Was ihr aber wehgetan hat, waren die Aussagen anderer.

SPIEGEL: Was ist Ihre Botschaft an die Menschen da draußen, die gerade Angst haben?

Patient: Weil der Name neu ist und mit der Quarantäne scheinbar eigenartige Abschottungsmaßnahmen betrieben werden, glauben die Leute, das Ganze sei extrem gefährlich. Aber die Maßnahmen sollen vor allem die Ausbreitung verlangsamen - und nicht das Virus dämonisieren. Es geht darum, Zeit zu gewinnen, damit man möglicherweise noch Therapieoptionen entwickeln kann für Patienten, die es stärker betrifft. Das ist sinnvoll, aber nur schwer zu verstehen für jemanden, der nicht in einem medizinischen Beruf arbeitet.

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Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 180 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema.

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